Film des Monats Mai: »Alle die du bist«

© Port au Prince

Empfohlen von der Jury der Evangelischen Filmarbeit

Nadine und Paul sind ein gutes Paar: Nadine hilft Paul aus seinen Panik–attacken und Paul ist für die Kinder da, wenn Nadine arbeitet. Er ist ein witziger, liebevoller Papa, den sich die Freundinnen der Kinder gern ausleihen würden. Paul ist aber noch mehr: ein charmanter Liebhaber, enthusiastisch, kreativ, manchmal anarchisch. Und er ist seit langem arbeitslos, weil die Menschen draußen mit seinen abrupt wechselnden Gemütszuständen nicht umgehen können. Mit Nadine (Aenne Schwarz) sehen wir auf der Leinwand Paul mal als gestandenen Mann (Carlo Ljubek), mal als unsicheres Kind, als Jugendlichen (Youness Aabbaz), sogar als alte Frau und als Stier. Zwar liebt Nadine Alle die Du bist – aber sie fühlt sich selbst emotional unzulänglich und gerät oft an ihre Grenzen. Irgendwann glaubt sie: Sie hat aufgehört, Paul zu lieben. 

Eine große Erzählung über Gefühle, die sich nicht erzwingen lassen, bettet der Regisseur Michael Fetter Nathansky in den kräftezehrenden Alltag einer von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeiterfamilie: Nadines Betrieb lebt vom Bergbau im Ruhrgebiet. In einer Schlüsselsituation des Films erreichen Nadine und Paul eine geschlossene Front der kurz vor der Kündigung stehenden Belegschaft, nur um direkt danach zu erfahren, dass sich die Bedingungen zu ihren Gunsten geändert haben. Nadine war dafür über ihre Grenzen (und die aller anderen) gegangen und kann sich nun nicht mehr freuen. Ihre innere Leere wird von Aenne Schwarz ebenso überzeugend gespielt, wie Pauls tiefe und wechselnde Emotionen von Carlo Ljubek. Die Kamera (Jan Mayntz) zeigt die beiden oft in Nahaufnahme, sie zeigt Durch- und Einblicke und kühle Außenaufnahmen, sie ändert das Bildformat und kippt sogar einmal um – als würde sie dadurch die Fragilität des Paars besser einfangen. Der klaren Bildsprache wird eine berückend schöne Filmmusik (Ben Winkler und Georg Keienburg) beigegeben. So ist der Film zugleich Sozialdrama und Liebesgeschichte. Er erzählt über das Funktionieren von Familien- und Arbeitsbeziehungen sowie über psychische Probleme und ist darin sehr aktuell. Außerdem sorgt der Regisseur dafür, dass der Film immer zart, fast zärtlich bei seinen Protagonist*innen bleibt. Und das ist die größte Stärke dieses außergewöhnlichen Kinoerlebnisses.

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