Das Kino lebt – vor der Windschutzscheibe

Autokino Dortmund © imago images/Rupert Oberauser

Autokino Dortmund © imago images/Rupert Oberauser

Im Autokino

Wer sich nach der großen Leinwand sehnt, brauchte in Corona-Zeiten ein Auto. Um das Comeback des Drive-in-Kinos zu erleben

Bis Mitte März, als durch die Corona-Pandemie alle Kinos in Deutschland schließen mussten, war der Besuch eines Autokinos ein eher exotisches Vergnügen – wie einmal mit einem geliehenen Straßenkreuzer durch die Gegend zu fahren. Rund 20 Autokinos gab es in Deutschland noch, und davon spielten nicht alle ganz­jährig. Aber schon Anfang April eröffneten die ersten neu, je nach Genehmigungspraxis der Länder und Kommunen. Das bundesweit erste Autokino in Gravenbruch-Frankfurt musste ausgerechnet zu seinem 60. Jubiläum am 30.März geschlossen bleiben – wie auch die Autokinos in Bayern. In NRW nahm man die Sache leichter – die Hygienevorschriften besagen: nur zwei Personen, geschlossene Scheiben, Ticketkauf online, kein Service am Auto – und am 8. April machte das Autokino auf dem Düsseldorfer Messeparkplatz auf, mit »Lindenberg! Mach Dein Ding«. 1000 Menschen in 500 Autos waren da. 

Zu den bestehenden Autokinos sind etwa 60 temporäre gekommen. Manche sind mit kleineren, aber lichtstärkeren LED-Leinwänden ausgestattet, so dass sie schon vor Einbruch der Dunkelheit spielen können, andere projizieren auf aufblasbare Großleinwände – in der mobilen Veranstaltungstechnik hat sich in den letzten Jahren viel getan. Übrigens werden die Plätze mitunter auch für Gottesdienste, Konzerte und Disco-Veranstaltungen genutzt. 

Das Programm differiert natürlich von Ort zu Ort und von Betreiber zu Betreiber. Oft laufen Erfolge aus der Zeit vor der Schließung der stationären Kinos. Das ­Autokino in Kassel, ein Zusammenschluss der Kasseler Programmkinos Bali, Gloria und Filmladen mit dem Cineplex Capitol und dem Filmpalast, zeigt neben jüngeren Hits wie »Bohemian Rhapsody« oder »Bad Boys for Life« auch »Zurück in die Zukunft«, eine schöne Note, denn in dem Film aus dem Jahr 1985 spielt ein (verlassenes) Autokino eine nicht unwichtige Rolle. In Düsseldorf, wo auch Sänger und Kabarettisten gastieren, darf natürlich die Tote-Hosen-Doku »Weil Du nur einmal lebst« nicht fehlen. 

Zunächst spielten die Autokinos nur Filme, die schon im Kino gestartet waren. Aber auch das hatte im Mai ein Ende. Da gab der Tübinger Arsenal-Verleih seine Doku »Suzi Q« für eine Vorpremiere im Autokino frei. ­Natürlich in Tübingen. Frau Quatro feiert am 4. Juni ihren 70. Geburtstag. 

Unter weitem Himmel

Vor 60 Jahren eröffnete das erste ­Autokino in Deutschland

Der Burger gehörte von Anfang an dazu. Als vor 60 Jahren, am 30. März 1960, in Gravenbruch bei Frankfurt das erste Autokino Deutschlands eröffnete, war die gebratene Rinderbulette Teil der Geschäftsidee. »Der König und ich« mit Yul Brynner und Deborah Kerr war der erste Film, der in Gravenbruch über die Riesenleinwand flimmerte, vor der damals 1100 Autos Platz hatten. Im Zuge der Corona-Krise muss man allerdings aus Sicherheitsgründen sein Essen heutzutage selbst mitbringen.

Es kommt nicht von ungefähr, dass das erste deutsche Autokino ausgerechnet in dieser Zeit und an diesem Ort öffnete: Ende der 50er Jahre war der Film in Deutschland in der Krise. Mit Breitwand und Farbe versuchte er, sich seine Überlegenheit gegenüber der kleinen Mattscheibe des aufkommenden Fernsehens zu sichern. Das galt ganz besonders für die überdimensional große Leinwand der Autokinos – in Gravenbruch misst sie mehr als 500 Quadratmeter. »Bigger than life« hieß die Devise. Auch die Nähe zur Großstadt Frankfurt dürfte für die Standortwahl entscheidend gewesen sein, galt die Mainmetropole damals doch als eine der autogerechtesten Städte der Bundesrepublik. Und es waren viele US-amerikanische GIs in der Gegend stationiert, deren Alltag vom American Way of Life geprägt war. 

In Deutschland hat sich die Idee des Drive-in-Kinos nie so durchgesetzt wie in den USA. Immerhin: 40 hat es in der Bundesrepublik gegeben, und selbst die DDR hatte die Idee des Klassenfeindes aufgenommen und im brandenburgischen Zempow ein Autokino eröffnet. In den USA haben in der Blütezeit der 50er Jahre rund 4000 Autokinos gespielt. Die Stellplätze in der letzten Reihe, der »Love Lane«, wurden gegen Aufpreis verkauft – denn das Autokino war in den prüden 50ern und 60ern auch ein Versprechen auf erotische Begegnungen. Das erste Autokino öffnete 1933 in Camden im Bundesstaat New Jersey. Richard Hollingshead, Angestellter im Autozubehörgeschäft seines Vaters, baute das »Camden Drive-in-Theatre« an der Peripherie seiner Heimatstadt auf. Seit Ende der 20er Jahre hatte Hollingshead experimentiert und die Rampen erfunden, auf die die Autos fahren, um eine bessere Sicht zu ermöglichen (das gibt es heute noch). Am 16. Mai 1933 ließ er sich die Idee seines »Drive-in-Cinemas« patentieren. 25 Cent kostete die Karte. Als Leinwand fungierte eine geweißte Mauer, der Ton kam aus drei großen Lautsprechern und war noch Meilen entfernt zu hören. Heute kommt der Sound über das Autoradio. 

Hollingsheads Idee setzte sich nur langsam durch: 1942 gab es gerade mal 100 Drive-in-Kinos unter freiem Himmel. Hinzukommen musste neben den Verlockungen des Kinos selbst ein weiteres Versprechen: das auf grenzenlose Mobilität. Drive-in-Kinos passen perfekt zum Autokult in den USA. Das verrückteste Kino gab es in Asbury Park, ebenfalls New Jersey: Das »Drive-in and Fly-in« bot Platz für 500 Autos – und für 25 Flugzeuge, die auf einem angeschlossenen Flugfeld landen und sich in die letzte Reihe stellen konnten.

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