Ein Stratege des Betörens
Es dauerte ziemlich lang, bis ich anfing, Willi Forst ernst zu nehmen. Sein Name war mir natürlich seit Kindertagen vertraut, schließlich war er ein Idol meiner Eltern. Vielleicht war gerade das ein Grund meines Zögerns. Es brauchte Umwege, damit ich lernte, ihn zu bewundern.
Der erste führte in die USA, zu Paramount und Ernst Lubitsch. Da dessen Filme bei uns nur synchronisiert liefen, las ich viele amerikanischer Bücher über ein. Bei Herman G. Weinberg erfuhr ich, dass Lubitsch den Regisseur Forst ungemein schätzte, insbesondere „Maskerade“ von 1934, dessen Drehbuch ihr gemeinsamer Freund Walter Reisch geschrieben hatte. Ich wurde neugierig. Irgendwann, es wird ein Sonntagnachmittag gewesen sein, geriet ich in „Leise flehen meine Lieder“ hinein. Auch den mochte Lubitsch, und auch stammte aus der Feder von Reisch. Ich folgte ihm zunächst mit lauem Interesse, bis ich eine Einstellung sah, die Hans Jaray und seine Leinwandpartnerinnen bei einem beschwingten Spaziergang in Untersicht zeigte. Die Perspektive war ungewohnt. Franz Planers Kameraarbeit kannte ich zu diesem Zeitpunkt nur aus Hollywoodfilmen, nun war ich begeistert von ihrer elegant europäischen Agilität. Sie passte zum Esprit des Films. Konnte es sein, dass Forst jene Lücke schloss, die die Vertreibung jüdischer Filmkünstler im deutschsprachigen Kino hinterlassen hatte? Später, als es der Umwege eigentlich schon nicht mehr bedurfte, entdeckte ich in einem Buch des Filmarchiv Austria eine Hommage, die der Japaner Seijun Suzuki auf seinen Kollegen schrieb. Die Zwei hätte ich nun wirklich nie zusammengebracht. Aber aus dem Text, der die Überschrift „Wiener Versuchungen“ trug, sprach eine echte, akribisch erinnerte Bewunderung.
Man muss und vor allem darf Forst immer wieder entdecken. Auf DVD ist ein gewisses Spektrum seiner Arbeiten erhältlich, aber ansonsten ist das Entdecken nicht mehr ganz so einfach, seit 3SAT aufgehört hat, seine späten walzerseligen Musikkomödien auszustrahlen. Um so erfreulicher ist die Initiative des Berliner Zeughaus-Kinos, das ab Samstag (5. Juli) und bis zum 25. August eine große Auswahl seines Schaffens zeigt. Lukas Förster hat die Reihe „Verführerische Melancholie“ kuratiert und konzentriert sich mitnichten nur auf Forst' Regiearbeiten, auch den Darsteller rückt sie in aller Vielseitigkeit ins Recht. Entstanden ist die Retrospektive in Kooperation mit dem Filmhaus Nürnberg; die Wiederentdeckung des verkannten Meisters kann also auch im Süden der Republik stattfinden. An sie heften sich zahlreiche Fragen, unter denen die dringendste wohl immer noch die nach der inneren Emigration ist.
Seine österreichischsten Filme habe er gedreht, als Österreich aufgehört hatte, zu existieren. Nach dem Anschluss hieß es Ostmark, was schon einen herben Verlust an Weltläufigkeit signalisiert. Fortan habe er nur noch Operettenfilme inszeniert - als stillen Protest, wie er später sagte. Also ein Bonvivant, der in ein erträumtes, vergangenes Wien emigriert, eine Stadt, wie sie nur in der Phantasie Molnars oder Johann Strauß’ existierte? Seine hübsch aufgeputzten Komödien animierten das Publikum zu unverfänglicher Zeitflucht; der Eindruck, dass in ihnen bereits auf dem Vulkan getanzt wird, stellt sich erst im Rückblick ein.
Allzu offensiv wird Forst seine Walzerkriege gegen das neue Regime nicht geführt haben – immerhin zählte er in den 30er und 40er Jahren zu den bestbezahlten Spielleitern der UFA. In seiner Einführung bringt Foerster Form und Inhalt in Opposition: ein großer Anti-Realist. Aber in launigen Verwechslungskomödien, Melos und Kriminalfilmen fand er eben auch den geeigneten Rahmen zu erzählen, wie sich die Liebe über Tradition und Standesdünkel hinwegsetzt. Er war stets auf der Seite der süßen Mädel und armen Künstler, die sich im geborgten Frack auf das Parkett mondäner Ballsäle wagen.
Geboren wurde er als Wilhelm Frohs, sein Vater war ein bekannter Wiener Porzellanmaler. Mit 17 schon trat er auf Provinzbühnen auf, mit 19 debütierte er als Statist im Kino. Zunächst war er auf zwielichtige Figuren abonniert, mit dem Durchbruch des Tonfilms wurde er jedoch zum Star in Filmoperetten und Komödien wie „Zwei Herzen im Dreivierteltakt“ (1930). Die Aura des „eleganten Windhundes“ (Lotte Eisner) blieb als Grundierung seiner galanten Leinwandauftritte stets sichtbar, namentlich als gewissenhafter Charmeur in Robert Siodmaks Zweig-Verfilmung „Brennendes Geheimnis“ (1932). Allein diese Darstellung rechtfertigt schon den schönen Titel der Retro.
Sein Regiedebüt gab er im Jahr darauf mit der Schubert-Biografie „Leise flehen meine Lieder“. Für ein paar Jahre verstand er sich prächtig auf die Magie des Zusammenspiels von Licht, Ton und gegensätzlichen Schauspieltemperamenten; bis in die 50er, als sich sein Stil längst überlebt hatte, sollte er, oft in Personalunion als Autor und Produzent, 19 Filme inszenieren. Man ahnt, dass er die ersten Tonfilme René Clairs und frühen screwball comedies genau kannte. Wie kaum ein zweiter deutschsprachiger Regisseur besaß er ein Händchen für Dialog- und Bildpointen, einen ausgeprägten Sinn für Atmosphäre sowie eine leichte Hand bei der Schauspieler- und Kameraführung.
Der stille Protest, den Forst für sich reklamierte, war kein Versuch, die eigene Biografie nachträglich zu korrigieren. Immerhin ist verbürgt, dass er sich weigerte, eine Rolle in Veit Harlans „Jud Süß“ zu spielen. In seinem anmutigen Komödienstil bewahrte er tatsächlich etwas von dem, was nach 1933 gänzlich verbannt schien: ein Begreifen, wie nah Melancholie und Witz beieinander liegen. Seine besten Filme entführen ihr Publikum in ein nicht nur verzuckertes Wien, sie lassen Spuren erahnen einer Empfindsamkeit, die sich während des Zerfalls der k.u.k. Monarchie entwickelte. Diese Melange aus Wehmut und Skepsis erreichte indes nie den Grad von Pessimismus, der die Exilfilme von Wilder, Siodmak oder Max Ophüls prägt. Wie diese fasziniert auch ihn die Macht von Täuschung und Maskierung – kaum ein Forst-Film, in denen Gefühle und die Realität nicht immer auch gebrochen, reflektiert wahrgenommen werden. Es ist ein Kino der Verführung, das deren Inszenierung gleichzeitig ironisch entlarvt. In seiner Version von Maupassants „Bel Ami“ (1939) ist der von Forst selbst gespielte Titelheld weniger ein Karrierist, als vielmehr ein Stratege des Betörens und des Betörtwerdens. In einer bezeichnenden Szene beobachtet die Kamera, wie der ehrgeizige Journalist vor der Frau des Chefredakteurs den elegantesten Kniefall einübt.
Frivolität und Leichtsinn mögen auf den ersten Blick bei ihm herrschen, aber sie haben einen doppelten Boden und fordern nicht nur in den Melodramen ihren Preis. In „Die Sünderin“ (1950) soll Leichtlebigkeit die Ängste und Blessuren der Nachkriegszeit kaschieren. Das Skandalon des Films lag weniger in der flüchtigen Nacktheit Hildegard Knefs, als in der Apologie eines Selbstmordes. Der ungewohnt enge Zeitbezug dunkelte hier erstmals die sonst luftige, helle Inszenierung ein. Der Blick der Kamera ist plötzlich heikel geworden Das Erzählen, das Forst so leicht fiel, ist ihm nun gar nicht mehr selbstverständlich.
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