Mediathek: »Euer Ehren«

»Euer Ehren« (Miniserie, 2022). © ARD Degeto/ORF/SquareOne Productions/Mona Film/Tobias von dem Borne

© ARD Degeto/ORF/SquareOne Productions/Mona Film/Tobias von dem Borne

Verlust der Kontrolle

Richter Michael Jacobi ist ein angesehener Jurist, als liberal bekannt und möglicherweise kurz vor dem nächsten Karriereschritt, als ein Ereignis ihn mehr und mehr aus der Bahn wirft. Sein Sohn Julian hat, nachdem er gerade bei der Fahrprüfung durchgefallen ist, mit dem Wagen des Vaters einen Motorradfahrer angefahren und Fahrerflucht begangen. Selbstredend will der Vater mit ihm sofort zur Polizei gehen – bis er erfährt, wer das Unfallopfer ist: Sohn des kriminellen Clanchefs Radan Sailovic, den er einst zu einer langen Haftstrafe verurteilt hat. Das Eingeständnis der Schuld wäre tödlich für Julian. Also bemüht sich Jacobi um Vertuschung. Um das Unfallauto verschwinden zu lassen, hat er über einen einstigen Kleinkriminellen Franz, dem er seinerzeit zum Weg zurück ins bürgerliche Leben durch eine Anstellung beim Zoll verhalf, einen Draht zu willigen Helfern. Doch schon das geht schief. Immer weitere Kreise ziehen Jacobis nachfolgende Winkelzüge, immer mehr Personen werden mit hinein gezogen, solche, mit denen es Verbindungen aus der Vergangenheit gibt, und solche, die mehr zufällig hineinstolpern. Nach und nach muss der Richter all seine Prinzipien über Bord werfen.

»Euer Ehren« basiert auf der israelischen Serie »Kvodo« (2017). Während die hierzulande bisher nicht zu sehen war, lief das US-Remake »Your Honor« (2020) mit Bryan Cranston in der Rolle des Richters Anfang 2021 beim Bezahlsender Sky. Dass das US-Remake, das vermutlich einige der ARD-Zuschauer kennen dürften, in der Pressemappe der ARD mit keinem Wort erwähnt wird, stimmt skeptisch. Doch die Befürchtung erweist sich als grundlos: so wie die US-Version den Schauplatz New Orleans für ein Spannungsfeld zwischen dem Organisierten Verbrechen von Weißen einerseits und Schwarzen andererseits nutzte, so hinterlassen in der deutsch-österreichischen Version, angesiedelt in Innsbruck, die Grenze zu Italien und die Alpenkulisse ihre Spuren. Anders als in der fast doppelt so langen US-Version wird hier konzentrierter erzählt, auf einige der melodramatischen Verwicklungen zwischen den Figuren verzichtet und das Geschehen mit einer späten Enthüllung und einem wahrhaft bösen Ende gekrönt.

Der dffb-Absolvent David Nawrath, der vor zwei Jahren mit seinem Debüt »Atlas« einen bemerkenswerten Kino-Einstand gab und hier auch als Co-Autor verantwortlich zeichnet, hat das mit Tempo inszeniert, darüber aber nicht die plastische Zeichnung der Figuren vernachlässigt. Das gilt nicht nur für den Protagonisten, den Sebastian Koch nuanciert verkörpert, oder Paula Beer, die sich von der Akademikerin, die aus dem Milieu aus- und aufgestiegen ist, zur durchsetzungsfähigen Clanchefin entwickelt. Ein schönes Gespann bilden dabei Tobias Moretti als lokale Unterweltgröße »Der Fleischer«, jederzeit ein übergroßes Ego versprühend, und – der immer verlässliche – Rainer Bock (der sich in »Atlas« auch als kompetenter Hauptdarsteller zeigte, der es vermochte, einen Film zu tragen) als dessen stets umsichtig und gelassen agierende rechte Hand, genauso versiert in der Informationsbeschaffung wie darin, eigenhändig zu töten.

Euer Ehren, D 2022, R: David Nawrath; 6 x 45 Minuten, ab 2. April 2022 in der ARD Mediathek; Ausstrahlung: ARD, 9.4. (Folge 1-4), 10.4. (5+6)

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