Filmfest Oldenburg

Jubiläum ohne Brimborium
RP Kahl, Gabriela Ramos, Deborah Kara Unger, Buddy Giovinazzio, Torsten Neumann

RP Kahl, Gabriela Ramos, Deborah Kara Unger, Buddy Giovinazzio, Torsten Neumann

Dafür, dass es in diesem Jahr ein Jubiläum zu feiern gab, nämlich die 25. Ausgabe des Internationalen Filmfests Oldenburg, ging es eher unspektakulär zu. Oldenburg blieb seinem Ruf als Familienveranstaltung treu, zu der befreundete Filmemacher immer weder gerne zurückkehren und die auch bei vielen, die zum ersten Mal da sind, den Wunsch weckt wiederzukommen. Ein Bespiel dafür lieferte am Eröffnungsabend Michael Wadleigh. Der Regisseur von »Woodstock«, dem das Festival 2008 einen Tribute ausgerichtet hatte, war am Roten Teppich anwesend und versprach, von Festivalchef Torsten Neumann auf die Bühne geholt, im kommenden Jahr zum fünfzigjährigen Jubiläum seines Films wiederzukommen. Dann soll hier eine thematische Reihe laufen, bei der »Woodstock« ein zentraler Punkt ist, die aber auch weitere Facetten zeigt. Darauf darf man gespannt sein und kann schon jetzt den Stolz des Festivals darauf nachvollziehen, denn natürlich haben zum Jubiläum bereits weitaus größere Festivals bei dem Filmemacher angefragt.

Wadleigh war nicht der einzige Überraschungsgast in Oldenburg, auch die Filmemacherin Salome Breziner, von der das Festival in früheren Jahren Filme gezeigt hatte, war anwesend und stellte zusammen mit ihrem Produktionspartner Steven J. Wolf den neuen Film von Alan Rudolph vor. Den muss man heute wohl schon als Vergessenen bezeichnen, schließlich liegt seine letzte Regiearbeit 15 Jahre zurück. »Ray Meets Helen« hatte dieselbe versponnene Lässigkeit wie seine besten früheren Filme und bot den beiden Hautdarstellern Sondra Locke und Keith Carradine schöne Entfaltungsmöglichkeiten. Und natürlich war es ein Erlebnis, als Carradine persönlich vor und nach dem Film vor das Publikum trat. Das Festival widmete ihm in diesem Jahr seinen Tribute, so konnte man »Nashville« (für den er einen Oscar bekam, allerdings nicht als Darsteller, sondern für den Song »I'm Easy«) und einige weitere seiner älteren Filme auf der Leinwand sehen und sich über die Auszeichnung freuen, als er sich auf dem Oldenburg Walk of Fame verewigte. Den schlaksigen Charme, den der 69jährige auch heute noch auf der Leinwand ausstrahlt (zumal wenn er, wie in »Ray Meets Helen«, einen durchaus zwielichtigen Charakter verkörpert) zeigte er auch in natura.

Als zweiter »Star zum Anfassen«, der Oldenburg in diesem Jahr erstmals besuchte, erwies sich der Brite Bruce Robinson. Er hatte – nach einer ersten Karriere als Schauspieler – seinen Durchbruch als Drehbuchautor (zumal mit seinem Buch für »The Killing Fields«, 1984) und schuf mit seinem Regiedebüt »Withnail & I« (1987) einen Film, der sich in Großbritannien anhaltender Verehrung erfreut. Mit »The Rum Diary« gelang ihm 2011 ein Comeback als Regisseur, danach verlegte er sich wieder aufs Schreiben und vollendete ein Werk, das 2015 erschien, ein 850 Seiten starkes Sachbuch, in dem er ein für allemal die Wahrheit über Jack the Ripper ans Licht bringen wollte. Derzeit schreibt er an einer Fernsehserie über die faschistische Bewegung im England der dreißiger Jahre und deren Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus und will endlich seinen Debütroman »Die merkwürdigen Erinnerungen des Thomas Penman« als Film umsetzen. Robinson galt die diesjährige Retrospektive mit mehreren Filmen, die alle Facetten seines Schaffens zeigten, wobei er im Gespräch über seine Tätigkeit als Schauspieler kein positives Wort verlor.

Leider waren nicht alle Gäste in Oldenburg so offen: Molly Ringwald etwa erschien nur zur ersten Aufführung ihres Films, ließ aber bei der zweiten die Regisseurin alleine dem Publikum Rede und Antwort stehen und sagte auch alle Interviewtermine ab. Schade, denn in »All These Small Moments« von Melissa Miller Costanzo bot der einstige Star der Teen Movies aus den achtziger Jahren durchaus eine überzeugende Leistung in der Mutterrolle. Wenn sich hier der pubertierende Sohn in der Sehnsucht nach einer älteren Frau verliert, während er gleichzeitig mit dem Hin und Her in der kriselnden Beziehung seiner Eltern konfrontiert wird, zeigt der Film das als realistische Tragikomödie. Das gilt ebenso für »Behold My Heart« von Joshua Leonard, der von der schwierigen Wiederannäherung zwischen Mutter und Sohn nach dem plötzlichen Tod des Ehemannes und Vaters erzählt oder »Write When You Get Work« von Stacy Cochran, in dem sich ein einstiges Liebespaar nach Jahren wieder begegnet und mit der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Lebensentwürfe zu kämpfen hat.

Das Thema Familie zog sich auch durch weitere US-Indies, mehrfach in Form zufällig zustande gekommener Wahlverwandtschaften, etwa in »Galveston«. Mit ihrer ersten amerikanischen Regiearbeit hat die französische Schauspielerin und Regisseurin Mélanie Thierry den hoch gelobten Debütroman von Nic Pizzolatto (bekannt geworden als Autor der TV-Serie »True Detective«) adaptiert: ein Road Movie, in dem sich ein Auftragskiller nach einem schief gegangenen Job auf der Flucht vor seinem Auftraggeber befindet, in eher unwillig zugestandener Begleitung einer jungen Prostuierten und deren kleiner Schwester. Allein wie Ben Foster (derzeit in den Kinos auch in Debra Graniks »Leave No Trace« brillierend) diesen Mann mit all seinen körperlichen und seelischen Wunden spielt, zwischen professionell ausgeführten Akten der Gewalt und stiller Verzweiflung, macht diesen Film sehenswert.

Eher zwiespältig dagegen war John Hyams »All Square«. Erwies sich der Sohn von Peter Hyams in seinen ersten Filmen als versierter Actionregisseur, so funktionierte seine Tragikomödie für mich deshalb nicht, weil ich für seinen Protagonisten, einen Vater, der sich mit dem aus einem One-Night-Stand hervorgegangenen 12jährigen Sohn anzufreunden versucht, wenig Empathie aufbringen konnte, wenn er den Sohn in seine kriminellen Geschäfte hineinzieht.

Da war die Kälte, mit der im isländischen Thriller »Vultures« die Beziehung zweier Brüder in Szene gesetzt wurde, schon überzeugender: Bei dem großen Drogenschmuggel, den sie durchziehen, erweist sich der elegante Geschäftsmann am Ende als ungleich skrupelloser als sein Bruder, ein Berufskrimineller.

Blieben noch zwei bemerkenswerte Dokumentarfilme zu erwähnen: Kuba Mikurda erzählt in »Love Express. The Disappearenace of Walerian Borowczyk« – vor allem aus der Perspektive von dessen langjährigem Kameramann – von dem polnischen Filmemacher Walerian Borowczyk, der sich in den sechziger Jahren mit surrealen Animationsfilmen einen Namen machte, bevor er sich in Frankreich zum Spezialisten für erotisches Kino (»Unmoralische Geschichten«) entwickelte, dabei seine Standards am Ende aber nicht mehr einhalten konnte. Einen prominenten Platz räumte das Festival der Weltpremiere von »King of Beasts« ein: eine Galavorstellung im Oldenburger Staatstheater, bei der damit erstmals ein Dokumentarfilm präsentiert wurde. Tomer Almagor und Nadav Harel folgen darin einem amerikanischen Großwildjäger in Afrika. Wenn er sich zu Beginn als »wahrer Amerikaner« präsentiert und in einem Raum seines Hauses zwischen gleich drei ausgestopften Löwen zu sehen ist, dann mag der Zuschauer schnell ein Urteil über ihn fällen, später zeigt der Film komplexere Zusammenhänge und enthält sich einer Bewertung. 

Am Ende ging der Hauptpreis des Festivals, der German Independence Award, über den das Publikum mit Stimmkarten nach den Filmbesuchen entscheidet und der vom Hauptsponsor, der Oldenburgischen Landesbank (OLB), seit dem vergangenen Jahr mit 2.500 Euro dotiert ist, an den russischen Film »Temporary Difficulties«, eine berührende Geschichte über einen Vater und seinen gelähmten Sohn. Sichtlich gerührt war nicht nur dessen Regisseur Mikhail Raskhodnikov, sondern kurz zuvor auch Gabriela Ramos, die im kubanischen Psychotriller »Is that you?« die 13jährige Protagonistin verkörpert, die unter den Erniedrigungen ihres Vaters zu leiden hat. Sie bekam einen der beiden Seymour Cassel-Awards, mit dem die anwesenden Mitglieder des Advisory Boards des Festivals schauspielerische Leistungen würdigen. Der andere Preis ging an die Schwedin Victoria Carmen Sonne für »Holiday«. Eine dreiköpfige Kurzfilmjury schließlich zeichnete »Fauve« des kanadischen Regisseurs Jeremy Comte aus, der aus Quebec Grüße bestellen ließ.

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