Streaming-Tipp: »The OA« Teil 2

Teil 2 © Netflix

Gaga oder Ernst

Engelsgleich fährt sie am Ende gen Himmel. Mit Triumph und einem buchstäblichen Heiligenschein. Ist Brit Marling, die zusammen mit dem Regisseur und Drehbuchautor Zal Batmanglij für die Netflix-Serie »The OA« erneut am Buch partizipierte und die Hauptrolle spielt, nun völlig abgehoben? Trotz einiger Berührungen mit vulgären Fantasymotiven sind die acht neuen Episoden der Mysteryerzählung durchaus packend. Lange Zeit hat man jedoch keinen blassen Schimmer, worauf die Geschichte überhaupt hinausläuft.

Die Serie nimmt sich Zeit. Markante, geschmackvoll beobachtete Motive aus San Francisco, mit denen die Serie sich unauffällig vor Hitchcocks »Vertigo« verbeugt, erzeugen einen visuellen Sog. Mit der Figur des privaten Ermittlers Karim Washington (Kingsley Ben-Adir) verschiebt sich der Fokus diesmal auf eine klassische Detektivgeschichte. In Anspielung an Philip Marlowe fährt er ein auffällig unscheinbares Antiauto, einen orangefarbenen Saab, der auf coole Weise uncool ist. Die Spur führt ihn in die Szene avancierter Gamer, die sich im Labyrinth einer »augmented reality« verirren. Der Blick auf diese Nerds, die nicht mehr miteinander kommunizieren, weil das Suchtpotenzial der virtuellen Welt ihren Verstand absorbiert, knüpft an den Erzählstrang der ersten Staffel an. Ins Zentrum der Plots rückt erneut der »Mad Scientist« Hap (Jason Isaacs), der in der ersten Staffel eine Gruppe junger Menschen gefangen hielt, um deren gewaltsam herbeigeführte Nahtod­erfahrungen zu studieren.

In der Parallelwelt der zweiten Staffel benutzt er nun ein avanciertes Smartphone-Spiel als Köder. Wer sich in dieser verschärften Version von »Pokémon Go« verheddert, landet unversehens in Haps Psychiatrie. Mittels einer aufs Unbewusste konzentrierten Rasterfahndung durchforstet er die Träume mathematisch begabter Autisten. Das Motiv erinnert an das Trailblazer-Projekt der NSA, mit dem der Geheimdienst nach 9/11 aus der Kakophonie der sozialen Medien potenzielle Anschlagspläne herausfiltern wollte. Hap durchforstet die Träume von Computer-Nerds jedoch nicht nach Terrorgedanken, sondern nach wiederkehrenden Traummotiven. Die dabei entstehende Landkarte des Unbewussten, eine Art »Cloud Atlas«, soll die chaotischen Dimensionssprünge des Seelenwanderers koordinieren.

Gewiss, das klingt vollkommen gaga. Der Plot hat jedoch die Stimmigkeit einer psychotischen Erzählung, die in sich völlig logisch ist. Um Glaubwürdigkeit im Absurden zu erreichen, werden selbstironische Brechungen vermieden. Die Serie nimmt Figuren wie die korpulente Lehrerin BBA (grandios: Phyllis Smith), die mit einer Gruppe Teenager durchs Land irrt, sehr ernst. Wie die erste Staffel punktet auch die zweite mit gruselig schönen Szenen an der Grenze zum Trash. Im Schlüsselmoment sitzt Brit Marling auf einer barock anmutenden Theaterbühne. Wodkabetäubte russische Exiloligarchen bezahlen viel Geld, um mit anzusehen, wie die junge Frau eine Nahtod­erfahrung performt – indem sie sich von einem sprechenden Riesenkraken er­würgen lässt. Diese unheimliche Begegnung der perversen Art prägt den ganz eigenen Tonfall der Serie, die trotz gelegentlicher Verirrungen immer wieder zurück in die Spur findet.

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