Buch-Tipp: Filmfestivals

Muss das alles live?

Die Pandemie zwang Filmfestivals 2020 zum Umdenken: Sollte man das Event ausfallen lassen, verschie­ben, ins Digitale verlagern? Im Jahr darauf, als lange unklar war, wie es weitergehen würde, galt es zu entscheiden, ob man das digitale Konzept beibehält, zu einem eingeschränkten Kinobesuch zurückkehrt – oder auf die Kombination der Modelle setzt. 

Im Sammmelband »Filmfestivals. Krisen, Chancen, Perspektiven« kommen – eingerahmt von vier eher grundsätzlichen Texten der Herausgeber, die die deutsche Festivallandschaft und den »Markt der Bewegtbilder« umreißen – die Verantwortlichen von 17 deutschen Filmfestivals zu Wort. Darunter finden sich etablierte wie Neugründungen, Festivals in Großstädten ebenso wie in der Provinz – leider informieren die Herausgeber nicht, warum gerade diese Festivals ausgewählt wurden. 

Man beginnt die Lektüre am besten mit den Texten, in denen sich die Festivalmacher chronikartig durch die Jahre 2020 und 2021 arbeiten. Sie beschreiben anschaulich ihre Überlegungen, die Entwicklung neuer Konzepte und die Probleme bei deren Umsetzung. Andere lassen im Rückblick ihre Entscheidungen Revue passieren, problematisieren sie und fragen, was sich daraus an Perspektiven für die Zukunft ergibt. 

Der Band heißt nicht »Filmfestivals im Zeichen der Pandemie« – diese hat notwendige Veränderungsprozesse aber ­beschleunigt. Das gilt vor allem für das immense Wachstum der Streamingdienste, aber auch für die Tatsache, dass die 20–29-Jährigen mit nur noch 15 Prozent heute die kleinste Gruppe unter den Kinobesuchern bilden. Alle Festivalmacher betonen die Bedeutung des Gemeinschaftserlebnisses im Kino; sie sprechen davon, dass ihr bisheriges Publikum Streaming eher als ­Ergänzungsangebot wahrgenommen hat, bemerken aber auch, dass mit der Onlineform neue Zuschauergruppen erreicht wurden. Das Onlinemodell wirft allerdings Fragen nach der Verantwortung gegenüber Filmproduzenten auf, die etwa in Form der Limitierung von Onlinetickets wahrgenommen wird oder durch die Begrenzung der Verfügbarkeit der Streams.

Hinausgehen über das einmalige jährliche Event, prämierte Festivalfilme ohne Verleih später nochmals vorführen, Filmschaffende bei der Finanzierung ihrer Filme unterstützen – die meisten Festivals verfügen heute über entsprechende ­Instrumente. Das Festival als Treffpunkt von Filmemachern und Publikum wird immer eine Säule der Filmkultur bleiben, aber Fragen nach der Verhältnismäßigkeit im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit stellen sich auch hier: »Ist es noch zeitgemäß, Regisseure elf Stunden fliegen zu lassen, um ein 30-minütiges Gespräch im Kino zu führen? Müssen die Filmemacher zum Abschluss anreisen, um einen Preis entgegenzunehmen? Was kann man durch Onlineformate ersetzen – ohne zu vergessen, dass Festivals von Begegnungen leben?« fragt zu Recht Albert Wiederspiel, scheidender Leiter des Filmfests Hamburg.

Eine willkommene Ergänzung zu dieser Publikation ist der im vergangenen Herbst von der Viennale herausgegebene Jubiläumsband »Viennale 60. On Film Festivals«. In 14 englischsprachigen Texten – überwiegend Dialogen, auch Interviews und Essays – kommen 24 Entscheidungsträger internationaler Filmfestivals zu Wort; Berlin, Cannes, Venedig, San Sebastián und Locarno sind mit dabei. Auch hier geht es um die Herausforderungen der Zukunft, darum, ob man nicht nur Filmemacher, die am Karrierebeginn stehen, unterstützt, sondern auch solche, die bereits einen Namen haben (aber nicht unbedingt immer für jedes Projekt leicht Gelder auftreiben können). Es geht darum, Filmgeschichte lebendig zu halten, und um das Verhältnis von »art and business«, das immer wieder neu durchdacht werden muss. In der einleitenden Gesprächsrunde von der Viennale 2021 ist auch Carlo Chatrian vertreten. Seine Äußerungen verdeutlichen den Verlust, der der Berlinale bevorsteht.

 


Tanja C. Krainhöfer/Joachim Kurz (Hg.): Filmfestivals. Krisen, Chancen, Perspektiven. Edition text + kritik, München 2022. 387 S., 34,90 €

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Rebecca De Pas/Eva Sangiorgi (Ed.): Viennale 60. On Film Festivals. Viennale. Wien 2022, 223 S., 12 €. In englischer Sprache.

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