Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg

Übersinnlich
»I Have Electric Dreams« (2022)

»I Have Electric Dreams« (2022)

Das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg, Deutschlands zweitältestes Film­ereignis, zeigte beeidruckende Debüts aus der ganzen Welt. Und wurde mit insgesamt 24000 Besuchern belohnt 

Im dritten Jahr der Pandemie: die erste einigermaßen normale Ausgabe für das Festival, das dem internationalen Debütfilm (erste und zweite Werke) gewidmet ist. Als 2020 das neue Team um Sascha Keilholtz und Frédéric Jaeger antrat, konnte das IFFMH nur online stattfinden (allerdings mit einem beachtlichen Wettbewerb!, siehe epd Film 1/21), auch im letzten Jahr gab es noch Einschränkungen. 

Naturgemäß hat ein Newcomer-Wettbewerb seinen Focus auf dem Heranwachsen, auf dem Konflikt der Generationen, der Konfrontation auch mit der Jugend. Die costaricanisch-belgische Regisseurin Valentina Maurel beschreibt in »I Have Electric Dreams« etwas, das man mit Fug und Recht eine »toxische« Beziehung nennen könnte – aber zwischen einem 16-jährigen Mädchen und ihrem Vater. Eigentlich wohnt Eva (Daniela Marin Navarro) nach der Scheidung ihrer Eltern zusammen mit ihrer Schwester bei der Mutter, sie fühlt sich aber zu ihrem Vater hingezogen, der seine Aggressionen, auch gegen sich selbst, nicht im Griff hat. Ein Mann, der durchs Leben driftet, aber man versteht auch, was Eva an ihm schätzt, das Ungebundene, das Rauschhafte. In dem Kammerspiel »Valeria is Getting Married« von Michal Vinik, das den Preis der Ökumenischen Jury erhielt, holt die in Israel verheiratete Ukrainerin Christina ihre jüngere Schwester für eine arrangierte Ehe ins Land, doch bald zeigen sich Risse in diesem Plan. In »Sons of Ramses« von Clément Cogitore macht Ramses (Karim Leklou) sein Geld als Medium, das den Kontakt mit den Toten aufnehmen kann. Das ist natürlich Betrug, doch als er von einer Jungsbande aus Tangier überfallen wird, ahnt er tatsächlich einen Toten, der auf der Großbaustelle Porte de la Chapelle liegt; sein Leben beginnt aus den Fugen zu geraten. Der Pariser Stadtteil Goutte d’Or ist hier mehr als nur Schauplatz, es wirkt fast wie ein Mitspieler für eine durchaus übersinnlich angelegte Geschichte um Gewalt und Chaos. 

Ein ähnliches Gespür für die Struktur einer Stadt und ihre Architektur zeigt sich in Ashkal von Youssef Chebbi aus Tunesien, einem der reifsten Filme des Wettbewerbs, der ähnlich wie »Sons of Ramses« auch mit dem Unerklärlichen spielt. Hier sind es die Bauruinen des Viertels »Jardins de Carthage« von Tunis, in dem die beiden Polizisten Fatma und Batal über die Hintergründe einer vermutlichen Selbstverbrennung ermitteln. Einst sollten in den »Jardins« die Würdenträger des alten Regimes leben, aber durch die Revolution von 2011 blieb das Projekt stecken. Die Revolution begann mit der Selbstverbrennung eines Gemüsehändlers, und auch in »Ashkal« nehmen die Fälle von Selbstverbrennung, auch unter der Polizei, zu. Regisseur Youssef Chebbi und sein Drehbuchautor François-Michel Allegrini zeigen mit den Mitteln eines Polizeithrillers ein Land in Agonie, in dem sich die Kräfte des Alten wieder formiert haben und die Hoffnungen nicht mehr allzu hoch gesteckt sind. Der Film hat dafür den Fassbinder Award für das beste Drehbuch erhalten.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt