Interview: Pete Docter & Kemp Powers über »Soul«

»Soul« (2020). © Walt Disney

»Soul« (2020). © Walt Disney

Mr. Docter, »Soul« steckt voller komplexer Ideen und Fragestellungen. Mit welcher nahm dieser Film denn anfangs in Ihrem Kopf seinen Lauf?

Docter: Vermutlich könnte man sagen, dass alles mit einer Art Midlife-Krise angefangen hat. Ich liebe Animation aus ganzem Herzen und habe eigentlich mein ganzes Leben damit verbracht, seit ich acht Jahre alt bin. Trotzdem überkam auch mich irgendwann die Frage, ob ich wirklich zu 100% erfüllt bin oder es vielleicht doch noch etwas anderes gibt, was ich machen könnte oder sollte. Das kombiniert mit dem Blick auf meine Kinder: die Erinnerung daran, wie ich Teile ihrer Persönlichkeit schon als Baby bei ihnen erkennen konnte und mich fragte, wie ein Neugeborenes bereits so individuell sein kann. Aus diesen Wurzeln erwuchs sich nach und nach unser Film.

Ebenfalls eine entscheidende Rolle im Film spielt die Musik, auch die Musikalität der Erzählung. Wie früh kam dieser Aspekt hinzu?

Docter: Jazz wurde recht schnell zu einem zentralen Bestandteil des Films. Das lag vor allem an einer Geschichte, die wir über Herbie Hancock hörten. Der hatte mal Angst, ein Konzert vergeigt zu haben, weil er die falschen Noten gespielt hatte. Aber der große Miles Davis bescheinigte ihm dann, dass die Musik nicht schlechter gewesen sei, nur weil er sie anders gespielt habe. Übertragen auf das Leben statt auf die Kunst ist dieses Plädoyer für Improvisation genau die Botschaft, die wir vermitteln wollten.

Wie stießen Sie als Pixar- und Animationsneuling dann zu »Soul«, Mr. Powers?

Powers: Dass Pixar sich Autoren von außen dazu holt ist keine Seltenheit. Selbst jemand wie Brad Bird war kein Eigengewächs der Firma. In diesem Fall ging es konkret darum, einen afroamerikanischen Autor zu engagieren, nachdem die Entscheidung gefallen war, dass der Protagonist des Films schwarz sein soll. Und offensichtlich hatte Pete und der Produzentin Dana Murray mein Theaterstück »One Night in Miami« gefallen. Mir selbst wiederum gefielen die Struktur der Geschichte, die es damals schon gab, und auch die ersten Storyboards. Ich erkannte da sofort enormes Potential für eine tolle, herzerwärmende Geschichte, ganz unabhängig von der Hautfarbe der Figur.

Tatsächlich ist »Soul« der erste Pixar-Film mit einem schwarzen Protagonisten. Spürten Sie diesbezüglich eine besondere Erwartungshaltung?

Powers: Druck habe ich mir vor allem selbst gemacht. Das letzte, was ich wollte, war dass meine Familie den Film sieht und von irgendetwas darin beschämt ist. Aber dieses Verantwortungsgefühl, so wahrhaftig und lebensnah wie möglich zu erzählen, habe ich bei allen Pixar-Mitarbeiter*innen gespürt. Und gerade wenn es um spezifische Kulturkreise, Milieus oder Communitys geht, nehmen das alle unglaublich ernst. Bester Beweis dafür war ja schon vor einigen Jahren der Film »Coco«. Im Fall von »Soul« diesbezüglich die Zügel in der Hand zu halten, war mir eine große Ehre.

Auch in anderer Hinsicht ist »Soul« ein bisschen anders als die meisten Pixar-Produktionen. Oder teilen Sie den Eindruck gar nicht, dass die Themen und die Geschichte dieses Mal eine Ecke erwachsener und existentialistischer sind als sonst?

Docter: Unser oberstes Ziel ist natürlich immer, einen Film für alle Altersklassen auf die Beine zu stellen. Wir wollen jedem etwas bieten, unabhängig von Alter, Herkunft etc. Aber ich würde nicht widersprechen, dass der Kern von »Soul« etwas ist, mit dem sich gemeinhin erst Menschen in der Lebensmitte beschäftigen. Was auch okay ist, denn unsere Filme bestehen immer aus vielen Schichten und funktionieren auf verschiedenen Ebenen. Wir stellen sich, dass es Humor auf sprachlicher Ebene genauso gibt wie Slapstick, visuelle Pracht genauso wie Niedlichkeit. Deswegen kann auch ein Kind viel Freude an »Soul« haben, ohne sich vielleicht des Ernsts unserer Botschaft wirklich schon bewusst zu werden.

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