Aktuelles und Heimat

»Die Mörder sind unter uns« (1946). © Progress Filmverleih

Seit wann berichtet »arte« eigentlich nicht mehr live vom Abend der Preisverleihung in Cannes? Ein Gutteil der Siegerfilme wird doch nach wie vor vom Sender mitproduziert. Und warum? Sank die Quote in den letzten Jahren so sehr?

Niedergang, egal, wohin man blickt. Auch für französische Tageszeitungen, die ich während des Festivals vermehrt kaufe, muss man in Berlin nun weiter laufen. »Libération« scheint es nur noch am Bahnhof Zoo und überdies mit einem Tag Verspätung zu geben. In der letzten Woche passierte auf einer Pilgerfahrreise zum dortigen Kiosk etwas ganz Unerwartetes. Es geschah zum ersten Mal, und ich kann nicht garantieren, dass es sich wiederholen wird. Vor der Kasse konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, die aktuelle Ausgabe der »SUPERillu« zu kaufen, deren Cover dem 70. Jubiläum der DEFA gewidmet ist. Sonst mache ich um Illustrierte einen Bogen, weil ich deren Orthografie und Satzbau nicht immer auf Anhieb verstehe. Aber aus gegebenem Anlass wollte ich einen Blick in die publizistische Seele der neuen Bundesländer wagen.

Ich bin nicht so weltfremd, hier eingehende historische Analysen zu erwarten. Ein wenig ausführlicher hätte ich mir die Gratulation aber schon vorgestellt. Sie fand sich in der Rubrik »Heimat und Aktuelles«, eingepfercht zwischen der Sport- (»Aufstieg Ost!«) und Ratgeber-Seite (»So macht Gassi gehen Spaß«) und bestand aus einem knappen Artikel, aus dessen Überschrift tiefe Verbundenheit spricht (»Unsere Helden, unsere Filme«), sowie einer Fotostrecke, auf der unvergessene Filme wieder ins Gedächtnis gerufen wurden. Der ungezeichnete Artikel hob an mit dem Anliegen, »die Künstler und die Werte, die uns ihre besten Filme vermittelt haben« zu feiern. Worin diese bestehen, wäre der Frage würdig, könnte aber zu verfänglichen Antworten führen. Die Zeitschrift würdigte in »aller Bescheidenheit« auch den eigenen Beitrag zu Wahrung des Erbes: Seit 20 Jahren die besten DEFA-Filme als DVD beigelegt (»Da kommen einige Millionen Scheiben zusammen.«) Ansteckend war diese Dosis Nostalgie nicht. Aber mein Leben haben diese Filme nun nicht maßgeblich begleitet. Aber selbst diese krude Form der Reverenz vermiitelte mir eine Ahnung, dass es sich um wichtige Wegmarken für die Stamm-Leser handeln könnte. Vergeblich war der Zeitschriftenkauf ohnehin nicht. Aus einem Artikel zu den TTIP-Verhandlungen konnte ich entnehmen, dass Politiker und Ökonomen aus Sachsen und Thüringen dazu raten, abzuwägen. Und eines der Ochsen-Rezepte haben wir dann am Wochenende nach gekocht. Auf den Rätsel-Seiten habe ich ein bisschen geschummelt.

Auf den einschlägigen Sendern RBB und MDR wird das Jubiläum seit Wochen würdiger gefeiert. Da kommen auch unbekanntere Titel zu ihrem Senderecht. Gespannt war ich darauf, ob sich »arte« den Gratulanten anschließen würde. Ganz ignorieren kann der Sender den Jahrestag nicht. Ein Teil seines Publikums verbindet mit den Filmen prägende Eindrücke; auch oder gerade weil das System, das sie hervorbrachte, nicht mehr existiert. Aber wie macht man sie den französischen Zuschauern schmackhaft? Das andere deutsche Kino wird ihnen noch fremder sein. Welche Erinnerungen sollten sie damit, wenn überhaupt, verbinden? Wie ließe sich eine gewissermaßen postume Neugierde wecken? Der Eklat um die Äußerungen der vermeintlichen deutsch-französischen Integrationsfigur Volker Schlöndorff ist vielen noch im Gedächtnis. Nach seiner Zeit als Chef der Babelsberger Studios hatte er in einem Interview fahrlässig abfällig über die Produktionen der DEFA gesprochen. Während seiner Jugend in Frankreich haben sich er und seine cinéphilen Freunde über die ungelenken Propagandaschinken nur scheckig gelacht. Später ruderte er etwas zurück, aber der Schaden war nicht mehr zu beheben.

»Großes Kino aus Babelsberg« heißt die kleine Filmschau, die heute Abend beginnt. Lange gesucht hat man offensichtlich nicht nach passenden Titeln. »Die Mörder sind unter uns« ist ein naheliegender Einstieg. Und »Jakob der Lügner« hätte immerhin beinahe einen Oscar gewonnen. Das sind keine Verlegenheitslösungen, aber Entdeckerfreude sieht anders aus. Übermorgen folgen »Goya« und eine Dokumentation (Ob sie aufschlussreich ist, wird sich herausstellen; Filmgeschichte muss auf »arte« ja neuerdings vor allem flott und gegenwärtig sein.), zum Abschluss  dann Heiner Carows »Coming out«. Über ihn schreibt Michael Gwisdek im arte-Programmheft. Seine Erinnerungen an die DEFA-Zeit sind gebrochen nostalgisch. Er betont die subversive Kraft, die sich in die Produktionen hineinschmuggeln ließ. Auch für ihn bedeutete Babelsberg Heimat. Aktuell hat er andere Dinge zu tun.

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