Filme in Schatztruhen: Mediabooks

»Picknick am Valentinstag« (1975). © Koch Media

»Picknick am Valentinstag« (1975). © Koch Media

Schon auf dem Titel verlocken exklusives Artwork oder historische Plakatmotive. Wer mehr erwartet als einfach nur 86, 98, 102, 118 oder 125 nackte Minuten Film, dem sei das reichhaltige Angebot der Mediabooks empfohlen. Statt lieblos an einer Plastikhülle zu nesteln, darf man ein kompaktes Buch aufschlagen, in dem sich die ganze Welt eines Films mit seiner Entstehungs- und Wirkungsgeschichte eröffnet. Im schlechtesten Falle wird eine Filmveröffentlichung mit ein paar flüchtigen Featurettes und schlampigen Texten halbherzig aufgemotzt, im besten Falle kann sie zur Schatztruhe werden, in der lang verschüttete, übersehene, vernachlässigte oder belächelte Schätze geborgen, in der Klassiker, aber auch vergessene Perlen und Trash-Preziosen in Wort, Bild und Dokumentationen cineastisch gefeiert und filmhistorisch aufbereitet werden. Besondere Meriten hat sich in diesem Bereich das Label Koch Media erworben, seit Jahren bringen sie dort entlegene Western, Horror- und Creature-Blüten und Film-noir-Klassiker in schön aufgemachten Mediabooks heraus, begleitet von Texten, die den jeweiligen Film in ein Netz von Bezügen einordnen.

Etwa »Das alte, finstere Haus« von William Castle. Das Murder Mystery im alten englischen Spukhaus ist kein großes Meisterwerk, aber doch eine denkwürdige Verbindung zwischen dem amerikanischen B-Movie-Regisseur und dem britischen Traditionsstudio Hammer-Films, das in farbig gedrehten, aber schwarz-weiß veröffentlichten Versionen gesichtet werden kann. Unter dem Titel »Not too Spooky« ordnet Schauspieler und Filmhistoriker Jonathan Rigby den Film zwischen Ealing Comedy und Hammer Horror ein, spinnt ein unterhaltsames Netzwerk von Inspirationslinien und Bezügen und lenkt den Blick auf bizarre Details, wie das notdürftig mit einem Ast geflickte Geländer im Foyer des Hauses oder die James-Bond-Anspielung in einer Casinoszene (»The name is Fenn, Casper Fenn«). 

Auf subtilere und vielschichtigere Weise nähert sich Jack Clayton in »Das Schloss des Schreckens« (erschienen bei Capelight, dem zweiten großen Player im filmhistorisch geprägten Mediabook-Bereich) dem haunted house horror, mit Deborah Kerr in einer ihrer wichtigsten Rollen. Kleine Featurettes erschließen verschiedene Aspekte des Films, wie die literarische Vorlage von Henry James, eine Analyse des haunted house-Settings, bis zur Gestaltung der Kostüme, wobei die farbigen Originalskizzen einen schönen Kontrast zu den schwarz-weißen Filmszenen bilden. Besonders informativ und vergnüglich ist eine ausführliche Einführung des Kulturwissenschaftlers Sir Christopher Frailing, der auch den Audiokommentar beigesteuert hat und an den Drehorten des Films von seiner Entstehung erzählt, unter anderem von Truman Capotes Beteiligung am Drehbuch.

Eine kostbar praxisnahe Annäherung bietet hingegen das Mediabook von Monte Hellmans »Asphaltrennen« (Two Lane Blacktop). 37 Jahre nach dem Dreh des drag race-Kultfilms begibt sich der Regisseur zusammen mit angehenden Filmemachern auf die memory lane. Im engen Innenraum eines Großraumwagens – leider kein 55er Chevy­ – fahren sie die Stationen der Entstehung auf der legendären Route 66 ab, während der charismatische Filmemacher Rede und Antwort steht. Viele persönliche Gedanken über die Entwicklung und Finanzierung des Stoffs fügen sich da zur exklusiven Masterclass.

Auch ein Film, den man gar nicht ernsthaft auf dem Schirm hatte, kann durch ein Mediabook zur filmischen Entdeckung werden, wie »Rollerball« von Norman Jewison, über ein ultragewalttätiges, fiktives Spiel, das in einer distopischen Zukunft, in der die Nationen durch Konzerne verdrängt wurden, zum Kriegsersatz wird. Highlight des üppig ausgestatteten Mediabooks ist, neben Marco Heiters »Gedankenspielerei« zum Thema Gladiatorenspiele in Gesellschaft und Kino im Booklet, eine 90-minütige Dokumentation, die unter dem Titel »From Rollerball to Rome« einen Bogen vom alten Rom über amerikanische, dystopische Actionfilme wie »Die Klapperschlange« oder »Mad Max« zu den italienischen, postapokalyptischen Exploitationfilmen der 70er und 80er Jahre zieht, deren Regisseure, Kameraleute und Darsteller ausgiebig zu Wort kommen. Im Kontrast zu manch sprödem Nerd lässt der Schriftsteller und Filmexperte Kim Newman, äußerlich eine Art Einstein der Filmgeschichtsschreibung, die Funken seiner eigenen Leidenschaft überspringen. Mitreißende Erzähler und leidenschaftliche Filmliebhaber, die enzyklopädisches Wissen lebendig und anschaulich vermitteln können, sind die heimlichen Stars der Mediabooks.

Zu den eher bizarren Entdeckungen gehört auch »Rhea M«, das Regiedebüt des Autors Stephen King, eine wüste Zerstörungsorgie, in der Aliens in Maschinengestalt vom Toaster über den Rasenmäher bis zum Riesentruck auf die Menschheit losgehen, ein Motiv, das der Autor drei Jahre zuvor schon im intimen Maßstab von »Christine« erforscht hatte. Passend zum trashigen Camp des Films treibt auch das Bonusmaterial wunderbare Fan-Blüten.

»Picknick am Valentinstag« vom damals noch weitgehend unbekannten Peter Weir ist der Film, der Australien 1975 auf der Kinoweltkarte verankert hat und schon darum dankbarer Stoff für das bei Koch erschienene Mediabook ist. In ihm werden die Aussagen von Crew und Schauspielern zum vielstimmigen Puzzle über die Entstehung dieses geheimnisvollen Films über das mysteriöse Verschwinden von drei Schülerinnen und einer Lehrerin in der schwülen Hitze eines Sommers. Auch hier mischt sich nostalgische Erinnerung mit praktischer Anleitung, wenn der Regisseur etwa erläutert, wie er mit suggestiven Geräuschen, hypnotischen Musiken, leicht veränderten Bildgeschwindigkeiten und Großaufnahmen wimmelnder Insekten diffuse Unruhe schürte.

Bei der Ultimate Edition von Guillermo del Toros »Pan's Labyrinth« ist schon das Öffnen der opulenten goldgeränderten Box, als würde man eine Schatztruhe öffnen oder in einem der alten Märchenbücher blättern, die den Regisseur inspirierten. Im Audiokommentar stellt er vielfältige Bezüge zu seinen anderen Filmen, zu Literatur und Kunst her und erläutert seine Herangehensweise, vertieft von einem Booklet mit den Storyboardzeichnungen. Eine Fülle begleitender Featurettes gewährt kostbare Einblicke in die Werkstätten, Filmarchitekt Eugenio Caballero führt durch seine Kulissen, Kameramann Guillermo Navarro erlaubt einen Blick aus der erzählerischen Kinderperspektive und die Körpermasken des Fauno und des Pale Man werden dem Schauspieler Doug Jones auf den Leib geschneidert. Ein besonderes Highlight ist die knapp zweistündige Dokumentation »Der Frankenstein Komplex«, ein historischer Abriss von den frühen Monstern wie Frankenstein über Godzilla und Alien bis zu den modernsten Kreationen in »Avatar«, in der die großen Special-Effects-, Make-up- und Animatronic-Tüftler über ihre Arbeit und deren Wandel durch die digitalen Möglichkeiten sprechen. 

Meistens entstehen die Mediabooks aus der zeitlichen Distanz des filmhistorischen Blicks, manchmal aber kann eine besondere Filmschöpfung auch schon eher nach besonderer Würdigung schreien, wie Bong Joon-hos vierfacher Oscarpreisträger »Parasite«, der parallel in zwei unterschiedlichen Sammlerausgaben bei Capelight und Koch erschienen ist. Das Bonusmaterial besteht neben Marco Heiters Kultur- und Filmgeschichte der Parasiten im Booklet vor allem aus diversen Gesprächen, Q+As und einer Masterclass auf dem Filmfestival in Toronto, wo der Regisseur in den Cafés wohl am Drehbuch zu Parasite bastelte. In den unterschiedlichen Auftritten lernt man einen entwaffnend sympathischen, jungenhaften und bescheidenen Mann kennen, der auf der Bildebene mit klaren Vorstellungen an den Set kommt, den Schauspielern aber viel Raum lässt, um ihre Wahrhaftigkeit zu entfalten.

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