Berlinale: Einsam in Wuhan

»Ensilumi« (2020). © Aamu Film Company

»Ensilumi« (2020). © Aamu Film Company

Anspruchsvolles für Kinder: Die Filme der Generation Kplus bestachen durch ihre Ruhe und eine große Beobachtungsgabe

Es waren eher die stillen Filme, die den Kplus-Wettbewerb bestimmt haben. Filme, die zum Nachdenken anregen und vor allem beobachten, statt die Handlungen durch leitende Dramaturgie voranzutreiben. Das trifft etwa für den Preisträgerfilm aus China zu, »Han Nan Xia Ri« (Sommerflirren) von Han Shuai, der den Großen Preis der Internationalen Jury erhielt. Die 13-jährige Guo lebt bei der wenig empathischen Familie ihrer Tante; ihre Mutter sendet lediglich Handyvideos mit leeren Versprechungen aus dem fernen Schanghai. Als einer ihrer Freunde ertrinkt und Guo sich an dem Unglück schuldig fühlt, hat das Mädchen niemanden, an den es sich wenden kann. Einsam driftet Guo durch ihre Stadt Wuhan, gestalkt von einem Klassenkameraden, der ihre Not auszunutzen versucht, aber ebenso einsam ist wie sie. Ohne viele Dialoge macht die Regisseurin die innere Not Guos durch eine intensive Bildsprache sichtbar, mit Nahaufnahmen und einem tristen Setting, das so gar nicht nach Sommer aussieht, sondern grau und verregnet ist. Wir sehen eine eindrucksvolle Coming-of-Age-Story, deren Heldin es schließlich schafft, einen für sie gangbaren Weg zu finden. 

Eine liebevolle Familie zeigt dagegen »Ensilumi« (Erster Schnee) im finnischen Beitrag von Hamy Ramezan. Die Eltern leben mit dem 13-jährigen Ramin und dessen jüngerer Schwester in einer Flüchtlingsunterkunft und erwarten täglich den Bescheid zur Abschiebung. Beide Kinder sind gut integriert, Ramin das erste Mal verliebt. Wir lernen den Alltag der Familie kennen, der so langweilig in der Unterkunft wie alltäglich in der Schule ist. Dass es kein Happy End gibt, ist folgerichtig tragisch und ein stiller Appell für mehr Humanität in der Flüchtlingspolitik. 

Auch »Una escuela en Cerro Hueso« (Eine Schule in Cerro Hueso), der argentinische Beitrag, ist ein Plädoyer für Menschlichkeit; er erhielt eine lobende Erwähnung der Jury. Die autistische Schulanfängerin Ema hat nur einen Schulplatz weitab der Großstadt in der Dorfschule von Cerro Hueso erhalten, weshalb die Eltern entscheiden, in das Dorf zu ziehen. Ema fasst zunehmend Vertrauen in ihre neue Situation und wird in der Klasse akzeptiert, obwohl sie nicht spricht. Einen dokumentarischen Stil imitierend, begleitet der Film das Ringen der Familie um Normalität, die sich erst ganz allmählich einstellt. Auch müssen die Eltern lernen, ihrer Tochter eine eigene Entwicklung zuzugestehen. Wirklich dokumentarisch ist »Last Days at Sea« (Letzte Tage am Meer), von Venice Atienza, der den Abschied des zwölfjährigen Reyboy von seinem vermeintlich idyllischen philippinischen Dorf begleitet. Wir tauchen mit dem Jungen an leer gefischten Küsten und hören den alten Fischern zu, die nichts mehr fangen können und weit hinaus aufs Meer schippern müssen. Es sind nicht nur die letzten Tage für Reyboy am Meer, sondern auch die einer Naturidylle. 

Angesichts dieser ruhigen, beobachtenden Filme sind wir gespannt, für welchen sich die Kinderjury entscheidet, die im Sommer den Gläsernen Bären vergibt.

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