Mubi: »Rotting in the Sun«

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Geghostet in Mexico City

Muss man sich um Sebastián Silva Sorgen machen? In den 10er Jahren feierte der chilenische Regisseur mit Indiefilmen wie »La Nana – Die Perle« und »Crystal Fairy« auf Festivals in Sundance und Locarno Erfolge, seine US-Satire »Nasty Baby« über ein schwules Paar mit Kinderwunsch und Kristen Wiig in der weiblichen Hauptrolle wurde 2015 auf der Berlinale mit dem Teddy Award ausgezeichnet. 2018 lief mit »Fistful of Dirt« sein bislang letzter Langfilm in Telluride, danach inszenierte er einige Serienepisoden und verbrachte eine längere Auszeit in Mexico City, weit weg von allem, was mit Kino zu tun hat. Hier widmete er sich seiner sexuell sehr expliziten, oft rauschhaften Malerei, las den rumänischen Nihilisten Emil Cioran (»Vom Nachteil, geboren zu sein«) und machte eine ausgewachsene Existenzkrise durch.

Nach fünf Jahren meldet er sich nun zurück, inzwischen Mitte vierzig, und spielt in seinem neuen Film »Rotting in the Sun« einen Filmemacher namens Sebastián Silva, der sich in ein abgeranztes Apartment in Mexico City zurückgezogen hat, dort einem problematischen Ketaminkonsum und einer nicht minder ausgeprägten Depression samt Misanthropie frönt – und die erste Hälfte des Films nicht überlebt.

Zuvor hatte er beim Kurzurlaub an einem Nacktstrand für Schwule einen Mann aus den Fluten gerettet und wäre dabei fast selbst ertrunken. Der Typ ist Jordan Firstman, ein Influencer, der mit Sketchen auf Instagram über 800 000 Follower hat. Gespielt wird er von Jordan Firstman, als leicht übersteigerte Version seiner selbst. Firstman labert Silva so lange voll, bis der sich bereiterklärt, an einem Projekt mit ihm zusammenzuarbeiten, das »You Are Me« heißen und sich vor allem um einen drehen soll: Jordan Firstman. Doch als dieser kurz darauf in Mexico City auftaucht, ist Silva spurlos verschwunden. »Niemand ghostet Jordan Firstman«, zickt Firstman, der das plötzliche Abtauchen Silvas als persönliche Beleidigung auffasst und bald die mexikanische Haushälterin Vera (Catalina Saavedra, die Protagonistin aus »La Nana«) im Verdacht hat, mehr zu wissen, als sie zugibt. Seine sehr freie Übersetzungs-App auf dem Smartphone sorgt schnell für zusätzliches Chaos in diesem spanglischen Mischmasch.

So ist »Rotting in the Sun«, der nach der Sundance-Premiere im Januar ab 15. September exklusiv auf Mubi läuft, Fremdschämkomödie und durchgeknallte Detektivgeschichte, vor allem aber eine böse und sehr lustige Satire auf privilegierte Künstler, die Auswüchse des selbstbezüglichen Influencertums, die Klassengesellschaft in Mexiko und den USA und nicht zuletzt auf Silva selbst. Gedreht hat er in dem Studio, das er in Mexiko bewohnte, auch sein Bruder Juan spielt eine Version seiner selbst. Wer so viel beißenden Witz und Lust an der Provokation beweist, um den muss man sich wohl kaum Sorgen machen. Silva bleibt dabei gnadenlos: Von Hundekot in Großaufnahme über erigierte Penisse und schwulen Cruisingsex bis zur saftigen Kritik an HBO, auch sich selbst gegenüber, ist alles dabei: Seine Leiche holt bis zum Schluss niemand vom Dach – den Titel meint er todernst.

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