Interview: Heidi Specogna über »Stand Up My Beauty«

»Stand up my Beauty« (2021). © déjà-vu film

»Stand up my Beauty« (2021). © déjà-vu film

Heidi Specogna, Ihr Film endet mit einer Sequenz, die wie ein Musikvideo wirkt. Haben Sie selber das bewusst so inszeniert und montiert?

Ja, das haben wir zusammen mit Nardos gemacht, durchaus mit der Idee, dass sie dieses Material als Booster für ihre eigene Karriere nutzen kann. Sie war dabei so etwas wie die Co-Regisseurin.

Sie haben an diesem Projekt mehr als fünf Jahre gearbeitet – haben Sie jetzt noch Kontakt zu Nardos?

Ja, ich habe eigentlich bei all meinen Filmen die Kontakte erhalten, weil ich auch immer realisiert habe, dass der Film soviel bewegt im Leben der ProtagonistInnen, es wächst über die Jahre hinweg. Ich versuche auch, Nardos darin zu unterstützen, dass sie ihre eigene Musik bekanntmachen kann und damit ein Bein in den Markt bekommt. Ich habe ihr etwa ein Konto bei Spotify eingerichtet, auf dem die drei Songs gehört werden. Das ist gar nicht so einfach, man merkt dabei, wie abgeschlossen diese ganzen Strukturen sind, nicht nur in der Filmwelt, sondern auch in der Musikwelt. Sie selber könnte bei Spotify gar kein Konto errichten, weil sie bestimmte Maßgaben nicht erfüllt, etwa eine feste Adresse zu haben.

Sie spricht einmal davon, dass die Texte bei den Bühnenauftritten aus dem Stegreif entwickelt werden. Kann man das mit Rap vergleichen?

Ja, die Azmari-Vortragskunst ist eine Form des Weitertragens, deren Texte sich spontan im Raum entwickeln.

Sehr eindrucksvoll ist die Szene, in der Nardos mit ihrer Mutter darüber spricht, dass sie sie als Kind in die Großstadt geschickt hat, damit sie einer Zwangsverheiratung entgeht. Von einer Regierung, die sich als sozialistisch versteht, wie die in Äthiopien, sollte man eigentlich erwarten, dass sie etwas gegen die Zwangsverheiratungen junger Mädchen unternimmt...

Offiziell ist dem auch so, Äthiopien hat Schulpflicht für Mädchen gesetzlich verankert und damit gibt sich die Regierung auch zufrieden, ohne genau hinzusehen.

Der Ausgangspunkt des Films war, dass Sie Nardos bei einem Ihrer Auftritte gesehen haben. Eigentlich wollten Sie damals einen anderen Film drehen...

Ja, über die Herkunft des äthiopischen Jazz. 

Ist das bei Ihnen die Ausnahme, dass ein Projekt so einen spontanen Ursprung hat...

Wenn ich die Filme anschaue, die ich in Lateinamerika gemacht habe, kreisten die meist um Personen, auf deren Spuren ich mich begeben habe. Auch, wenn ich vorher eine Recherche mache, versuche ich beim Drehen ja nicht nur diese Recherche umzusetzen – ich bin immer sehr neugierig, wo kommen wir eigentlich hin, wohin trägt uns das Thema. Insofern war das schon ein natürlich-organischer Prozess. Ich bin nach Äthiopien gegangen mit einem sehr starken Interesse an der Musik, war auch von einem Musikjournalisten begleitet, musste dann aber feststellen, dass diese Geschichte nicht mehr abbildbar war – ich fand keine Menschen mehr, die etwas dazu erzählen konnten. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass ich schaute: was wird heute für Musik gespielt in diesen Clubs? Ich hatte mich dann erst einmal freigemacht, um mich auf etwas Neues einzulassen.

Wie ist das bei Langzeitdokumentationen: wie finden Sie den Punkt, wo Sie eine Zäsur setzen und die Dreharbeiten beenden? War das hier, als das Lied eine bestimmte Form hatte?

Ja, aber es hängt natürlich auch von den produktionellen Drehbedingungen ab: wie viele Drehtage habe ich noch? Manchmal kann man da etwas nachverhandeln. Was ich seit einigen Jahren nach jeder Drehphase konsequent mache: ich gehe mit dem Editor in den Schneideraum und sichte das Material. Im Schneideraum findet noch einmal so etwas wie eine zweite Autorenschaft statt. Da kann ich dann auch präzise sagen, wo es notwendig ist weiterzuforschen und zu drehen bzw. auch, welche Fäden sich in Luft aufgelöst haben. Hier war es auch, dass ich lernen musste, dass Nardos viel mehr Zeit braucht, um ihre Lieder zu entwickeln, als ich gedacht hatte. Diese Zeit wollte ich ihr lassen, das gebietet  der Respekt vor ihrer künstlerischen Arbeit. Aber dann rutschten wir in die Corona-Zeit rein, das war eine kleine Durststrecke, während der ich aber am Schnitt arbeitete. Die letzten zehn Drehtage, die ich dann für dieses Projekt hatte, waren dann sehr konzentriert. Aber aufgrund der Vorarbeit konnte ich sehr präzise sagen, was noch fehlte.

Und wie war das bei den Drehs zuvor? Ich stelle es mir einfach schwierig vor aufgrund der Entfernung. Bei einem Dreh in Deutschland kann der Protagonist sagen: in kürze findet hier das und das statt, da sollte Ihr dabei sein und filmen – aber wie ist das, wenn die Protagonistin in Afrika lebt?

Ich hatte einen guten und regelmäßigen Kontakt mit Nardos, aber beim zweiten Drehteil kam ich an und wusste nicht, dass es ein zweites Kind gibt. Sie hatte mir – trotz regelmäßigen Kontaktes – neun Monate lang nichts von dieser Schwangerschaft erzählt. Da musste ich auch schlucken. Sie meinte, wir hätten unsere Themen und das Private würde ich früh genug erfahren. Wir hatten eigentlich einen anderen Drehplan, aber dann war sie mitten in den Taufvorbereitungen und der Drehplan hat sich mit ihr und ihrem Alltag verändert. Da muss man dann schon wirklich Mut sammeln, aber das sind natürlich die schönen Momente, die dann in diesen Film einfließen.

Arbeiten Sie mit einem Simultanübersetzer, damit sie unmittelbar wissen, was gesagt wird?

Ich lasse mir fast nach jedem Take eine Zusammenfassung geben – wenn das Gespräch sehr intensiv war, habe ich vielleicht noch eine Nachfrage zugelassen. Der Übersetzer ist extrem wichtig, denn da kann sehr viel schief gehen, ich suche die Person immer sehr genau aus. Das gesamte Drehmaterial wird dann übersetzt und untertitelt, in Deutschland habe ich dann noch einmal einen sehr versierten Übersetzer und zusätzlich noch einen Nachdichter, einen Dichter, der poetry macht – der hat sich speziell noch einmal die Songs vorgenommen, da wollte ich, dass das Alltägliche erhalten bleibt, aber auch die Poesie zu spüren ist.

Überlappen sich Ihre Projekte eigentlich?

Die überlappen sich, und zwar aus unterschiedlichen Gründen: sicherlich, weil ich sehr langsam arbeite, ich brauche immer viel Zeit für meine Projekte. Hier war ich am Stück ein halbes Jahr im Schneideraum. Deshalb bin ich froh, wenn Projekte in unterschiedlichen Stadien sind, das finde ich sehr organisch für das eigene Arbeiten: wenn ein Projekt abgedreht ist und ich bei dem nächsten in der Vorbereitung bin – das tut auch meinem Kopf gut, das ist eine andere Form von Bewegung, der man sich hingibt. Als junge Filmemacherin fand ich das immer belastend, dass man so viel an Leidenschaft in ein Projekt gesteckt hat und das dann nicht gefördert bekommen hat – da bricht einem wirklich der Boden unter den Füßen weg. Das war dann irgendwann eine Überlebensfrage, mir etwas zu suchen, bei dem ich noch frei bin, woran ich glauben kann, woran ich arbeite. Dadurch habe ich emotional Absagen verkraften können. Am Anfang war das natürlich eine enorme Doppel-Belastung, aber irgendwann wusste ich, wie ich das so gestalten kann, dass sich das eher befruchtet.

Haben Sie langfristige Partner wie 3sat und das Schweizer Fernsehen bzw. auch deja-vu als Verleih für Deutschland? Oder muss das jedes Mal neu verhandelt werden?

Das lässt sich gar nicht jedes Mal neu verhandeln, so etwas wie die 3sat-Redaktion gibt es eigentlich gar nicht mehr im deutschen Fernsehen, eine so versierte und in den dokumentarischen Arbeitsprozessen erfahrene Redaktion. Da gibt es mittlerweile auch ein großes Vertrauen, sie sind mir aber auch eine große Hilfe: die Rohschnittabnahmen mit der Redakteurin bzw. dem Redakteur sind reichhaltig und spannend, da habe ich gute Gesprächspartner, dabei geht es nicht nur darum, für das Protokoll etwas zu erledigen und die Rohschnittrate  abzuhaken. Ich habe in den letzten Jahren eine Handvoll Menschen um mich versammelt, die diese Form des dokumentarischen Denkens kennen und auch während des Drehs Gesprächspartner  sind – Dokumentarfilm ist immer Teamarbeit.

Kameramann ihrer letzten beiden Filme war Johann Feindt. Haben Sie den schon während Ihres Studiums an der DFFB, der Berliner Filmschule, in den achtziger Jahren kennen gelernt?

Er hat damals dort seinen Abschlussfilm gezeigt, das war wahrscheinlich einer der ersten Dokumentarfilme, die ich an der DFFB gesehen habe. Bis heute sind meine engsten Freunde aus dem DFFB-Arbeitsumfeld. Das ist der Ort, wo ich den Austausch, die Unterstützung suche. Das war ein wichtiger Schritt, nicht nur ein Einzelkämpfer zu sein, sondern 5,6 Leute zu haben, mit denen wir uns auch weiterentwickeln können. Da gehört auch Raoul Peck dazu, wir waren in einem Jahrgang.

Kam das dokumentarische Interesse bei Ihnen schon durch die journalistische Arbeit vor ihrem Filmstudium?

Ja. ich habe mit 12, 13 angefangen zu schreiben, Texte für die Lokalzeitung. Schreiben war für mich immer das Mittel, etwas verstehen zu können, in Kontakt mit meiner Umgebung zu treten. Die DFFB war eine Schule, die keine Aufteile in Gewerke hatte, wir waren einfach Filmemacher und haben alles gemacht – mal Kamera, mal Schnitt, mal Spielfilm, mal Dokumentarfilm. Und man hat sich erst nach der Ausbildung entschieden, in welche Richtung man gehen wollte. Das ist in den meisten Schulen heute gar nicht mal so einfach. Da steht die Entscheidung für ein Gewerk schon bevor man sich als Filmemacher kennengelernt und ausprobiert hat.

Sie haben am Anfang fast ausschließlich in Lateinamerika gedreht, über revolutionäre Bewegungen und deren ProtagonistInnen. Gab es dafür so etwas wie ein Schlüsselerlebnis?

Ja, das war die Figur der Tamara Bunke. Das war eine Figur, die in meinem Mädchenleben, 1970/71, ungeheuer wichtig war. Ich wollte alles über sie erfahren. Im kam mit dieser Figur im Herzen eigentlich auch nach Berlin, habe in meinem Studium auch ziemlich bald angefangen, das zu recherchieren, über einen langen Zeitraum hinweg. 1991 entstand daraus mein Film »Tania La Guerillera – Porträt einer Revolutionärin«. Das war die Figur, die mich dann nach Kuba und Bolivien gebracht hat, aus dieser Figur haben sich die anderen entwickelt. Für die Tupamaros habe ich angefangen mich zu interessieren, weil das damals Ende der sechziger Jahre die einzigen waren, die sich der lateinamerikanischen Idee von Che Guevara noch nicht anschließen wollten. So bin ich auf Pepe Muchita gestoßen.

War es mit Afrika genau so? Was hat Sie dazu gebracht, den Kontinent zu wechseln?

Mein erster Afrikafilm war 2010 »Das Schiff des Torjägers«, eine sehr Recherche basierte Geschichte, der ich mit meiner Co-Autorin Kristine Kretschmer nachging. Da fand ich die Recherche unglaublich spannend, Jonathan Akpobori zu suchen, ihn für das Projekt zu gewinnen, da er ja von den Medien hier in Deutschland unglaublich schlecht behandelt worden ist, auch die Kinder zu suchen, die damals auf diesem Schiff verschleppt worden waren.

Wäre das denkbar, heute noch einmal nach Lateinamerika zu gehen, angesichts der Tatsache, dass manche Revolutionäre, wie etwa Daniel Ortega, sich später zu autoritären Machthabern entwickelt haben?

Auf jeden Fall wäre das eine notwendige Auseinandersetzung, vor der ich mich vielleicht im Augenblick noch zurückscheue. Man verbringt so viel Zeit mit seinen Protagonisten, auch im Schneideraum, darüber muss man sich schon bewusst sein. Ich hatte bisher immer das Glück, mich mit Menschen zu befassen, die ich mochte. Und das wäre ja gewissermaßen eine Form von filmischer Abrechnung. Mich hat die Frau von Ortega lange interessiert, ich fand diese Präsidentengattinnen sehr reizvoll, aber gleichzeitig auch gruselig.

Ihr nächster Film beschäftigt sich mit der schweizerisch-brasilianischen Fotografin und Menschenrechtsaktivistin Claudia Andujar...

Wir haben Drehbeginn im September. Ich habe schon einiges an Material vorab gedreht, im Juni gehe ich an den Schneidetisch, dann wird sich daraus die Form entwickeln, der wir beim Hauptdreh dann folgen können.

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