Disney+: »Swiped«
Online-Dating hat das Liebesleben einer ganzen Generation revolutioniert – und ökonomisiert. Statt mühsam durch Bars zu tingeln, um zu flirten und neue Bekanntschaften zu schließen, reicht es nun, auf dem Sofa sitzend mit dem Daumen nach links oder rechts über den Touchscreen zu wischen (swipen). Egal, ob man einen One-Night-Stand, eine Affäre oder die Liebe fürs Leben sucht: Tinder & Co erweiterten den Pool potenzieller amouröser Weggefährt*innen ins schier Unermessliche. Einerseits erleichterte das für viele Menschen das Kennenlernen. Andererseits kann die digitale Datingwelt vor allem für Frauen auch anstrengend bis gefährlich sein. Sexuelle Belästigung und ungefragt zugesandte dickpics zählen für viele Nutzerinnen bis heute zum Alltag.
Angefangen hat das ganze hierzulande und in den USA vor allem mit Tinder. Dessen Namensgeberin und frühe Co-Founderin Whitney Wolfe Herd (mit leicht irritierenden Kontaktlinsen ausgestattet: Lily James) wird in »Swiped« filmisch gewürdigt. Kurz nach dem College landet sie unversehens in einem der heißesten Start-ups jener Tage und hat als Marketing-Chefin maßgeblichen Anteil am durchschlagenden Erfolg der Dating-App. Während sie anfangs noch als Teil eines hippen Teams mitgerissen wird von der Euphorie des schnellen Aufstiegs, wird sie mit zunehmendem Wachstum des Unternehmens und medialer Aufmerksamkeit immer weiter an den Rand der Führungsriege gedrängt und kleingehalten. Dazu trägt auch eine unangenehme Liebesbeziehung zu Justin (Jackson White) bei, einem weiteren Co-Founder und besten Freund des Tinder-CEOs, die sich traditionell männerbündisch den Rücken freihalten. Als Justin sie nach einer Trennung belästigt und mobbt, wird sie im Streit aus dem Unternehmen gedrängt. Daraufhin bietet sich für Whitney die Gelegenheit, eine eigene App zu entwickeln, die Dating für Frauen angenehm gestalten soll: Bumble.
Es ist ein gelungener Kniff von »Swiped«, mit Whitney Wolfe Herd eine weibliche Gründerin ins Zentrum zu stellen, die ihre ganz eigenen, negativen Erfahrungen mit der frauenverachtenden Tech-Welt machen musste. Obwohl es sich bei »Swiped« ansonsten um eine recht generische und weitgehend konventionell erzählte »Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär«-Erfolgsstory handelt – junge, idealistische College-Absolventin, die die Welt zum Besseren verändern will, setzt sich mit ihren cleveren Ideen und einer Prise Vorwitz in einer männerdominierten Corporate-Welt durch und steht am Ende als erste Self-Made-Milliardärin da –, gibt es einen Aspekt, der den Film interessant macht: der plakative, aber wohl nicht unauthentische Einblick in die überhitzte Start-up-Welt der frühen 2010er-Jahre, als das Silicon Valley mit maßgeschneiderten Apps für jede Lebenslage den Alltag der User zu durchdringen versuchte.
Nach außen hin haben damals junge, hippe, mit Kreativität und Kapital gesegnete Dudes beharrlich den Markt aufgemischt, um die digitale Unternehmensszene auf Jahre hin zu dominieren. Je weiter man hinter die coole Fassade blickt, desto erschreckender zeichnen sich jedoch die verbissenen, intriganten und sexistischen Mechanismen ab, bis von den scheinbar so genialen Tech-Pionieren wenig mehr bleibt als narzisstisch gekränkte, hyperkapitalistische Egomanen, die alles für den schnellen Erfolg tun, außer echte Verantwortung zu übernehmen.
Die Folgen kann man heute mit Schrecken in der US-Politik und Medienwelt beobachten: toxische Tech-Bros, die rücksichts- und skrupellos versuchen, die Welt nach ihren verqueren Vorstellungen zu verbiegen. Da ist es durchaus erfrischend, einer ambitionierten Frau wie Whitney Wolfe Herd beim Aufstieg zuzusehen, die zumindest ein konstruktives Ziel vor Augen hat – auch wenn am Anfang jeder ihrer Karrierestufen wieder ein oberflächlich wohlmeinender Mann vor ihr steht, um ihr die Türen zu öffnen.
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