Lionsgate+: »Gefährliche Liebschaften«

»Gefährliche Liebschaften« (Serie, 2022). © Lionsgate+

»Gefährliche Liebschaften« (Serie, 2022). © Lionsgate+

Feminismus im Rokoko

Der Briefroman »Gefährliche Liebschaften« von Choderlos de Laclos gilt als eines der Hauptwerke der französischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Ein Aristokrat und eine Aristokratin bekriegen sich auf dem Schlachtfeld der Emotionen und des gesellschaftlichen Ansehens. Nicht zufällig wurde der Stoff oft für die Leinwand adaptiert. In bester Erinnerung ist Stephen Frears' Version von 1988 mit Glenn Close in der Rolle der eiskalten Strippenzieherin und John Malcovich als unbarmherzigem Verführer. Für den Streaminganbieter Lionsgate hat Harriet Warner als Showrunner den Stoff nun zu einer Serie umgearbeitet. Mit einem Kunstgriff ersinnt sie eine Vorgeschichte zum Plot des Romans. Dabei gewinnt die Autorin alle Freiheiten, um den sophistischen Krieg der Emotionen an die Sehgewohnheiten des heutigen Streamingpublikums anzugleichen. Aus Valmont, in der Vorlage ein Adliger, ist ein Kartenzeichner des Pariser Katasteramts geworden. Verliebt ist er in die junge Camille – eine Verbeugung vor jener berühmten Szene in Frears' Verfilmung, in der Valmont auf dem Rücken einer Kurtisane einen Brief schreibt.

Die Prostituierte hofft darauf, mit Hilfe ihres Geliebten jenem Bordell zu entkommen, in dem sie sich verdingen muss. Als sie erfährt, dass Valmont zahlreiche Mätressen hat, unter ihnen die Marquise de Merteuil, die er mit verfänglichen Liebesbriefen zu erpressen gedenkt, kehrt sie ihm den Rücken. Damit nicht genug, bringt Camille die Briefe in ihren Besitz und bietet sie der Marquise zum Tausch dafür an, dass diese sie in die Kunst des Intrigierens in der adligen Gesellschaft einweiht.

Diese Wendung erscheint nicht nur reichlich konstruiert. Sie bürstet auch das Kernthema der Vorlage gegen den Strich. In Laclos' Roman führen die Marquise de Merteuil und Valmont einen amoralischen Krieg, in dem die Vernunft mit den Mitteln der Vernunft ad absurdum geführt wird. Die Serienversion, in der Camille sich durch geschicktes Taktieren eine Position im Hause der Marquise ergaunert, führt das Motiv des sozialen Aufstiegs ein. In den Fokus gerückt wird zudem das gegenwärtig populäre Motiv einer Solidarität unter »starken Frauen«. »Gefährliche Liebschaften« ist Feminismus in Rokoko-Kulissen.

Akzente setzt immerhin die visuelle Gestaltung. Bei den Außenaufnahmen im Paris am Vorabend der Französischen Revolution sind die computeranimierten Kulissen zwar kaum zu übersehen. Dank vielen Komparsen sowie sorgfältig und detailreich ausgestatteten Innenräumen entsteht dennoch eine dichte Atmosphäre aus Kerzenlicht, aufgetürmten Perücken und Schönheitsflecken.

Nicht zu überzeugen vermögen dagegen die Hauptdarsteller. Alice Englert als Camille und Nicholas Denton in der Rolle des Libertins bleiben eher farblos. Wie viele Serien der letzten Zeit ist auch diese in Nebenrollen auf programmatische Weise divers besetzt. Ein schwarz-weißes schwules Pärchen in der Opernloge? Warum nicht? Mit Laclos' Motiven hat diese Adaption allerdings nur noch marginale Berührungspunkte.

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