Nahaufnahme von Jamie Dornan

Die Gefahr der perfekten Proportionen
Jamie Dornan in »Belfast« (2021). © Rob Youngson / Focus Features

Jamie Dornan in »Belfast« (2021). © Rob Youngson / Focus Features

Jamie Dornan begann seine Karriere zwar als Model, verschafft sich aber zunehmend mit der Darstellung von ambivalenten Figuren den Ruf eines Charakterdarstellers 

Der Song »I wanna be a male model« der Punkband »The Undertones« war 1979 eine Provokation. Die schrägen, nordirischen Gesichter der Band schienen so gar nicht geeignet, Konnotationen von »Schönheit« hervorzurufen. Aber auch das steinige Nordirland brütet »Models« aus: Jamie Dornan zum Beispiel. Und nur die auf der Insel rar gesäten Agnostiker:innen würden die Tatsache, dass der Schauspieler aus einem 11 000-Seelen-Kaff namens Holywood nahe Belfast stammt, nicht als Zeichen sehen. 

»Beauty is luck, and beauty makes luck« begann 2006 ein New-York-Times-Artikel über Dornan, betitelt war er mit »The Golden Torso«. Das damals 24-jährige »male model« hatte kurz zuvor seine erste Filmrolle bewältigt, einen kleinen Auftritt als adeliger Verführer in Sofia Coppolas Biopic »Marie Antoinette«. Im Film wirft er der Titelheldin zunächst Blicke aus glühend-dunklen Augen unter der Rokoko-Perücke zu. Später wird geküsst, der »goldene Torso«, von dem Fotografen wie Bruce Weber behaupteten, er habe (für einen mit 1,82 nicht ganz modelgroßen Mann) die perfekte Proportion, hat selbstredend auch einen Auftritt. Jenen Torso hatte Dornan eh bereits mit 21 Jahren (halb-)nackt für eine Kampagne des Modeunternehmens Abercrombie & Fitch präsentiert, fotografiert von Weber, der ihn danach regelmäßig für immer elegantere Modemarken ablichtete.

Dass Dornan, der mit der Oscarpreisträgerin Greer Garson verwandt ist und bereits als Schüler leidenschaftlich Theater (und Rugby) spielte, zum Schauspiel wechseln wollte, passte also. Doch »beauty is luck« ließ auf sich warten: Nach Sofia Coppolas Film, der einigen Kritiker:innen zu »poppig« war, verliefen sich viele von Dornans Schauspielambitionen. Er sei zu schön, hieß es, zu sehr Mannequin. Vor allem war er wohl zu ungelernt – er absolvierte nie eine Schauspielausbildung; das College hatte er eh bereits 2002 abgebrochen, um nach London zu ziehen. Dort bildete er die eine Hälfte eines Folk-Duos, bei einem Fernsehauftritt aus dem Jahr 2005 performen er und sein Bandkollege einen mit romantischen Allgemeinplätzen gepflasterten Song namens »Fairytale«, Dornan steht etwas schräg und angestrengt am Mikrofon und singt zart, heiser und tief. Das Ganze wirkt wie eine Boygroup, der sowohl die Mitglieder als auch das Management flöten gegangen sind. 

Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Und Dornans Mischung aus irischer Naturburschenschaft und jenen vielgerühmten Proportionen fand langsam Anklang. Nach einigen Fernsehrollen traf er 2013 eine wichtige Entscheidung: In Allan Cubitts morbider und vielschichtiger Serie »The Fall« spielte er einen Serienkiller, der in Belfast Frauen mordet. Cubitt teilte den Fokus der nach einem echten Fall konzipierten Erzählung auf – auf der einen Seite ermittelte mit Stella Gibson (Gillian Anderson) eine souveräne, psychologisch eloquente Kriminalkommissarin, die ebenso überzeugend mit Gendertheorien aufwartet wie mit Empathie. Auf der anderen Seite ist Dornan als mental kranker Verbrecher, der nach außen den ruhigen Familienmenschen gibt, dem Publikum von Anfang an bekannt. Somit rückt nicht das »whodunit«, sondern das »why« in den Mittelpunkt – und wie Dornan den Spagat meistert, seine komplexe Figur weder sympathisch noch abstoßend anzulegen, ist beeindruckend. Als Vorbereitung für die Rolle habe er stundenlang Ted-Bundy-Interviews angeschaut, erzählte Dornan. 

»The Fall« (Serie, 2013-2016). © BBC

Wenige Monate nach der Ausstrahlung der ersten Staffel im Jahr 2013 folgte die Einladung zu einem Casting für einen weiteren ambivalenten, wenn auch nicht tödlichen Charakter: Der in der Filmwelt noch unbekannte Nordire übernahm die Hauptrolle in der Kinoadaption von E. L. James' über 70 Millionen Mal verkaufter Erfolgstrilogie »Fifty Shades of Grey« (nachdem Charlie Hunnam kurzfristig ausgestiegen war). Die sehnsüchtig erwartete, mit Begriffen wie »Mommyporn« und »neue Unterwerfungslust« vorab lüstern gebrandmarkte Produktion, die auf sprachlich reiz- und ideenlos geschriebenen, gleichzeitig aber als »Triumph des weiblichen Blicks in der Kultur« gelobten Büchern basierte, hatte eine schwierige Entwicklungsgeschichte. Mit Sam Taylor-Jones befand sich zwar eine mutige und feministische Regisseurin an Bord, die Buchautorin und Produzentin James war jedoch Filmlaiin, zudem überprotektiv und apodiktisch. Dornan, der seine Chance und die Dollarzeichen sah, unterschrieb dennoch – und meisterte neben den vielen erwartbaren »Golden Torso im Spielzimmer«-Bildern alberne Szenen wie das halbnackte Aufs-Bett-Klettern, um seiner Freundin Anastasia (Dakota Johnson) »sexy« vom Toastbrot abzubeißen. 

Nach einem wilden, in der Vanity Fair detailliert beschriebenen Streit verließ die Regisseurin, deren Bemühungen um einen ironischen Grundton im Film zumindest in Ansätzen fühlbar waren, die Produktion. Dornan (und Johnson) wären ihr gern gefolgt, so hieß es, waren aber vertraglich gebunden und führten ihre Rollen in zwei weiteren, mühsam als Hochglanz-Pseudo-BDSM-Bilder zusammengeklöppelten und nichtsdestotrotz erfolgreichen »Fifty Shades«-Werken fort. 

»Fifty Shades of Grey« (2015). © Universal Pictures

Viel und deutlich sprach Dornan nicht über »Mr. Grey« – dass der Erfolg ihm nicht geschadet habe, murmelte er etwas trotzig. Vielleicht kann man seine uneitle, wenngleich irisch-patriotische Rolle im Kriegsfilm »Jadotville« von 2016, in dem es kein bisschen um Liebe, Sex und Bauchmuskeln geht, als Gegenreaktion sehen. Auch den Charakter eines grotesk schüchternen, irischen Bauern in der 2020 entstandenen Theateradaption »Der Duft von wildem Thymian« von John Patrick Shanley, zu dem Dornans Ehefrau (und Mutter seiner drei Töchter) die kitschige Filmmusik schrieb, spielte er leidenschaftlich, aber unprätentiös. Wobei all die Anstrengung der handwerklich ebenfalls tadellosen »big names« (Christopher Walken, Emily Blunt, Jon Hamm) aufgrund der unfassbar unbeholfenen Inszenierung eh zunichtegemacht wurden. 

Die Rollenauswahl der letzten Jahre wirkt ein wenig, als ob Dornans Physis ihm langsam selbst auf die Nerven geht – er ignoriert seinen vielgepriesenen Körper weitgehend, anders als etwa Ryan Gosling oder Channing Tatum; setzt ihn selten bewusst oder ironisch in Szene, sondern nimmt ihn einfach hin und adaptiert die fremde Persönlichkeit. Doch die vielen undurchdringlichen, ambivalenten Charaktere sind auf Dauer kein Schwärm-Material. Für einen amtlichen, strahlenden »Star« ist er einfach nicht narzisstisch genug – was ihn als Menschen wiederum enorm sympathisch macht.

In der australischen Mystery-Serie »The Tourist« spielt er aktuell wieder einen (durch Amnesie) lange Zeit undurchdringlichen, permanent verschwitzten Charakter; er wird zudem im Thriller »Heart of Stone« zu sehen sein und unter der Regie von Kenneth Branagh, mit dem er 2020 bereits in dessen intensivem oscarprämierten, schwarz-weißen Irland-Drama »Belfast« arbeitete, in dessen neuer Poirot-Verfilmung »A Haunting in Venice« mitmachen. Er ist ein Zweite-Reihe-Darsteller mit Erste-Reihe-Looks. Und das ist gut: In der zweiten Reihe sieht man besser. So oder so ähnlich heißt es doch.

Meinung zum Thema

Kommentare

Der Artikel über den Schauspieler Jamie Dornan ist sehr treffend geschrieben. Selten macht sich jemand die Mühe so explizit über Mister Dornan zu schreiben. Mir hat der Film „Belfast“ so gut gefallen, dass ich mehr über die Darsteller erfahren wollte. Unter anderen auch die Filme mit Jamie Dornan, na ja über die Filme die nicht gut sind haben Sie schon geschrieben. Dann habe ich mir sehr viele Interviews vonJ. Dornan angesehen und war echt überrascht einen so bodenständigen Mann zu hören. Ich glaube das Anhimmeln für sein Aussehen braucht er nicht, er möchte Anerkennung für seine Arbeit, die wie er selber weiß nicht immer gut war. Der Film „Heart of Stone „ ist nicht meine Kategorie aber sein Auftreten war ok. In „The Tourist“ fand hat J.D. gut gespielt und“A Haunting in Venice“ hat mir J.D. auch gefallen. Hoffen wir mal, dass er in Zukunft eine bessere Auswahl für seine Rollen trifft. Denn ich würde ihn wirklich sehr gerne in weiteren guten Filmen sehen.

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