Streaming - Neue Geschäftsmodelle

Fernsehen ist nicht mehr Fernsehen
Kevin Spacey in "House of Cards"

© Berlinale

Aus Fernsehen wird episodisches Erzählen: Die neuen Verbreitungsmöglichkeiten von Filmen und Serien im Internet verändern den Begriff des Mediums. Aus Anbietern wie Netflix und Amazon werden Produzenten, die demnächst noch besser wissen, was ihre Kunden wollen

Fernsehen sei das Medium, das mehr als alle anderen noch im 20., nein sogar im 19. Jahrhundert stecke, behauptet ein Softwareingenieur in Dave Eggers anti-utopischem Roman »The Circle«. Im sogenannten »Google-Hasser-Buch«, das den nahtlosen Übergang von digitaler Revolution zur totalitären Herrschaft eines Konzerns schildert, erscheint ausgerechnet das Fernsehen aus der Perspektive der smarten Innovatoren von Internet und Social Media als der »letzte Ort, an dem die Kunden nie das bekommen, was sie wollen. Das letzte Relikt eines feudalen Arrangements zwischen Macher und Zuschauer.«

Eggers satirisch zugespitzte Perspektive übergeht, dass das Fernsehen mit seiner Senderwahl per Fernbedieung unter den Medien lange Zeit als das »populistischste« galt, das Medium, in dem der Geschmack der Masse (Quoten!) eine ständige Absenkung des Niveaus diktiere, in dem sich die Macher also wie zwanghaft am Willen der Zuschauer orientierten. Das neue Image des Fernsehens als »altes« Medium hat nicht nur damit zu tun, dass ihm sowohl in den USA als auch bei uns die jungen Zuschauer weglaufen, sondern auch damit, dass die Sender nur langsam beginnen, die Möglichkeiten des Internets zu nutzen, um ihre Inhalte zu verbreiten. Es steigen die Nutzerzahlen und das Angebot der Mediatheken, nebenbei aber etablieren sich immer mehr Dienste, die die klassischen Fernsehinhalte »Serien und Filme« im Internet direkt als Streaming gegen Einzelgebühren beziehungsweise Flatrates anbieten (watchever.de; maxdome.de; videoload.de). Zwar vermissen hierzulande vor allem die Serienfans immer noch einen so gut bestückten und leicht zu bedienenden Dienst, wie es Netflix in den USA darstellt. Der Trend ist jedoch unverkennbar: Mit der wachsenden Popularität des Streamings vor allem von Serien verändert sich das, was unter »Fernsehen« überhaupt verstanden wird. Einerseits versucht die Kinobranche den produktiven Zweig der Qualitätsserien auf ihre Seite des Geschäfts zu bringen – so wurden auf der Berlinale in diesem Jahr die ersten zwei Episoden der zweiten Staffel der Serie House of Cards als filmisches Ereignis präsentiert, wie es sich fürs Kino gehört, in Anwesenheit des Regisseurs Carl Franklin. Im nächsten Jahr, so heißt es, würde sich der Filmmarkt der Berlinale für den Handel mit Serien öffnen. Man nennt es nun: »episodisches Erzählen«.

Andererseits ist House of Cards das Paradebeispiel für einen anderen Trend: Fernsehinhalte wie Serien entstehen außerhalb der etablierten Senderstrukturen. Während Netflix mit House of Cards erstmal als Serienproduzent Furore machte, stieg auch Internethandelsriese Amazon ins Geschäft ein. Mit seiner bislang nur für Kunden in den USA angebotenen »Amazon Pilot Season« verfolgt der Konzern dabei eine neue Strategie: Er bietet gratis im Netz »Pilots« von bis zu zehn verschiedenen Serien an. Darüber, welche dann tatsächlich als ganze Staffel realisiert werden, sollen die Nutzer mit ihren Wertungen abstimmen.

Im letzten Jahr gehörten zu den weiterproduzierten Serien die Comedy-Shows Alpha House und Betas. In Alpha House spielt John Goodman einen von vier konservativen Abgeordneten im amerikanischen Repräsentantenhaus, die sich ein Haus teilen. Der Politsatire gelingt dabei eine bissige Parodie auf den Betrieb in Washington, die sich durch eine Dosis Melancholie wohltuend vom üblichen Genre-Slapstick absetzt. Auch Betas ist eine Milieustudie; die Serie zeigt ein junges Start-up-Unternehmen, das aus drei Nerds besteht, die versuchen eine Dating-App zu lancieren.

In diesem Jahr stellte Amazon mit der Krimiserie Bosch einen weiteren vielversprechenden Kandidaten vor. Darin erweist sich Titus Welliver (Lost) als Idealbesetzung für den von Michael Connelly in seiner »Harry-Bosch«-Serie erfundenen Polizeiermittler in Hardboiled-Tradition. Viel Zuspruch erfuhr auch der Pilot zu Transparent, in dem Jeffrey Tambor (Arrested Development) ein transsexuelles Familienoberhaupt verkörpert.

Parallel zur zum zweiten Mal stattfindenden »Pilot Season« ging Amazon nun noch weiter in die Offensive und schaltete sein Streaming­angebot Amazon Instant Video für alle Kunden mit Prime-Mitgliedschaft frei. In Deutschland bedeutete das, dass sich der Lovefilm-Dienst in zwei Sparten aufteilte, wobei Amazon-Prime-Kunden von nun an Zugriff auf die Streaming-bibliothek von Lovefilm haben, für die DVD-Ausleihe aber extra bezahlen müssen. Der Sinn dieser Aktion scheint offensichtlich: Amazon will sich mit Wucht am Streamingmarkt platzieren.

Mit seinen ruchlosen Geschäftspraktiken, die Amazon den Ruf des Vernichters von Buchläden, Verlagsstruktur und Ladenkultur überhaupt eingebracht haben, und als Arbeitgeber, der seine Mitarbeiter bespitzelt, drangsaliert und schlecht bezahlt, gehört es nicht zu den beliebten Unternehmen. Seine Kunden aber, zumal seine Prime-Kunden verwöhnt Amazon geradezu mit Serviceversprechen, günstigen Preisen und, ja, einer manchmal auch unheimlichen Art und Weise, deren Wünsche abzulesen.

Um eben jene Wünsche zu erforschen, hat Amazon von Beginn an die eine Seite der neuen Technologien mit großem Effekt ausgebeutet: die Möglichkeiten der Datensammlung. Der Buchversand im Internet war so gesehen nur der Einstieg, um an die Daten der Kunden heranzukommen und deren Gewohnheiten zu erforschen. Darauf, was Amazon demnächst mit den über Instant Video ermittelten Daten anfangen wird, kann man deshalb in der Tat gespannt sein. Mehr noch als das herkömmliche Fernsehen wird Amazon darauf verweisen können, dass es dem Zuschauer ganz genau das gibt, was er will.

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