61. Nordische Filmtage in Lübeck

Filmwunder
»Weißer weißer Tag« (2019)

»Weißer weißer Tag« (2019)

Das Filmland Island war bei den Nordischen Filmtagen Lübeck wieder einmal gut vertreten – und »Weißer weißer Tag« von Hlynur Pålmason gewann den Hauptpreis

An bestimmten »weißen Tagen«, wenn der Horizont mit der Erde verschmilzt, sei es möglich, Verbindung mit den Toten aufzunehmen, sagt ein altes isländisches Sprichwort. Der Film »Weißer weißer Tag« von Hlynur Pålmason zitiert es in seinem Vorspann. Und tatsächlich nagen in diesem isländischen Film die Schatten der Vergangenheit an der Gegenwart. Vor zwei Jahren hat Ingimundur seine Frau durch einen Unfall verloren. Von seinem Dienst als Polizist ist er freigestellt, der etwas brummige ältere Herr kümmert sich um seine Enkeltochter und werkelt an einem Haus, in dem einmal die Familie seiner Tochter wohnen soll. Alles wirkt trotz des Verlustes im Lot, bis er eines Tages feststellt, dass ihn seine Frau betrogen hat – und er durchdreht. Er gibt seine Therapie auf und will, so sieht es aus, den ehemaligen Geliebten seiner Frau unter die Erde bringen.

Ein Mann sieht Rot: »Weißer weißer Tag« ist eine lakonisch-düstere psychologische Studie über Selbstermächtigung und Selbstjustiz, die den Hauptpreis der 61. Nordischen Filmtage Lübeck, den NDR Filmpreis, gewonnen hat. Die Nordischen Filmtage sind weltweit das größte Festival für Filme aus Skandinavien und den baltischen Ländern, und sie präsentierten in diesem Jahr in ihrem Wettbewerb und den Nebenreihen wieder ein bestechend vielfältiges Programm. Dass wieder ein isländischer Wettbewerbsbeitrag gewonnen hat und immerhin drei isländische Beiträge im Wettbewerb vertreten waren, macht auf die langanhaltende, überbordende filmische Kreativität auf der Insel mit ihren gerade mal 350.000 Einwohnern (etwa so viele wie Bochum) aufmerksam: schon im letzten Jahr gewann mit Gegen den Strom ein isländischer Film den Hauptpreis.

Auf den ersten Blick wirkt auch der isländische »The County« von Grimur Håkonarson wie eine Variation des letztjährigen Gewinnerfilms »Gegen den Strom«: eine Frau allein gegen übermächtige Organisationen. Aber »The County« wirkt ungleich geerdeter, zeigt sich deutlich mehr interessiert an den sozialen Verhältnissen. Er beschreibt den Kampf einer Bäuerin gegen die örtliche Kooperative, die die Preise diktiert und mit mafiaähnlichen Methoden wie Drohung und Erpressung arbeitet. Hat Håkonarson seinen Film, der pessimistisch endet, eher konventionell inszeniert, so ist Echo von Rúnar Rúnarsson ein mutiger Experimentalfilm, der so etwas wie das Porträt der Insel und ihrer Menschen versucht – in 56 Episoden, die in den Wochen rund um Weihnachten und Neujahr spielen. Gedreht mit Laien in jeweils einer einzigen Einstellung, mischen sie Tod und Geburt, Privates mit Politischem, Landschaft mit Großstadleben. Rúnarsson ist eines der ganz großen Talente der Insel, sein Jugendfilm »Spatzen« gewann vor drei Jahren den Hauptpreis in San Sebastian, Echo hatte seine Premiere in Locarno. Die kirchliche Interfilm-Jury gab ihm in Lübeck ihren Preis.

Historische und politische Schatten der Vergangenheit waren auch Thema im Wettbewerb. Drei Filme erzählten, mitunter nur am Rande, vom Verhältnis zwischen Norwegen und Schweden während der NS-Zeit; Norwegen war von den Nazis besetzt, während Schweden neutral blieb. In »Pferde stehlen« von Hans Petter Moland (Norwegen/Schweden), in diesem Jahr auf der Berlinale gelaufen, war der Vater der Hauptfigur in Widerstandsaktivitäten gegen die Besatzer verwickelt. In der etwas zu überbordenden Romeo-und-Julia-Geschichte »Feuer und Flamme« (Schweden), dem Eröffnungsfilm der Filmtage, der eigentlich von der Konkurrenz zwischen zwei Vergnügungsparkbesitzern handelt, unterstützt der eine den norwegischen Widerstand. Und im Mittelpunkt von »Die Spionin« von Jens Jonsson (Norwegen) steht die norwegische Schauspielerin Sonja Wigert, die für Schweden gegen die Nazis spionierte – was erst 2006 bekannt wurde.

Dieser Film passte auch zum Thema der diesjährigen Retrospektive »Undercover Nord/Nordost«, die den Spionen und Geheimagenten im skandinavischen und baltischen Kino seit den zehner Jahren gewidmet war. In dieser Retro konnte man etwa den norwegischen Actionfilm »Orion's Belt« (1985 von Ola Solum) sehen, in dem die Crew eines Lastschiffs im Norden Norwegens Opfer des noch herrschenden Kalten Krieges zwischen der NATO und der Sowjetunion wird, weil sie eine Spionageanlage entdecken.

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