Interview: Todd Field über »Tár«

Todd Field (Berlinale, 2023). © Universal Pictures / O.Walterscheid

Todd Field (Berlinale, 2023). © Universal Pictures / O.Walterscheid

Mr. Field, ist ein Dirigent von der Natur seiner Profession her ein absoluter Herrscher?

Einem Menschen, der vor mehr als hundert anderen Menschen steht, die für ihn musizieren, wird von diesen eine große Macht verliehen. Und ein Dirigent wird Ihnen bestätigen, auf dem Podium zu stehen, ist mit nichts vergleichbar. Es hat schon etwas Gottähnliches.

Gibt es für einen Filmregisseur einen vergleichbaren Moment? 

Das hängt davon ab, wie viel Schlaf er gehabt hat und wie viele Probleme Du an dem Tag zu bewältigen hast. Als Regisseur bist Du die meiste Zeit des Tages Bauleiter und schlägst Dich mit der Logistik herum. Sind alle Laster angekommen? Schaffen wir es, diese Szene zu drehen, solange dieses spezielle Herbstlicht noch da ist? Es ist nicht so fließend, besteht vielmehr aus vielen kleinen Bestandteilen. Der Dirigent befindet sich in einem geschützten Raum, das ist beim Filmregisseur ganz und gar nicht der Fall. Das ist eher so, als würde man versuchen ein Gedicht zu verfassen, während man sich auf der Toilette einer Busstation befindet.

Kommt ein Dirigent eher ungestraft weg mit ungebührlichem Verhalten gegenüber Mitgliedern des Orchesters und anderen Menschen, weil man ihn wegen seiner Tätigkeit für ein Genie hält, dem man so etwas verzeihen muss?

Das hängt vom Dirigenten ab. Wie tritt der Dirigent seinem Orchester gegenüber? Alle größeren Orchester sind demokratisch organisiert und wählen den Dirigenten. Der Probenprozess ist chaotisch, genau wie beim Film. Die Frage ist, was ist tolerierbar, was erfüllt den Tatbestand des Missbrauchs? Das muss man alles von Fall zu Fall entscheiden, ich würde das nie verallgemeinern. Als Schauspieler habe ich mit vielen Regisseuren gearbeitet, die waren sehr unterschiedlich. Manche Arbeitsweisen und Eigenheiten habe ich geschätzt, andere weniger – aber andere Schauspieler haben da sicherlich andere Auffassungen.

Sie haben diesen Film überwiegend in Berlin angesiedelt. Hat das mit dem Machtmissbrauch in der deutschen Geschichte zu tun?

Nein, Berlin verströmt eine sehr besondere Atmosphäre, so wie Paris, London oder New York. Diese Amerikanerin kommt nach Berlin wie ein Fisch aus dem Wasser. Ich habe früher in der Werbung gearbeitet und dabei erfahren, dass man im Umgang mit fremden Kulturen schnell zum hässlichen Amerikaner wird, der herablassend auf diese Kulturen zeigt, denn alles ist so exotisch, speziell für den Amerikaner, der aus der Provinz kommt. Berlin ist eine sehr vielfältige Stadt, Ich hatte allerdings die Regel: bestimmte Wahrzeichen wollte ich nicht ausstellen. Wie ist Berlin für jemanden, der in der Stadt lebt? Der größte Teil der Geschichte spielt ja in Innenräumen. 

Sie selber haben zur Vorbereitung hier länger gelebt?

Nein, aber ich habe mehr als ein Jahr zusammen mit dem Autor Jonathan Franzen  verbracht, als der seinen Roman »Purity« schrieb, bei dem ein großer Teil in Berlin spielt, angefangen am Ende der sechziger Jahre in Ost-Berlin. Diese anderthalb Jahre mit ihm entwickelten sich zu einer Obsession in Bezug auf Berlin. Etwas, was mein Arbeitszimmer nie verlassen hat, ist ein großes Regal mit Büchern, Fotografien, vor allem teuren Bildbänden über Berlin. Ich habe mich aus der Entfernung in die Stadt verliebt. 

Das erste Mal, dass ich tatsächlich herkam, war im Sommer letzten Jahres, mit meiner Ehefrau und meinem Sohn. Hier war Ferienzeit, die Stadt war leer, man konnte alles sicher mit dem Fahrrad erreichen. Das war unmittelbar nach dem Lockdown, in einem Geschäft wurde ich von einer Frau gefragt: »Sie sind Amerikaner? Kommen die jetzt endlich wieder zurück?« 

»Tár« erzählt von der Kraft der Musik und von Machtmissbrauch. Gingen diese beiden Aspekte von vornherein Hand in Hand?

Vor vielen Jahren begann ich über diese Figur nachzudenken. Ich wurde bisher immer engagiert auf der Basis von literarischem Material, das war bei Jonathan Franzen so, bei Tom Perrotta (»Little Children«) und auch bei Joan Didion. Das ist verständlich, denn für die Menschen, die Dich für das Schreiben eines Drehbuches bezahlen, liegt darin immer ein Risiko. Für das Schreiben von Originalmaterial brauchst Du viel Zeit. Als dann die Pandemie kam, sagte der Studiochef zu mir, »Schreib, wozu immer Du Lust hast.« Daraufhin wandte ich mich dieser Figur zu, die ich seit zehn Jahren in meinem Kopf hatte; ein Film über einen Dirigenten mit klassischer Musik im Hintergrund. Es ging mir um Machtstrukturen und dass die Figur dabei einiges über sich selber lernt. Sie hätte auch an der Spitze eines Medienkonzerns stehen können – aber das Orchester war perfekt, es ist eine Pyramide mit ihr an der Spitze. Was verleiht ihr diese Macht? Wer profitiert davon? Wie kommt man dahin? Ich war immer fasziniert von der Idee, dass sich gerade im Showgeschäft die Fassade von dem unterscheidet, was hinter den Kulissen vorgeht. Nicht das Resultat ist spannend, sondern, wie man dort hingekommen ist. Und genau das wird – aus guten Gründen – meist verschwiegen. 

Sie haben geäußert, wenn Cate Blanchett nicht zugesagt hätte für diese Rolle, dann hätten Sie den Film nicht gemacht.

Wenn ich einen Roman lese, denke ich normalerweise nicht an Schauspieler – als Leser habe ich ein Bild der Figur, das vollkommen mein eigenes ist. Das versuche ich auch im Prozess der Drehbuch-Adaptation beizubehalten. Würde ich dabei an Schauspieler denken, würde ich an etwas denken, was sie früher schon einmal gemacht haben, das wäre nicht sehr produktiv, das würde mich langweilen – ich bleibe lieber bei der Fiktion, an der ich arbeite. In diesem Fall erinnerte ich mich an ein Treffen mit Cate Blanchett vor zehn Jahren, Damals arbeitete ich mit der Schriftstellerin Joan Didion an einem Projekt, durch deren Tod wird das aber nie mehr zustande kommen. Ich war von Cates Intelligenz beeindruckt – von der Tatsache, wie sie auf Erzählungen blickte, mehr aus der Perspektive eines Regisseurs als aus der eines Schauspielers. Das war eine Erfahrung, die ich gerne in einer Zusammenarbeit umsetzen wollte. Als ich dann anfing zu schreiben, tauchte sie einfach auf, genauso wie die Figur von Lydia Tár auftaucht – und wollte nicht weggehen. Schließlich rief ich sie an und sie sagte 'ja'.

Das Treffen mit Cate Blanchett zehn Jahre zuvor war für einen Film, der dann nicht zustande kam?

So war es – einen Film, den ich nie mehr machen werde. Ich arbeitete damals mit der Schriftstellerin Joan Didion daran, aber durch ihren Tod wurde das hinfällig. 

Gab es einen speziellen Film, der sie veranlasste, Nina Hoss für die zweite Hauptrolle zu besetzen?

Ich habe alle Filme von Christian Petzold gesehen – die bewundere ich sehr. Jeder, der sie darin gesehen hat, weiß, dass sie eine der größten Schauspielerinnen ist, jeder, der sie auf der Bühne gesehen hat, weiß, dass sie eine der größten lebenden Bühnendarstellerinnen ist. Als ich mit Cate sprach, war die erste Frage, wer könnte diese Cellospielerin verkörpern. Sie fragte mich, ob ich dafür jemanden im Kopf hätte und wir sagten zur selben Zeit 'Nina Hoss'. Nina las das Drehbuch und sagte, »Ich mache es. Es gibt nur eine Sache, die Sie vielleicht anders angehen sollten.« Dann wies sie auf etwas hin, was zwar im Drehbuch stand, aber nicht so, dass es unbedingt deutlich wurde. Daraus ergab sich ein Gespräch, in das dann auch Cate mit einbezogen wurde und das den Film stark beeinflusste.

Worum genau ging es dabei?

Sie sagte, 'es geht in diesem Film um Macht, wie sie genutzt und missbraucht wird. Aber Macht liegt nicht nur in den Händen einer einzigen Person. Meine Figur gewinnt Macht durch die Beziehung zu Lydia Tár, sie will vieles nicht sehen, weil sie daraus eigene Vorteile zieht, sie ist Lydias Komplizin, wie in jeder Ehe.' Als Konzertmeisterin hat sie in einem demokratisch organisierten Orchester mehr Macht als Lydia Tár. Darüber wollte Nina sprechen. Lydia wird von außen gesehen, eher objektiv, dann gibt es subjektive Blicke auf sie, zuerst durch Francesca, die Assistentin (gespielt von Noémie Merlant). Als die weg ist, verlagert sich das auf Sharon. Sharons Perspektive ist die des Zuschauers. Das war wirklich wichtig, hier einen Gegensatz zu haben, Punkt und Kontrapunkt. Das hat Nina eingebracht.

Im Nachspann liest man »Berlin – New York – Südostasien«. Das klingt ein wenig geheimnisvoll, als gäbe es da etwas zu verbergen, wo genau in Südostasien der Schluss des Films angesiedelt ist...

Die Sprache am Ende ist Tagalog, es geht dabei mehr um die Idee eines Ortes als um einen realen Ort. Tatsache ist, dass es heute mehr Orchester gibt als je zuvor. Ich wollte für die Erfahrung, die Lydia Tár dort macht, etwas, was schon fast nicht mehr von dieser Welt ist, das fantastisch ist, zusammengesetzt aus verschiedenen Orten, die ich auf meinen Reisen kennen gelernt habe. Ich wollte keinen speziellen Ort hervorheben.

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