Interview mit Lucas Belvaux über seinen Film »Das ist unser Land!«

»Das ist unser Land« (2017). © Alamode Film

»Das ist unser Land« (2017). © Alamode Film

Monsieur Belvaux, Catherine Jacob, die in Ihrem Film die Vorsitzende einer rechtspopulistischen Partei verkörpert, sieht Marine Le Pen, der Vorsitzenden der Front National, hier sehr ähnlich. Welche Überlegungen sind darin eingeflossen?

Es ging nicht darum, Marine Le Pen als Mensch zu zeigen, sondern den Avatar, den sie darstellt, zu dekodieren. Sie ist ein Marketinginstrument – es ging darum, die Codes, mit denen sie besetzt ist (die blonden Haare, ihr Auftreten, ihre Sprechweise) zu verdeutlichen.

Im Gegensatz zu dieser Figur werden die anderen Protagonisten des Films sowohl in ihrem politischen als auch in ihrem privaten Leben gezeigt…

Diese anderen Figuren sind das Herz des Films, ich kenne sie, sie sind eben keine Monster, und es hat mich interessiert, wie es passiert, dass sie nach rechts abdriften. Sie sind nicht notwendigerweise Rassisten, zumindest nicht im Norden Frankreichs. Der war einst eine blühende Industrieregion, die heute verarmt ist.

Sie zeigen die Risse, die durch viele Familien gehen: zwischen der Hauptfigur Pauline und ihrem traditionell links eingestellten Vater, der aus der Arbeiterklasse kommt, zwischen der Hauptfigur und ihrer rechts eingestellten Freundin, die in eine Auseinandersetzug mit ihrem Ehemann gerät und deren Sohn eine extrem rechtsgerichtete Website betreibt.

Das Engagement für die Front National ist nicht notwendigerweise mit einem Bekenntnis zum Rechtsextremismus verknüpft – es gibt da die verschiedensten Elemente. Der Auslöser, sich der Front National anzunähern, ist oft auf der individuellen Ebene zu finden, oft ein Bruch mit der Familie oder mit der Gesellschaft. Der Platz des Vaters nimmt dabei eine zentrale Rolle ein, das sehen Sie auch an der Beziehung zwischen Marine Le Pen und ihrem Vater – das ist geradezu ein Ursprungsmythos. Im Film ist es die Verbindung zwischen Pauline und ihrem Vater, die zu einem familiären Bruch und dann auch zu einem Bruch mit der Gesellschaft führt. Aus diesen Brüchen heraus erwächst Wut und entwickelt sich die Möglichkeit für eine Transgression. Und zwar auch bei jenen Menschen, die normalerweise die Front National nicht wählen würden.

Ein interessanter Aspekt war für mich auch das Zusammenspiel zwischen dem scheinbar so distinguierten und dabei volksverbundenen Dr. Berthier und Paulines Freund Stanko, der für die Rechten die Drecksarbeit erledigt. Sehen Sie da ein Gleichgewicht oder ist klar, dass die Seite mit dem Geld und den politischen Verbindungen am Ende siegen wird?

Auch hier finden sie den Vater-Sohn-Konflikt wieder, von dem ich eben sprach. André Dussolier als Dr. Berthier repräsentiert die historischen Verbindungen der FN, ihr Einbinden der Bourgeoisie. Auf der anderen Seite gibt es jene wie Stanko, die Angehörigen der Arbeiterklasse, die ihre Arbeit verloren und ihre Gefühle in Wut und Gewalt ausdrückten. Für Figuren wie Dr. Berthier sind sie ein nützliches Element, um die Schmutzarbeit zu erledigen, aber wenn sie dabei auffliegen. müssen diese Verbindungen natürlich geleugnet und vielleicht sogar gekappt werden.

Würden sie sagen, dass Sie zur Verdeutlichung manchmal auch zum Mittel der Zuspitzung und Übertreibung gegriffen haben – oder basiert alles, was im Film zu sehen ist, auf Fakten und Recherchen?

Nein, alles basiert auf Fakten. Ich habe sogar einiges von den Recherchen abgeschwächt, die identitäre Gruppe ‚Flämische Solidarität’ ist nach dem Vorbild des ‚Flämischen Hauses’ gebaut, die dieselben Symbole verwendeten. Auch auf die hasserfüllten Seiten im Internet sind wir bei unseren Recherchen gestoßen, das machen vor allem Leute aus der Mittelschicht. Und die Szene, wo eine Frau rechtsgerichtete Plakate abreißt und daraufhin von Kindern zusammengeschlagen wird, ist der Schauspielerin selber passiert, als sie Plakate der Front National abriss. Die Gewalt war dabei viel heftiger, als wir es im Film zeigen.

Die Beziehung zwischen der Protagonistin und ihrem Liebhaber Stanko sieht auf den ersten Blick wie ein melodramatisches Konstrukt aus, erweist sich aber an einem bestimmten Punkt, als seine rassistische Gewalt öffentlich wird, als Problem für ihr öffentliches Image und auch für ihre Parteikarriere erweist.

Genau, weil sie diese Seite von Stanko nicht kennt, sie kennt nur seine zärtliche Seite, er ist zudem ihre Jugendliebe. Das schien mir wichtig, zu zeigen, dass die Politik da auch eingreift.

Würden Sie sagen, dass, was die Nutzung von Social Media und des Internets anbelangt, die extreme Rechte sehr viel weiter ist als linke Gegenbewegungen?

Ja, die Rechte hat die Macht des Internets sehr viel schneller begriffen. Es gibt auch eine Studie, die belegt, dass das Internet, das eigentlich eine Öffnung zur Welt hin ermöglicht, zu einem Zurückwerfen auf sich selber geführt hat. Die Leute suchen gezielt nur die Webseiten auf, die ihre eigene Meinung widerspiegeln. Es bringt zudem diese versprengten Individuen, die eigentlich nur eine Minderheit darstellen, zusammen.

Direkte politische Einschätzungen sind nicht unbedingt die Aufgabe von Filmemachern, trotzdem möchte ich sie fragen, wie sie – mit den Recherchen für diesen Film im Hinterkopf – die gegenwärtige politische Situation in Frankreich einschätzen. Zeigt sie, dass das alte Parteiensystem abgewirtschaftet hat, drückt die Begeisterung für Macron ein wirkliches Engagement aus, oder folgen die Menschen bei ihm genauso wie bei Marine Le Pen nur einer vermeintlichen Lichtgestalt?

Die Leute haben gegen Marine Le Pen gestimmt, aber nicht für Macron. Die Linke hat sich in Widersprüche verstrickt und war nicht länger glaubhaft, die Front National hat seit langem falsche Akzente gesetzt in den Debatten, so gab es auf der einen Seite die ausgebrannten großen Parteien, das half Macron.

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