James Schamus: Theorie und Praxis

Dieser sanfte Indie-Spirit
James Schamus mit Logan Lerman am Set von »Empörung« (2016). © X-Verleih

James Schamus mit Logan Lerman am Set von »Empörung« (2016). © X-Verleih

Der Produzent und Autor James Schamus hat in den 90ern geholfen, die Karrieren von Hal Hartley, Todd Haynes und Todd Solondz zu starten. Mit Ang Lee verbindet ihn eine jahrzehntelange Kreativ­beziehung, die Meister­werke wie »Brokeback Mountain« und »The Ice Storm«­ hervorgebracht hat

Unter den ersten Projekten des amerikanischen Produzenten James Schamus war der kleine deutsche Film »I Was on Mars«, den Dani Levy und Maria Schrader sozusagen als Übungsfilm für ihr großes Projekt »Meschugge« in New York drehten. Wie kam es dazu? 1991 war auch das Jahr, in dem James Schamus und Ted Hope ihre Produktionsgesellschaft Good Machine gründeten. Ein Name, den man ganz wörtlich nehmen kann, denn in diesem ersten Jahr gingen wie am Fließband rund zehn Filme in Produktion, darunter der Kurzfilm »Ambition« von Hal Hartley und die Langfilmdebüts von Todd Solondz und Ang Lee: »Poison« und »Pushing Hands« (Schiebende Hände). Was diese ganz unterschiedlichen Filme verbindet, sind der Independent Spirit und das Low-Budget-Flair. Gerade mal 30 waren die Filmunternehmer damals. Dani Levy erinnert sich an die wuselnde Geschäftigkeit in einem rustikalen New Yorker Midtown-Loft, zwei umtriebige junge Produzenten und um sie herum 20, 30 Mitarbeiter, darunter viele unbezahlte Praktikanten. Auf den Fluren begegnete Levy damals immer wieder auch diesem jungen Filmemacher aus Taiwan namens Ang Lee, von dem da noch nicht abzusehen war, was für eine große Oscar-Nummer er werden würde. Man tauschte sich auf den Gängen darüber aus, wer was tat und brauchte.

Bloß kein Leerlauf! Das Prinzip war, hocheffizient und professionell viele Projekte gleichzeitig anzustoßen – Independentfilme, die nicht viel kosten, entsprechend wenig Risiko bergen und sich darum auch leichter amortisieren. Geht man die Filmografie von James Schamus durch, dann befinden sich unter den 59 Produzenten-Credits viele illustre Namen neben einigen, von denen später nicht mehr viel zu hören war. Schon früh, als das alles andere als selbstverständlich war, tauchten im Line-up auffallend viele Regisseurinnen auf. Dani Levy erinnert sich gut, wie pedantisch aufs Gesamtbudget geschaut wurde; wenn etwa ein Ausstatter 500 Dollar zusätzlich für eine Kommode anmeldete, mussten die sofort an anderer Stelle eingespart werden. Und am Set von »I Was on Mars«, in den Good Machine rund 200 000 Dollar investierte, waren Schamus und Hope täglich präsent. Die Quirligkeit, die Levy damals erlebte, wirkte lange nach und war auch eine wesentliche Inspiration für die Gründung von X-Filme Creative Pool, dem Zusammenschluss der deutschen Filmemacher Levy, Tom Tykwer und Wolfgang Becker mit dem Produzenten Stefan Arndt. Die jungen Filmemacher taten sich zusammen, um Kreativität und Ideen nicht beim langen Marsch durch die Förderbürokratien austrocknen zu lassen, um genauso schnell und wendig zu reagieren, wie Dani Levy es in New York erlebt hatte.

Als James Schamus beim Berlinale Talent Campus 2019 auftrat, um unter dem Titel »The States of Mistakes« über Strategien des produktiven Scheiterns zu sprechen, oder besser, sie mit subversivem Witz zu zerlegen, erläuterte er auch seine persönliche Herangehensweise: »Am Anfang meiner Karriere hatte ich auf den Filmmärkten beobachtet, dass viele meiner Kollegen mit ihren Visitenkarten den berühmten, erfolgreichen oder mächtigen Leuten hinterherrannten, um sie in Gespräche zu verwickeln und ihre Projekte zu pitchen. Da wurde mir klar, dass ich etwas ganz anderes machen sollte. Ich hielt Ausschau nach den anderen, die niemandem nachjagen, die interessant wirken, die Ausstrahlung haben und Haltung zeigen, auch wenn sie wie arme Schlucker aussehen und ihren Platz noch nicht gefunden haben. Die wollte ich aufspüren, und ich bin wirklich froh, dass ich das getan habe, denn so bin ich Leuten wie Todd Haynes und Ang Lee begegnet.« Mit schwarzer Nickelbrille und der traditionellen Fliege zum weißen Hemd wirkte James Schamus auf der Bühne des Hebbel am Ufer fast ein bisschen britisch und mit einer guten Portion jüdischen Humors auch sehr unterhaltsam. Den jungen Filmemachern riet er, am Anfang ihrer Karriere nicht die Leute aufzuspüren, die wissen, was sie tun, sondern die, die eben nicht alles wissen, aber eine Weltsicht haben, mit der sie sich gegenseitig bereichern können, so dass sie alle zusammen aufsteigen können. Mit anderen Worten: Sie sollten nicht mit den Besten arbeiten, sondern mit denen, die die Besten werden, wie es auch Schamus häufig getan hat, am prominentesten mit Ang Lee, mit dem er zwischen 1991 und 2009 neun Filme auf die Beine gestellt hat, darunter erfolgreiche Indie-Perlen wie »Eat Drink Man Woman«, »Tiger & Dragon«, »Der Eissturm« und »Brokeback Mountain«, die alle auf ihre Art bahnbrechend waren.

»Tiger and Dragon« (2000). © Arthaus Filmverleih

Geboren wurde James Allen Schamus 1959 in Detroit, Michigan, in eine jüdische Familie, aufgewachsen ist er in Kalifornien. Im Studium in Berkeley hatte sich Schamus von der amerikanischen Literatur und der Fotografie zunächst auf akademischem Weg dem Film genähert, in den Bereichen Filmgeschichte, Filmtheorie und Filmästhetik, weshalb er in Interviews und auf Podien auch mal Kracauer, Lacan und Wittgenstein zitieren kann (aber nie auf eine abgehobene Art). Als er nach New York umsiedelte, geriet er bald in eine umtriebige Independent-Filmszene mit jungen Regisseuren und Produzent:innen wie Christine Vachon. Er spürte sofort, dass er da mitmachen wollte. Und weil er einer der wenigen war, die sich um Finanzierung kümmern konnten, wurde er nicht unbedingt aus Überzeugung fürs Erste Produzent: Augenzwinkernd bekundet er immer mal wieder, was für ein doofer Job das sei, in dem man den ganzen Tag mit irgendwelchem Kleinkram beschäftigt sei. Zusammen mit Vachon etablierte Schamus 1988 den Fernsehsender Independent Television Service. Bei der zu Warner Brothers gehörenden Produktionsfirma New Line Cinema sammelte er dann erste Erfahrungen als script doctor, keine schlechte Voraussetzung für einen engagierten hands on-Produzenten, der später zusammen mit oder für Ang Lee eine ganze Reihe preisgekrönter Drehbücher schrieb. Bei New Line freundete sich ­Sch­amus auch mit Ted Hope an, seinem Kompagnon bei Good Machine (später kam der Miramax-Vertriebsleiter David Linde dazu).

Damals waren Hope und Schamus von Ang Lees Kurzfilm »Fine Line« beeindruckt und wunderten sich, dass der junge Regisseur sechs Jahre nach der Filmschule noch immer keinen langen Film gedreht hatte. In einem Gespräch der beiden im Walker Art Center rekapitulierte der Produzent seine erste Begegnung mit dem Regisseur: Für ihren ersten gemeinsamen Film »Pushing Hands« habe Lee den schlechtesten Pitch aller Zeiten abgeliefert. Statt das Projekt in knackigen Sätzen auf den Punkt zu bringen, rhapsodierte er geschlagene 45 Minuten lang über den Film. Trotzdem war Schamus beeindruckt, denn Lee hatte das Projekt so beschrieben, als habe er es im Kopf bereits gedreht. Ang Lee nennt sich selbst ziemlich weltfern und entrückt – in Schamus fand er jemanden, der seinen Träumen eine Struktur geben konnte. Von 1991 bis 2009 schrieben die beiden neun Drehbücher, auf »Pushing Hands« folgte »Das Hochzeitsbankett«, der erste einer ganzen Reihe von vielen Filmen, die um schwule Liebe und schwules Lebensgefühl kreisen. Überhaupt lässt sich Schamus mit wahrhaftigem Independent-Spirit immer wieder auf schwierige Themen ein, sei es ein gefährliches erotisches Spiel, das ihm bei »Lust und Begierde« das vernichtende PG17-Label und Probleme auf dem asiatischen Markt einbrachte, sei es in »Brokeback Mountain«, einer zarten Liebesgeschichte zwischen zwei Cowboys im klassischen Echte-Männer-Genre des Westerns oder zuletzt die Machtmissbrauchsgeschichte »The Assistant«, die auf der letzten Berlinale Furore gemacht hat. Viele Erstlingsfilme sind dabei. Und was im typischen Schamus-Film immer wieder durchschlägt, ist eine Zärtlichkeit für Menschen an den Rändern der Gesellschaft. Das gilt auch für »Driveways«, den zweiten Film des koreanisch-amerikanischen Indie-Regisseurs Andrew Ahn, in dem ein kleiner, empfindsamer Junge eine zarte Freundschaft mit dem nebenan lebenden, einsamen Witwer anbahnt, während seine alleinerziehende Mutter, eine koreanische Immigrantin, ihre verstorbene Schwester erst beim Entrümpeln ihres Hauses kennenlernt. 

Eine weitere Gemeinsamkeit der sehr unterschiedlichen Filme, zu denen als Debüt auch das komödiantische Krimiabenteuer »The Golden Boat« von Raoul Ruiz, der in der türkischen schwulen Subkultur Berlins angesiedelte deutsche Film »Lola und Bilidikid« und die Comicverfilmung »Hulk« gehören, ist, dass sie auf dem Fundament eines starken Drehbuchs gebaut sind und in der Regel von den Autoren selbst verfilmt werden. Statt einzelnen, vielversprechenden Projekten nachzujagen, hielt Schamus immer Ausschau nach interessanten Filmemachern: »Wenn wir uns entscheiden, einen Film zu machen, dann kann der nur von diesem einen, ganz bestimmten Filmemacher gedreht werden. Wir suchen immer Filme, die eine Signatur haben. Wenn Sie im Radio Popsongs hören, könnte jede Nummer von einem beliebigen Teeniepopper gesungen sein. Hört man dagegen Bob Dylan oder Nina Simone, weiß man, dass sie es sind. Genauso denken wir über unsere Filme; sie sind das Produkt einer individuellen Stimme und keine Fließbandproduktion.« So hat Schamus die Arbeit einiger Regisseure wie Todd Solondz, Hal Hartley und vor allem Ang Lee über viele Jahre begleitet.

»Ich mache genauso viele schlechte Filme wie ein großes Studio«, sagt Schamus, »aber wenn die einen schlechten Film machen, geben sie 40 bis 60 Millionen aus, damit es jeder weiß. Wenn ich einen schlechten Film mache, bekommt er auf irgendeinem Festival eine Runde Applaus.« Und: »Als Geschäftsmann muss man mit dem Schlechtesten rechnen. Gleichzeitig muss man die Strukturen schaffen, die das Beste ermöglichen.« Keine übergroßen Risiken eingehen, sparsam sein, aber den Weg zum guten Film nicht durch Kalkül verstellen: Der Erfolg und die vielen Preise wirken da fast wie ein erfreuliches Nebenprodukt. Der Produzent sagt es mit einer Analogie zum American Football: »Ich bin oft in der Endzone gelandet, während ich gerade zufällig den Ball in der Hand hielt. Ich stolpere und falle ins Ziel und alle jubeln und ich denke mir, oh, das war cool.«

Mit einem kleinen Film über das Geld bereitete sich James Schamus 2014 auf sein Langfilmdebüt als Regisseur vor. »Also, ich habe irgendwelchen Leuten mit Geld versprochen, wenn sie mir etwas von ihrem Geld geben, mache ich ihnen einen Film über Geld. Das hier ist dieser Film über Geld«, sagt er da am Anfang frontal in die Kamera. »That Film About Money« besteht aus zwei von zwanzig Kurzfilmen der Serie »We the Economy«. In dem gar nicht trockenen Film präsentiert ­Schamus als subversiv gut gelaunter Conferencier in Hut und Fliege eine Fülle flott kompilierter, animierter Grafiken und Expertenaussagen. Zwei Jahre darauf machte Schamus ernst, mit der Philip-Roth-Verfilmung »Empörung«, die er eigentlich nur übernahm, weil Ang Lee zu groß geworden war für so eine kleine Geschichte und sich damals lieber in 3-D-Abenteuer stürzen wollte.

»Empörung« (2016). © X-Verleih

Es geht um einen respektlosen, jüdischen Studenten, der in den 50er Jahren an einem College im Mittelwesten alle Gewissheiten von Religion, Moral, Politik und Wissenschaft infrage stellt, was im Zentrum des Films in einer feurigen Debatte zwischen dem von Tracy Letts verkörperten Rektor und dem von Logan Lerman gespielten Marcus kulminiert. Verbindungslinien lassen sich nicht nur zwischen Marcus und dem Schriftsteller ziehen, sondern auch zum Regisseur. Filme über alltägliches jüdisches Leben gebe es viel zu wenig, sagt Schamus. Aber wie der Held des Films war auch er der Erste, der in seiner Familie studierte: »Da gab es eine merkwürdige autobiografische Verbindung, auch wenn die Geschichte der Messner-Familie eine Generation weiter zurückliegt. Aber je länger ich daran arbeitete, desto stärker spürte ich die Sogwirkung meiner eigenen Wurzeln.«

Produzent, Drehbuchautor, Regisseur, CEO seiner neuen, 2015 gegründeten Produktionsfirma Symbolic Exchange – das alles reicht James Schamus nicht. Dazu ist er auch noch Professor unter anderem an der Columbia University, wo er nicht die Praxis des Filmemachens unterrichtet, sondern Theorie und Geschichte; er hat ein Buch über Dreyers Gertrud geschrieben. Und gut zehn Jahre nach »Taking Woodstock – Der Beginn einer Legende« arbeiten Schamus und Ang Lee jetzt wieder zusammen an dem 3-D-Projekt »Thrilla in Manila« über den dritten und letzten Boxkampf zwischen Muhammad Ali und Joe Frazier. 

Meinung zum Thema

Kommentare

Liebes epd-Team, der Film von Ang Lee heißt nicht EAT MAN DRINK WOMAN, sondern EAT DRINK MAN WOMAN, und er handelt auch nicht von schwuler Liebe und schwulem Lebensgefühl. In letzter Zeit sind Ihre Artikel oft sehr schlampig redigiert - da werden zum Beispiel Menschen frisch und frei als "Illegale" bezeichnet, ohne dass das jemanden zu stören scheint (Artikel über Berlin Alexanderplatz in einer aktuell früheren Nummer). Mich stört das sehr, und ich überlege mir langsam, ob ich das Abo bei Ihnen kündige. Danke für etwas mehr Sorgfalt und freundliche Grüße, Martina Lassacher

Sehr geehrte Frau Lassacher,
haben Sie vielen Dank für die beiden Hinweise. Wir haben die Änderungen oben eingefügt – natürlich war hier Ang Lees »Das Hochzeitsbankett« (1993) gemeint. Bitte entschuldigen Sie die Fehler. Wir hoffen Sie weiter als Leserin behalten zu dürfen und verbleiben mit lieben Grüßen aus der Redaktion, Christian Hein für epd Film

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