Disney+: »Hawkeye«

»Hawkeye« (Miniserie, 2021). © 2021 Disney/Marvel

© 2021 Disney/Marvel

Keine zynische Coolness mehr

»I'll be home for Christmas«, verspricht Clint Barton (Jeremy Renner) seiner Frau und den drei Kindern. So ein Satz, am Anfang eines Films oder einer Serie gesprochen, kann eigentlich nur heißen, dass das nichts wird. New York in vollem Lichterglanz, gigantische Weihnachtsbäume aus bunten Lichtern, weihnachtliches Treiben, umspült von festlichen Weihnachtsliedern: Die Idylle schreit förmlich danach, kunstvoll zerlegt zu werden – von Schurken, denen nichts heilig ist.

Die Marvel-Eigenproduktionen hatten schon immer einen »soft spot« für Außenseiter, für skurrile MCU-Sonderlinge, die allesamt nicht so viel Aufhebens um ihren Superhelden-Status machen und dafür mit einer guten Portion sympathisch respektloser Selbstironie ausgestattet sind. In besonderem Maße gilt das für die jüngste Welle der Serien, von »WandaVision« über »Loki« bis »Hawkeye«, in denen es mehr um intime Beziehungen in Freundschaft und Familie geht.

In der ersten Folge von »Hawkeye« fängt das schon mit der Verballhornung der Avenger-Heldentaten in einem fidelen Musical an. Angesichts des familienfreundlich bunten Treibens, in dem Hulk, Captain America und Iron Man in Trikots singend über die Bühne hopsen, kann Clint nur die Stirn runzeln. Er wisse ja schließlich, was passiert sei, entschuldigt er sich für sein Desinteresse bei seiner Tochter, er sei ja dabei gewesen – anders als Antman, der in der Bühnenversion fälschlich dazugedichtet wurde. So geht es in »Hawkeye« auch um die absurden Auswüchse des Fandoms, von der albernen Musical-Nacherzählung über den übergriffigen Selfiewunsch am Pissoir bis hin zu Feuerwehrleuten und Polizisten die sich in der Freizeit zum LARP (Live Action Role Play) in die Kostüme ihrer Helden werfen.

»Hawkeye« war schon immer der Bodenständigste unter den Superhelden, schon weil er keine Superkraft besitzt, sondern einfach nur besonders gut im Bogenschießen ist, aber auch weil er die echte Familie über die Avenger-Ersatzfamilie stellte. Man spürt in der Serie, dass er der ganzen Sache unendlich müde ist. Widerwillig eingeholt wird er von seiner ungeliebten Vergangenheit, als ein wendiges Mädchen in seinem Ronin-Outfit durch die Straßen von New York flitzt und damit seine alten Feinde auf sich zieht. Weil er sich dieser Verantwortung nicht entziehen kann, entspinnt sich daraus ein Action-Abenteuer mit Buddymovie-Qualitäten, in dem die schlagfertigen Screwball-Dialoge das Superhelden-Brimborium auf charmante Weise erden.

Hailee Steinfeld spielt den Superhelden-Rookie in einem schönen Mix aus Teenieschwärmerei und Respektlosigkeit: »Bei all dem Mist, der passiert, wollen die Leute diese zynische Coolness nicht mehr«, informiert sie ihren widerwilligen Mentor. »Sie wollen eine herzliche Wahrhaftigkeit.« Mit dieser Erkenntnis und jeder Menge Humor hat die Serie das Zeug zum Weihnachtsklassiker, auf einer Stufe mit »Die Hard« oder »Kevin allein zu Haus«.

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