DVD-Tipp: »Im Westen nichts Neues« (1930)

© Universal Pictures

1930
Original-Titel: 
All Quiet on the Western Front
Filmstart in Deutschland: 
04.12.1930
L: 
136 Min
FSK: 
12
Verstümmelter Klassiker

Ob die nach kurzem Kinoeinsatz mittlerweile auf Netflix verfügbare Neuverfilmung von Erich Maria Remarques Roman »Im Westen nichts Neues«  einmal Klassikerstatus erreichen wird, ist noch nicht zu sagen. Bei der Erstverfilmung aus dem Jahre 1930 war dies schnell offenbar: ein kompromissloser Film, ein Kassenerfolg, der das kränkelnde Studio Universal rettete und mit zwei Oscars (bester Film, beste Regie) ausgezeichnet wurde, in die Filmgeschichte eingegangen auch wegen wiederholter Verstümmelungen. Entsprechend gab es mehrfach Restaurierungen. 

Die jüngste ist insofern bemerkenswert, weil sie nicht von einem Filmarchiv oder einer Sendeanstalt unternommen wurde, sondern von einem unabhängigen Filmanbieter. Die Berliner Firma Capelight hat zwar schon öfter verstümmelte Filme wiederhergestellt – so die deutsche Fassung von Roger Donaldsons »The Bounty«, die um 22 Minuten gekürzt war –, aber mit ihrer Ultimate Edition bringen sie die Filmgeschichte, die »Im Westen nichts Neues« schrieb, zu einem würdigen (vorläufigen?) Abschluss.

92 Jahre nach seiner Premiere beeindruckt der Film noch immer, sowohl in den Schlachtsequenzen, die Lewis Milestone und sein Kameramann Arthur Edeson in langen tracking shots filmten, als auch in den Dialogsequenzen, in denen eine starre Kamera sich ganz auf die Worte konzentriert – und nicht zuletzt im fast gänzlichen Verzicht auf Musik.

Dass am Tag nach der deutschen Premiere die Nazis Störaktionen gegen die Filmvorführungen begannen, die zu einem Verbot und der Wiederfreigabe erst nach weiteren Kürzungen führten, ist bekannt. Dass die Geschichte des Films aber auch später eine Geschichte fortlaufender Verstümmelungen war, weniger. Davon kann man sich jetzt anhand dieser Edition ein Bild machen. 

Die sehr kurze Einstellung, als von einem französischen Soldaten nach einer Bombenexplosion nur seine beiden am Stacheldraht hängenden Hände übrig bleiben, findet sich zwar im amerikanischen Trailer, aber nicht in mehreren Kinofassungen. Auch ein Gespräch der Soldaten über die möglichen Ursachen des Krieges wurde gekürzt, ebenso der nächtliche Besuch von Soldaten bei drei Französinnen. Die Neusynchronisation des ZDFs von 1984 verfügte zwar über prägnante Stimmen (u.a. Otto Sander und Maria Körber), besaß aber wenig Atmosphäre; die Figuren der alten Soldaten Kat und Tjaden haben erst in späteren Fassungen starke Akzente.

Capelight legt den Film in verschiedenen Editionen vor: DVD und Blu-ray enthalten die von Capelight restaurierte Fassung (DVD: 136 Min., Blu-ray: 142 Min.), die unter Verwendung von Material aus allen früheren Versionen entstand, als Extra beinhaltet sie Hans Bellers Dokumentation »Geschundenes Zelluloid« (ZDF 1984; 33 Min.), in der auch Hauptdarsteller Lew Ayres zu Wort kommt.

Für den Film selbst werden drei deutsche Tonspuren angeboten: von 2005 (für die DVD), von 1995 (WDR) und von 1984 (ZDF).

Eine 3-Disc-Mediabook-Edition enthält zusätzlich eine Blu-ray mit der »Internationalen Standardfassung«, restauriert von der Library of Congress, identisch mit der deutschen DVD- (2005) und Blu-ray-Veröffentlichung (2012) von Universal. Im 46-seitigen Booklet würdigt Hans Beller den Film.

Die auf 2500 Stück limitierte Ultimate Edition enthält ein zweites Mediabook mit drei Blu-rays, auf denen sich vier weitere Schnitt- und Synchronfassungen des Films finden. Als Bonus gibt es ein Interview mit Remarque von 1963. Im Booklet schreibt Ludger Holmenkamm über die verschiedenen deutschen Fassungen und Hans Beller analysiert »Was macht einen Kriegsfilm zum Antikriegsfilm?«. Dazu kommt ein durchnummeriertes Zertifikat mit einem Text zur Restaurierungsarbeit von Capelight und eine Reproduktion des »Illustrierten Film-Kuriers« (1930) sowie acht Aushangfotos.

Nach der Lektüre kann sich der Zuschauer anhand der verschiedenen Fassungen selbst ein Bild von den Verstümmelungen machen. Gerne hätte man hier einen visuellen Essay gesehen, der mit Filmclips die diversen Kürzungen nebeneinanderstellt und auch die Synchronisationen vergleicht, aber auch so ist dies eine höchst verdienstvolle Veröffentlichung.




VÖ: 4. November 2022

Bestellmöglichkeit (DVD+Blu-ray)

 

 

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