Amazon: »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo«

»Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« (Serie, 2021). © Constantin Television/Mike Kraus

»Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« (Serie, 2021). © Constantin Television/Mike Kraus

Von Junkies zu Influencern

Ein Privatjet auf dem Flug nach New York, an Bord eine bunte Truppe Künstler, Groupies und Paradiesvögel. Es wird an der Bar geplaudert, geraucht und getrunken, bis Turbulenzen die Maschine durchrütteln. Eine junge Frau mit punkigen Haaren (Jana McKinnon) steht seelenruhig auf und geht hinüber zu einem distinguierten Herrn im Maßanzug ­(Alexander Scheer). Sie zieht an ihrer Zigarette und blickt ihn lange an, während er sich an seinem Sitz festkrallt, und beugt sich dann zu ihm: »Keine Angst, wir stürzen nicht ab. Ich bin unsterblich.« Die beiden, die sich da über den Wolken begegnen, sind zwei Ikonen des Westberlins der siebziger Jahre, Rockstar David Bowie und Christiane F., die als heroinsüchtige Antiheldin des »Stern«-Reportagebuchs »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« Schullektüre wurde und mit Uli Edels Kinofilm auch jenseits der BRD bekannt wurde. Eine ganze Generation konnte sich mit diesen Jugendlichen identifizieren, mit ihren Problemen zu Hause und in der Schule ebenso wie mit dem Kribbeln im Bauch bei der ersten Liebe oder wenn sie es am Türsteher vorbei ins »Sound«, die legendäre Berliner Diskothek, geschafft hatten. Buch und Film zeigten aber auch die Faszination, die von Drogen ausgeht, die anfängliche Euphorie des Rausches und den Teufelskreis aus Abhängigkeit und Absturz, und wie die Sucht nach harten Substanzen, vor allem Heroin, zu Prostitution und Beschaffungskriminalität führt und schon 14-Jährige kaputtmacht. Christiane F., Detlef und die anderen Kinder vom Bahnhof Zoo wurden zum Inbegriff juveniler Selbstzerstörung, die schockierte und faszinierte zugleich.

Mit diesem (fiktiven) Gipfeltreffen über den Wolken beginnt nun fast vier Jahrzehnte später eine Neuverfilmung ihrer Geschichte, diesmal als achtstündige Miniserie auf Amazon, und macht damit gleich die Fallhöhe deutlich. Noch vor den ersten Bildern schränken die Macher um Chefautorin Annette Hess (»Weissensee«) in einem Insert ein, dass die Serie zwar auf den Erlebnissen von Christiane F. beruhe, aber: »Einzelne Personen sowie Ereignisse in ihrem Freundeskreis und familiären Umfeld sind fiktionalisiert oder frei erfunden«. 

Zum urbanen Mythos war Christiane F. schon lange geworden, und so ist der Ansatz, ihre Geschichte einer historischen Ära zu entreißen und zeitlos zu machen, nur konsequent. Der Bahnhof Zoo, nachgebaut in der Großkantine eines Industriegeländes in Tschechien, ist mit den Fahrkahrtenschaltern, Geschäften bis hin zu den Fliesen zwar ziemlich nah dran am Original, auch so manche Wohnung oder Eckkneipe lässt den Mief der Mauerstadt erahnen. Doch die Kostüme, die Frisuren, der eklektische Soundtrack – alles ist in dieser aufwendig produzierten Serie auf nicht datierbare Art cool. Doch vor allem der Sehnsuchtsort und die zweite Heimat der Clique, das »Sound«, gleicht mit seinem Design und der zentralen Mischpultkanzel, auf der der DJ wie ein göttlicher Verführer angehimmelt wird, eher Technotempeln der nuller Jahre. 

Wo Uli Edels Kinoadaption auf möglichst realistische, drastische Darstellung setzte, versucht es die von den Constantin-Produzenten Oliver Berben und Sophie von Uslar verantwortete und von Regisseur Philipp Kadelbach inszenierte Serie mit surrealer Überhöhung, die vor allem in den Rauschvisionen Erinnerungen an »Trainspotting« weckt. So soll der Stoff für eine neue Generation aufbereitet werden, verliert aber viel von der dreckig-düsteren Anmutung des Vorwende-Berlins und funktioniert in seiner auf Hochglanz polierten Zeitlosigkeit nur bedingt. Heroin ist als Droge mit einer bestimmten Ära und ihrer Attitüde verbunden, in Technoclubs wie dem »Berghain« werden heute andere Party­substanzen konsumiert als vor 40 Jahren. Was den Achtteiler dennoch sehenswert macht, ist das mit herausragenden, wenig bekannten Darstellern besetzte Ensemble, das den jugendlichen Sturm und Drang nach Freiheit und zugleich Zugehörigkeit sehr glaubhaft verkörpert. Diese Sehnsucht ist heute so relevant wie damals, auch wenn die Charaktere eher wie Influencer als wie Junkies aussehen.

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