Kritik zu The Klimperclown

© SWR/ARD-Mediathek

2024
Original-Titel: 
The Klimperclown
Filmstart in Deutschland: 
07.08.2025
Heimkinostart: 
19.08.2025
L: 
82 Min
FSK: 
Ohne Angabe
Bewertung: 4
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Es heißt, Helge Schneider werde Ende August 70 Jahre alt. Diesen Satz kann man glauben oder auch nicht, denn keiner von uns war dabei, als Schneider in Mülheim an der Ruhr geboren wurde. Wahrscheinlich stimmt es, denn es wird selbst auf der offiziellen Website des Landes Nordrhein-Westfalen vermerkt. Die ARD schenkt dem Publikum zum 70. Geburtstag von Helge Schneider einen Film in der Reihe »ARD-Dokumentarfilm«. Was sehr passend für dieses Multitalent ist, aber ein bisschen geschwindelt, denn bei der knapp 80 Minuten langen, also schon als Programmformat nicht ganz fernsehkompatiblen Filmbiografie Schneiders handelt es sich um sein Selbstporträt als Clown, Stimmen- und Wortakrobat, Musiker, Handwerker, Reisender, Sportwagenliebhaber, Freund und Arbeitgeber, Sohn, Neffe und Fan von Düsseldorf.

Wir müssen also glauben, was uns die Kunstfigur Helge Schneider als biografische Wahrheit über den Menschen hinter den Figuren zum 70. Geburtstag auftischt. Das ist eine Menge Fug und Unfug niederer Gattung und höherer Ordnung. Fast alles ist Musik oder Fiktion, Musiker- oder Künstlerselbstporträt auf die krass selbstermächtigende Art.

Eine Parodie auf dokumentarische Künstlerporträts? Nicht ganz, obwohl »The Klimperclown« parodistische Szenen und Handlungsbögen, ironische Einordnungen und humorig lügnerische Behauptungen enthält. Aber die Wirklichkeit biografischer Tatsachen lauert hier in fast jedem Witz.

Dass im Witz der tiefere Ernst wohnt, aber manchmal auch bloß die spaßige Albernheit, das weiß jeder, der Schneiders Werk kennt. Von Musiker-Mockumentarys wie »Fraktus« muss man »The Klimperclown« klar unterscheiden. Erstens gibt es den Mann tatsächlich (so scheint es). Zweitens ist seine Biografie in »The Klimperclown« ziemlich erstunken, doch das Lügenhafte wird den ganzen Film hinweg grandios betont. Im doppelten Wortsinn betont durch die Musikaufführungen von Jazz bis Schlager, die im Film die Hauptrolle spielen, und betont durch die Stimmen- und Wortakrobatik, mit der uns Helge Schneiders Leben per Voice-over marktschreierisch kundgetan wird (Stimme aus dem Off: Helge Schneider, Biograf aus dem Off: Peter Kemper). Hereinspaziert! Hier sehen Sie Unglaubliches! Ein lebendes Kunstprodukt.

Der Anpreiser namens Klimperclown behauptet, zu sehen sei eine »rührende und mitnehmende Biografie« über einen »unglaublich intelligenten und gutaussehenden Titan«. Auftritt in der Arena: ein Knirps namens Helge Schneider, 1955 geboren in Mülheim, einer »Kleinstadt mit Herz«, Eltern, zwei Schwestern und Tante Erna, die schon früh das Familienleben festhält. Das beweisen Super-8- und VHS-Aufnahmen. Bereits bei der Einschulung musste er in der Ecke stehen, mutmaßlich wegen Frechheit. Die Schule hat er so bald wie möglich zugunsten der Ausbildung praktischer Fähigkeiten wie Handwerk und Musik abgebrochen. Jetzt ist er in der Lage, seine Villa selbst zu bauen, als »gelernter Maurer, Bauzeichner, Landschaftsgärtner, Zimmermann, Betonbauer, Einschaler, Friseur«. Vom Begabten-Klavierstudium, von dem man lesen kann, ist im Film keine Rede.

Helge Schneider spielt hier mit dem Genre, mit den Sehgewohnheiten, mit Zuschauer-Erwartungen genau wie mit den Bildern von sich selbst. Seine Komik, deren Resultat dieses filmische Werk biografischer Fiktion ist, stellt mithilfe von Über- und Untertreibung, Geschwafel, Kostümen, Bärten, Haarteilen und Rollenspielen ein Künstlerleben von den Füßen auf den Kopf und wieder zurück.

Unscharfe Mitschnitte von Auftritten auf Kleinkunstbühnen, Ausschnitte eines großen Auftritts in München, Chillen in Spanien, Jazzimprovisationen, die Parade verschiedener Saxophonmundstücke, Videobilder vom Besuch bei den Eltern: Alles Material wird in »The Klimperclown« zum Spielmaterial, erhält durch Kommentar, Verfremdung, Eigenwilligkeit neuen Kontext und Kunstcharakter.

»The Klimperclown«, der Film, in dem ein Publikum »Katzeklo« im Kanon singen muss und in dem von »singender Herrentorte« nie, wohl aber von der Liebe zu Düsseldorf die Rede ist, ist jedenfalls unbedingt sehenswert und eine würdige Ergänzung des öffentlichen Bildes von Helge Schneider. Man muss ja nicht alles glauben. Dass es die Eigenart (und das Privileg) der Kunst ist, zu lügen, was das Zeug hält, weiß man von alters her. »The Klimperclown« erinnert daran, dass dieses Privileg weder in Verruf noch in Vergessenheit geraten darf.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt