arte-Mediathek: »Das Mädchen aus Kyjiw«

»Das Mädchen aus Kyjiw« (Serie, 2021). © Danko Vucinovic/Drugi Plan/Beta Film/ZDF/arte

© Danko Vucinovic/Drugi Plan/Beta Film/ZDF/arte

Noir vom Besten

Der alte Mann wollte angeln, sieht dann jedoch etwas, was ihn verstört. »Die sind doch nicht echt«, murmelt er. Und macht erst einmal ein Foto von der Mädchenleiche, die da am Ufer der Drau liegt. Sensationsgier ist es nicht, die den struppigen, abgerissen gekleideten Kozul zur Kamera greifen lässt. Er hat einen guten Grund, aber der erklärt sich erst später.

Die Polizei im kroatischen Osijek kürt ihn zum Hauptverdächtigen. Er hat die Leiche gemeldet, und er passt nicht in die Normvorstellungen der Beamten. Außerdem gibt es Druck von oben, der Fall soll flott einer Lösung zugeführt werden. Daraus wird nichts. Unweit des ersten Auffindeorts liegt eine zweite Leiche. Wieder ein Mädchen um die 13. Wieder eine Todesart, die nach Unfall aussehen soll. Aber der zerknitterte Ermittler Vladimir Kovac hegt Zweifel.

Auch der Journalist Stribor Kralj recherchiert. Er kämpft um eine Festanstellung, diese Story könnte ihn voranbringen. Er wird sich bald an die Seite Olga Romanchenkos stellen. Sie ist die Frau eines einflussreichen Politikers und besucht die Stadt, um an einer Spendengala für benachteiligte Kinder teilzunehmen. An diesem Abend erfährt sie, dass ihre Nichte Katja, der sie sehr verbunden ist, vermisst wird. Begleitet von ihrem Leibwächter, einem ehemaligen Polizisten, beginnt sie mit der Suche. Doch Katja wird von anderen gefunden. Ein Auto hat sie erfasst, der Fahrer ist flüchtig. Stribor Kralj erkennt als Erster, das die Fälle miteinander verknüpft sind.

Sofern man »noir« als Beschreibung filmischer Qualitäten begreift und als Einheit von Inhalt von Stil auffasst, ist dieses Etikett in den letzten Jahren allzu großzügig vergeben worden. Für die Serie »Das Mädchen aus Kyjiw«, eine ukrainisch-kroatische Koproduktion unter Beteiligung von ZDF/Arte, trifft die Bezeichnung zu. Die finstere, aber zurückhaltend inszenierte Geschichte hat engen Gesellschaftsbezug. Die Vorlage stammt von dem Journalisten und Romanautor Drago Hedl. Die Korruption in Behörden und höherer Gesellschaft liefert das Thrillerthema und ist nicht erdichtet.

Aber der Autor Marjan Alčevski und Regisseur Dalibor Matanić spinnen noch sehr viel feineres, sensibel umgesetztes Garn. Nachwirkungen der Balkankriege zeigen sich als Traumata, als körperliche Versehrtheit und als Verrohung. Die schwer erkrankte Mutter des Kommissars sehnt den Tod herbei. Seine Kollegin Vesna Horak sucht Kraft im stillen Gebet in der Kirche, um sich gegen die Zumutungen ihres Berufes zu rüsten.

Einen Kontrapunkt bildet die Beziehung zwischen Stribor und seiner Lebenspartnerin. Die beiden necken sich, spielen muntere Streiche – ein liebevolles, von tiefem Respekt geprägtes Miteinander. Auch die Liebe zweier älterer Menschen ist Thema, Sterbehilfe, Vernachlässigung von Kindern. Frauen beweisen Stärke bis buchstäblich zur letzten Minute. In Bildführung und Montage flossen pfiffige Ideen ein, ohne je zum selbstzweckhaften L'art pour l'art zu werden.

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