Enten jetzt im Ausverkauf – Kaufhäuser als turbulenter Spielort der Moderne

»Die Findelmutter« (1939)

»Die Findelmutter« (1939)

Schnell noch mal shoppen, bevor auch bei Ihnen »Karstadt« schließt. Kaufhäuser müssten unter Denkmalschutz ­gestellt werden. Denn sie ­haben mit ihrer Pracht die ­Großstadt ­geprägt und gehören zur Moderne wie das Kino. Ein wehmütiger Rückblick auf einen ­turbulenten Ort

Es nimmt den Puls der Gegenwart und muss die Zukunft vorausahnen; zumindest jedenfalls die nächste Verkaufssaison. Es ist eine Wunderkammer, die Träume und Sehnsüchte schürt. Gewiss, es handelt mit Illusionen, aber im Kino bleibt kaum je eines der Versprechen unerfüllt, die es ausgibt.

Das Kaufhaus ist ein Tempel der Verlockung. In ihm treffen Verführung und Verführbare in einer raffinierten Inszenierung aufeinander. Es ist kunstvoll illuminiert, ein Leuchtturm inmitten der modernen Stadt. Es gehört noch immer zu deren meistbesuchten Sehenswürdigkeiten. Und nun soll dies öffentliche Fest der Schaulust ein Auslaufmodell werden, das wie sein Bündnispartner Kino im Online verschwindet?

Als Utopie zumindest ist es widerständig. Einmal überdauert das Kaufhaus auf der Leinwand sogar die Menschheit. In »Der Omega-Mann« hat sie sich nach einem biologischen Weltkrieg in marodierende Mutanten verwandelt. Nur Charlton ­Heston hat das Antiserum. Als er ein Kaufhaus besucht, ist das Sortiment zwar verstaubt und von Spinnweben überwuchert. Aber die Fahrstuhlmusik läuft weiter.

Das Kaufhaus ist eine Attraktion, deren Magie das Kino seit seinen Anfängen beschwört. Das ist weltweit so; in Finnland etwa ist es ein traditionell beliebtes Sujet. Selbst das sowjetische Kino stellt stolz das »GUM« vor, das Nikita Michalkow in »Zwischenlandung in Moskau« aufsucht, um ein Jackett für einen Freund zu kaufen. In Deutschland indes hat das Kaufhaus es nie viel weiter gebracht als zur Fernsehserie. Einst staunte Hans Moser in Veit Harlans Komödie »Alles für Veronika« über die Zauberei mit Konservenbüchsen und Staubsaugern – aber das war eine österreichische Produktion. 

Die Verheißung, Güter aus aller Welt unter einem Dach zu entdecken, ist für die Kamera unwiderstehlich. Einige Abteilungen frequentiert sie jedoch häufiger als andere. Wo Damenmode, Schmuck und Kosmetik angeboten werden, kann der Handel leicht verfänglich werden: romantisch wie erotisch. Die Spielzeugabteilung wiederum ist eine Wunderwelt nicht nur für Kinder, sondern erst recht für Zeichentrickfiguren. Von Bugs Bunny über Donald Duck und Tom & Jerry hat hier jede, die etwas auf sich hält, schon Schabernack getrieben.

Dabei ist der Einkauf im Film eher selten eine Familienangelegenheit. Vielmehr wird er gern im Geheimen erledigt; nicht nur zum Zweck der Überraschung. Denn im Kaufhaus gehorcht er zwar gelegentlich der Notwendigkeit, dient aber vor allem dem Vergnügen. Wenn er zum Rausch wird, stellt er eine fröhlich und ausgelassen begangene Sünde dar. Das Kaufhaus steht in seiner Frühzeit in Verdacht, die Sitten zu verderben. Die Anstößigkeit, die dem Luxus innewohnt, findet bis heute in Hollywoodkomödien einen verschmitzt puritanischen Nachklang. Sie setzen eine Ellipse, die den Kaufakt selbst ausspart und erst danach die Kundin zeigt, wie sie das Kaufhaus triumphierend mit zahllosen Einkaufstaschen verlässt.

Diese Strategie der Aussparung ist noch in anderer Hinsicht bezeichnend. Wer ein Kaufhaus betritt, tut dies in der leisen Hoffnung, es verwandelt zu verlassen. Die Ellipse respektiert den Zauber, der an diesem Ort wirkt. Um zu erfassen, welch unterschiedliche Zuständigkeiten ihm angetragen werden, genügt schon ein Abstecher zum Kinoschauplatz »Bloomingdale's«. Das New Yorker Kaufhaus ist ein Brennpunkt der Krisen und Lebensumbrüche. In Paul Mazurskys »Eine entheiratete Frau« wird Jill Clayburgh von ihrem Ehemann verlassen, weil er sich in eine Verkäuferin aus der Hemdenabteilung verliebt hat. In »Moskau in New York« schickt derselbe Regisseur einen in New York gastierenden Zirkus aus der Sowjetunion in das Kaufhaus, wo die Truppe von der dargebotenen Dekadenz so fasziniert ist, dass ein Mitglied (Robin Williams) sich in den Westen absetzt. In »Auf ein Neues« von Alan J. Pakula erleidet der gerade geschiedene Burt Reynolds einen Beklemmungsanfall, als er eine neue Wohnungseinrichtung aussucht. Um Luft zu holen, geht er zu einem Fenster – das sich als Dekoration entpuppt. Diese Illusionenwelt kann freilich auch eine Lebensschule werden. Die Meerjungfrau Darryl Hannah verbringt in »Splash« geschlagene sechs Stunden in der Fernsehabteilung, wo sie die menschliche Sprache und amerikanische Lebensart umfassend erlernt. Im Kaufhaus kann man nicht nur alles erwerben, sondern auch erleben.

Seinen Siegeszug beginnt es in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Seine Vorläufer reichen bis ins Mittelalter zurück. In Deutschland zählen dazu beispielsweise die Gewandhäuser. Auch in London geht das Kaufhaus aus spezialisierten Geschäften hervor; der Hoflieferant »Fortnum & Mason« etwa war ursprünglich ein Feinkostladen. Das erste japanische Kaufhaus wurde 1904 von einer Familie gegründet, die seit 1673 ein Fachgeschäft für Kimonos betrieb. In Paris wird es von den überdachten Einkaufspassagen des frühen 19. Jahrhunderts vorbereitet, die noch einem Basar ähneln, wo Produktion und Verkauf oft am selben Ort stattfinden.

Das Industriezeitalter verlangt neue Formen des Konsums. Der Tuchhändler Aristide Boucicaut ist der Erste, der diese Nachfrage befriedigen wird. 1838 baut er das Kleidungsgeschäft »Le Bon Marché« am linken Seine-Ufer zum ersten modernen Warenhaus aus, das über Schaufenster verfügt, um Kundschaft anzulocken. Das Kaufhaus wirkt mit an der Neuerfindung der Stadt, hat als Symbol für das erstarkende Bürgertum eine zentrale Bedeutung für die urbane Entwicklung. Die Architektur zielt, ebenso wie das Angebot, auf die Überwältigung der Kundschaft. In Paris, Berlin, St. Petersburg und anderswo installieren Kaufhäuser einen riesigen Globus auf ihrem Dach, um zu signalisieren, dass sich hier die ganze Welt darbietet. Einige geben sich alle erdenkliche Mühe, diese Erwartung zu erfüllen. Das »Magasin Dufayel« gehört während der Belle époque zu den beliebtesten Anziehungspunkten von Paris: mit Aquarium, Ausstellungsgalerien, Lesesalon, Palmengarten und Volière. 1897 eröffnet das Haus eine weitere Attraktion: einen Kinosaal mit 350 Plätzen, zu dem die Kundschaft freien Eintritt hat. Hier begegnet der zweijährige Jean Renoir dem neuen Medium.

Das Kaufhaus trägt zur Demokratisierung bei, denn es ist für jeden erreichbar und für fast jeden bezahlbar. Im Kern hat Boucicaut den modernen Konsumenten erfunden, der sich ohne Kaufzwang im Haus bewegen darf und ein Umtauschrecht besitzt. Die Waren sind mit festen Preisen ausgezeichnet; das Feilschen gehört der Vergangenheit an. Als der Umsatz nach dem ersten Weihnachtsgeschäft zurückgeht, erfindet Boucicaut den Schlussverkauf. Der Kaufhausgründer stellt vornehmlich Frauen ein und legt Wert darauf, dass seine Verkäuferinnen tadellos gekleidet sind – aber auf keinen Fall raffinierter als die Kundinnen! Denn das Klientel, das angelockt werden soll, ist vor allem weiblich. Für die Frau aus dem Bürgertum wird der Einkauf zu einem Akt der Emanzipation. 

Der erste Kaufhaus­roman, Émile Zolas »Das Paradies der Damen«, zeichnet die Entwicklung des »Le Bon Marché« akribisch nach. Er warnt auch vor dem Verdrängungsprozess, der damit einhergeht, denn mit den neuen Attraktionen können die kleinen, mittelständischen Geschäfte kaum mithalten. In seiner ersten, noch stummen Verfilmung des Romans verlegt Julien Duvivier die Handlung in die 1920er Jahre, als die Pariser Kaufhäuser eine zweite Blüte erleben. Dem monumentalen Neubau fällt im Film ein ganzes Stadtviertel zum Opfer, aber Duvivier schildert die Umwälzungen ohne Nostalgie – als Apologie des Fortschritts. Er feiert das Kaufhaus als Inbegriff sinnlicher Großstadterfahrung, und es liegt etwas Atemloses, Drängendes in seiner Inszenierung. Rasche Schnittfolgen und Überblendungen trachten danach, den Massenbetrieb in seiner Totalität zu erfassen. 

Das Kaufhaus ist, im Kino wie in der Wirklichkeit, eine Ikone der Moderne, weil es als Brennpunkt gesellschaftlichen und technischen Fortschritts fungiert. Dieser vollzieht sich auf beiden Seiten des Atlantiks durchaus unterschiedlich. In US-Filmen spielen Fahrstühle, die die Kundschaft zielstrebig in die gewünschten Abteilungen bringen, eine zentrale Rolle. Sie zelebrieren vertikale Mobilität. Das europäische Kino hingegen bleibt fasziniert von der klassischen, emporenartigen Architektur, die ebenso wie die Freitreppe den Blick auf das kunstvoll drapierte Angebot gestattet und zum Flanieren animiert. Ein Bindeglied ist die Rolltreppe, die in den USA aufkommt und in Charlie Chaplins »Der Ladenaufseher« 1916 ihren ersten, ziemlich ulkigen Leinwandauftritt hat. Erstmals taucht hier auch die Figur des Kaufhausdetektivs auf, denn mit dem Aufkommen des Konsumtempels geht die Diagnose einer neuen Krankheit einher, der Kleptomanie. Der Kaufhausdetektiv führt fortan ein reges Kinoleben, das allerdings nur zwei Register kennt: ahnungslos oder zudringlich. Gleichviel, die Bewegungsfreiheit der Kundschaft steht unter Aufsicht. Das Kaufhaus misstraut den Triebkräften, die es entfesselt.

Sein Personal muss sich für den Ansturm des Publikums wappnen. Zolas »vor Begehrlichkeit rücksichtslose Menge« verwandelt sich im Film durchaus schon einmal in eine Meute von Raubtieren; zumal während des Saisonausverkaufs. In »Der Ladenhüter« mit Jerry Lewis gewinnt die Schlacht am Grabbeltisch apokalyptische Dimensionen. In »Alles für Veronika« dagegen gerät die Kamera regelmäßig in einen sachten Taumel, wenn der Kundschaft im »Tutzinger« etwas verkauft werden soll, das sie nicht braucht.

Für die Perspektive auf der anderen Seite des Tresens interessiert sich das Kino nur zögerlich. Angesichts einer prunkenden Welt, in der stets Feststimmung zu herrschen scheint, übersieht man leicht, dass hier gearbeitet wird. Das ändert sich in Hollywood mit dem Ende der Stummfilmära. Die Verkäuferin, die von dem luxuriösen Leben träumt, das ihre Kundschaft führt, wird zu einer eminent zeitgenössischen Kinoheldin. Sie ist entweder romantisch oder eine raffinierte Goldgräberin, in jedem Fall aber resolut. Bevor 1934 der Production Code (die freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) verbindlich wird, ist die Verkäuferin mancherlei Übergriffen ausgesetzt. »Employees' Entrance« von 1933 zeigt ein New Yorker Warenhaus als Pandämonium brutaler Machtspiele. Der Manager (gespielt von Warren William) will das Haus mit ausbeuterischen Maßnahmen durch die Wirtschaftskrise führen. Das schlüpfrige Melo gehört zu den ersten Filmen, die einen ausgiebigen Blick hinter die Kulissen werfen. Die strikten Hierarchien sind bereits etabliert. An ihrer Spitze steht der Eigentümer oder Generaldirektor, dann kommen die floor manager (Abteilungsleiter), die Verkäuferinnen, Laufburschen, Dekorateure befehligen; dem Lagerpersonal bleibt der Traum, irgendwann einmal aufzusteigen. 

Das Kaufhaus ist in den 1930ern ein Ort der sozialen Ungleichheit, die sich romantisch überwinden lässt. Der Alltag der Verkäuferinnen mag monoton und anstrengend sein – Ginger Rogers bringt ihn in »Findelmutter« 1939 mit dem Aufziehen mechanischer Watschelenten zu –, bietet aber auch exzellente Gelegenheiten romantischer Anbahnung. Der Kaufhausbesitzer gewinnt derweil väterliche Züge, gebietet über die Belegschaft wie über eine große Familie. 

»Brooklyn – Ein Liebe zwischen zwei Welten« (2015). © 20th Centruy Fox

Zwei Filme, beide 2015 entstanden und in den 1950ern angesiedelt, arbeiten die Widersprüchlichkeit des Berufs besonders eindrücklich heraus. In »Carol« von Todd Haynes ist das Kaufhaus ein Hort der Entfremdung und Tristesse. Rooney Mara wird als »Angestellte 645c« angesprochen. Das Ambiente ist erdrückend, die Kantine, wo sie in der Pause den Verhaltenskodex des Unternehmens studiert, ist in giftigem Grün gehalten; die Spielzeugabteilung, in der sie arbeitet, wirkt klaustrophobisch. Gebiert dieses Kaufhaus Träume von Anderswo und Anderssein, so verspricht sein Gegenstück in »Brooklyn« finanzielle Unabhängigkeit und beinahe Geborgenheit. Zwar wird Saoirse Ronan als junge irische Einwanderin auf Schritt und Tritt von ihrer Abteilungsleiterin überwacht. Aber die erweist sich auch als einfühlsame Mentorin, die Sorge trägt, dass ihre Schülerin die Spielregeln ihres Metiers lernt und sich in der Neuen Welt behaupten kann.

»Das Wunder von Manhattan« stellt 1947 eine bedeutende Wegmarke in der Geschichte des Kaufhausfilms dar. Zum ersten Mal tritt ein Kaufhaus unter seinem realen Namen auf: »Macy's«. Und George Seaton dreht zahlreiche Szenen an Originalschauplätzen in New York, durchaus im Stil der semi-dokumentarischen Films noirs, die zur gleichen Zeit bei 20th Century Fox entstehen. Er eröffnet dem Publikum authentische Innenansichten eines Ortes, an dem sich indes ein Märchen abspielt. Der frisch angeheuerte Santa Claus (Edmund Gwenn) könnte der echte sein, formuliert eine Widerrede gegen die Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes, die fortan zur Firmenpolitik wird, und renkt schließlich romantische, familiäre und betriebliche Konflikte ein. Aber der Schauplatzrealismus des Films ist nicht vergeblich. Zum einen etabliert »Das Wunder von Manhattan« die visuelle Konvention, das Kaufhaus in Aufsicht vorzustellen (im Gegensatz zu den Untersichten, die Wolkenkratzer sonst einschüchternd wirken lässt), die es als selbstverständlichen, beschaulichen Bestandteil der Urbanität zeigt. Zugleich begreift er seinen Schauplatz als Organismus, in dem die unterschiedlichen Abteilungen zusammenwirken.

Still stehen darf diese Maschine nie. Der grantelnde Generaldirektor, den Hans Moser in »Alles für Veronika« spielt, ist zu sehr Gemütsmensch, um genug Druck auf seine Abteilungsleiter auszuüben. In britischen Nachkriegskomödien wie »Ich und der Herr Direktor« wird das Problem der lethargischen Belegschaft vorzugsweise mit militärischem Drill gelöst. In französischen Filmen hingegen ist es eine Frage des Charmes.

»Eine merkwürdige Karriere« von 1981 handelt von der Verführung der Belegschaft. Gérard Lanvin gerät als Mitarbeiter der Werbeabteilung in den Bann des geheimnisumwobenen neuen Managers (Michel Piccoli), der das verschlafene Kaufhaus sanieren soll und ungekannten Ehrgeiz in ihm weckt. Ein Jahrzehnt später fällt in »Kleine Fische, große Fische« diese Aufgabe Fabrice Luchini zu. Das Arbeitstempo muss anziehen und die Verkäuferinnen müssen wieder lächeln lernen. Cédric Klapisch erkundet in seinem Kinodebüt den Schauplatz als Labyrinth, in dem sich das Publikum erst einmal zurechtfinden muss. Der Erlebnisort Kaufhaus spornt Klapischs inszenatorische Phantasie sichtlich an. Er erforscht ihn aus ungewohnten Blickwinkeln, feiert die Mobilität der Rolltreppen mit ausgreifenden Kamerafahrten. Luchini bringt das Personal auf Trab, indem er an Zusammenhalt und Zugehörigkeit appelliert. Bald erinnert die Belegschaft an ein Filmteam, das prächtig zusammenarbeitet; das Projekt wird zu einer Erfolgsgeschichte. Aber obwohl der Umsatz enorm gesteigert werden kann, soll das Haus am Ende abgewickelt werden. Im Kino wie in der Wirklichkeit ereilt die Kaufhäuser oft das gleiche demütigende Schicksal wie Filmstudios: Sie sind als Immobilie mehr wert.

Das Pariser Jugendstilkaufhaus »La Samaritaine«, das als Innendekor für »Kleine Fische, große Fische« dient, wird 2005 aus Brandschutzgründen geschlossen. Im zerfallenden Bau dreht Leos Carax sechs Jahre später die Schlusssequenz von »Holy Motors«, in der sich eine gespenstische Szenerie darbietet. Carax' nächtliche Besucher wandeln durch eine Kulisse, deren frühere Pracht sich nur erahnen lässt. Sie ist von Spinnweben überwuchert, die schmiedeeisernen Verzierungen der Treppengeländer glänzen nicht mehr. Ein verwunschener Ort, der nun außerhalb der Zeit und fern der Realität liegt. 

Aber in der Filmgeschichte erwacht das Kaufhaus nach Ladenschluss immer wieder zum Leben. Es verwandelt sich in einen Hort der Anarchie. Charlie Chaplin, die Marx Brothers und andere blinde Passagiere schlemmen in der Lebensmittelabteilung, sausen auf Rollschuhen durch die Etagen und legen sich danach in der Bettenabteilung erschöpft zur Ruhe. Ebenfalls after hours, ebenfalls in der »Samaritaine« spielt »Nocturama« von Bertrand Bonello. Eine Gruppe jugendlicher Attentäter hat mehrere Anschläge in Paris verübt, nun will sie unentdeckt den nächsten Tag abwarten, um dann zu fliehen. Diese Nachtwache dürfte, wären Bonellos Anarchisten konsequent in ihrem antikapitalistischen Furor, nur ein Waffenstillstand sein. Die jungen Leute verwandeln sich jedoch in arglose Hedonisten, modebewusst und markenorientiert. Kühl und verführerisch sind die Waren drapiert; sie besitzen hypnotische Kraft. In der Nacht erfüllen sich Kinderträume der unmittelbaren Verfügbarkeit. Die Eindringlinge zerstören nichts, sondern wählen Produkte aus. Das Kaufhaus, diese unter einem Dach konzentrierte, perfekte Nachbildung einer unvollkommenen Welt, hört nicht auf, eine Verlockung zu sein. 

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