Interview mit Joachim Trier über seinen Film »Louder Than Bombs«

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Ich bin an Charakterstudien interessiert

Herr Trier, in Ihrem Film gibt es seine Szene, in der die Kriegsfotografin Isabelle Huppert zu ihrem Ehemann sagt, im Gegensatz zu ihren Kollegen sei sie nicht besessen von ihrem Beruf, denn sie hätte zuhause eine Familie, zu der sie zurückkehren könne. Hat sich das bei Ihren Gesprächen mit Kriegsfotografen und -fotografinnen in der Vorbereitung dieses Films bestätigt?

Das sind alles Individuen, deshalb ist es schwer zu generalisieren. In ihrem Fall glaube ich, dass es wahr ist, so wie es aber auch für viele schwer ist. Wie mir ein Kriegsfotograf in New York erzählte: sie sind selbstlos und selbstsüchtig zur selben Zeit, das sei ihre Chance. Ich war überrascht, wie viele Menschen, mit denen ich sprach, das nicht als einen heroischen Job ansehen, sondern von dem Adrenalinstoß sprechen, den ihnen diese Tätigkeit verschafft. Vielleicht habe ich also einen weiteren Film über Besessenheit gedreht (lacht).

Ihr Film endet mit vielen offenen Fragen. Der ältere Bruder fragt ja auch einmal den jüngeren, ob er an seiner Schule Amok laufen würde, so wie sein Gesichtsausdruck die ganze Zeit sei. Das schien mir durchaus eine realistische Möglichkeit. Am Ende sieht man ihn zusammen mit einem Mädchen die Straße entlanggehen und hört aus dem Off eine Stimme, die aber nicht seine Stimme ist. Deutet das an, dass er ein Schriftsteller wird und über die Ereignisse schreiben wird? Oder ist es ein anderer Eintrag in sein Tagebuch, Jahre danach?

Vielleicht haben Sie die Frage schon selber beantwortet. Es könnte das Tagebuch sein, das vielleicht eines Tages zu einem Roman führt. Man versteht am Ende den Charakter des Jungen besser, ich hätte natürlich auch gleich sagen können, dies ist kein Film über ein Schulmassaker, aber das soll der Zuschauer selber herausfinden. Ich beschäftige mich mit Beziehungen, wie schwer es ist, selbst in einer Familie, den anderen kennen zu lernen. Was den jüngeren Bruder anbelangt, kann man sagen, dass ein Mangel an sozialen Fähigkeiten keinen direkten Rückschluss auf seine Psyche zulässt.

Nicht jeder Videogamer ist ein potenzieller Amokläufer…

Genau. Im Spiel kann der Junge in ganz verschiedene Identitäten schlüpfen. Wenn der Vater einsteigt in das Videogame seines Sohnes, um ihn besser zu verstehen, wirkt das eher komisch. Er glaubt, es gäbe eine innere Leere in seinem Sohn, aber das stimmt nicht. Er hat nur Probleme, seine innersten Gefühle zu kommunizieren.

Am Ende gibt es eigentlich in keiner der Beziehungen eine Lösung. Der ältere Sohn ist gerade Vater geworden, beginnt aber eine Affäre mit seiner Ex-Freundin.  Sein behauptetes In-sich-Ruhen, seine Selbstsicherheit – das ist nicht wirklich wahr.

Jonah hat große Ambitionen, er kehrt den Intellektuellen heraus, der seine Mutter sehr bewunderte – aber ich denke, er weiß auch, dass sie eine dunkle Seite besaß – von der jetzt vielleicht etwas auf ihn übergegangen ist. Die Wahrnehmung der beiden Brüder kehrt sich für den Zuschauer gewissermaßen um im Verlauf des Films.

Gab es je Druck auf Sie, etwas aufzulösen am Ende des Films?

Es gibt durchaus dramatische Auflösungen – der Vater spricht schließlich mit seinem Sohn über den Selbstmord der Mutter, der Zeitungsartikel über den Tod der Mutter erscheint, der ältere Sohn gesteht sich ein, dass er ohne seinen Vater nicht auskommen kann, aber die Figur, die am Ende des Films steht, der jüngste Sohn, hat sich nicht verändert, wohl aber unser Blick auf ihn. Ich bevorzuge Filme mit offenen Enden, die Raum für Interpretationen lassen. Am Ende habe ich den Film so machen können wie ich es beabsichtigt hatte. Filmemacher, die nach einem persönlichen Ausdruck streben, sind derzeit eine bedrohte Spezies, denn wir haben eine zunehmende Standardisierung. Ich wuchs auf mit Hip Hop und Punkmusik, ich bin vor allem an Charakterstudien interessiert. Mir geht es darum, wie kann ich mit der Inszenierung etwas ausdrücken. Ich bin nicht so sehr daran interessiert, etwas auf den Punkt zu bringen, jedenfalls nicht in diesem Film. Vielleicht werde ich andere Filme drehen, die stärker auf Lösungen zusteuern.

Meine Frage zielte weniger auf die Zuschauer als auf die Finanziers des Films. Steckt in dem Film auch amerikanisches Geld?

Ja, aber vorrangig skandinavisches. Das charakterbasierte Drama hat sich in den USA eher auf Fernsehserien bei HBO verlagert. Ich selber bin in einer Zeit aufgewachsen, als ich Filme wie Robert Redfords »Ordinary People« sehen konnte, Ich liebe Ingmar Bergman und Woody Allen, oder John Hughes’ »The Breakfast Club«, der sich ganz auf seine Figuren konzentriert. Für solche Filme geben die Studios heute kaum noch Geld.

Hätten Sie die Geschichte auch in Ihrem Heimatland ansiedeln können?

Ich denke, nein. Es gibt keine norwegischen Kriegsfotografen dieses Kalibers, auch das High School-Leben ist in den USA anders. Ich wollte zudem einen Film in englischer Sprache drehen. Ich habe die Filmschule in Großbritannien besucht und meine Kurzfilme in Englisch gedreht. Nur 5 Millionen Menschen sprechen Norwegisch (aber ich plane als nächstes einen norwegischen Film). Meine Filme sind schwer zu pitchen. Dieser Film geht nicht in seinem Plot auf. Wenn ich bei den meisten Filmen, die ich liebe, meine Augen schließe, erinnere ich mich an Räume, Gefühle, Figuren - weniger an die Geschichte. Machen Sie diesen Test mit einem Freund: fragen Sie ihn nach zehn Lieblingsfilmen und dann nach deren Ende. Die meisten wird er nicht erinnern. Im Augenblick wird ein großes Augenmerk auf die Auflösungen von Geschichten gelegt – vielleicht ist das aber gar nicht so wichtig.

Mich würde interessieren, wie Sie Ihre Drehbücher erarbeiten: in »Auf Anfang« und in diesem Film gibt es immer ein Vor und Zurück in der Zeit, in »Oslo, 31. August« weniger. Konstruieren Sie Ihre Drehbücher zunächst linear und zerlegen sie dann? Oder geschieht das gar erst im Schneideraum?

Nein, sie sind schon so geschrieben, im Schneideraum allerdings ergeben sich schon noch Änderungen. Mit meinem Ko-Autor Eskil Vogt, mit dem ich schon mein ganzes Filmemacherleben zusammengearbeitet habe, sitze ich in einem Zimmer, wir schreiben und tauschen das Geschriebene aus, das ist eine Art Ping Pong. Uns gefallen formale Experimente, etwa die Szene, in der der der jüngere Bruder im Klassenzimmer sitzt. Er sieht eine Klassenkameradin an, in die er verliebt ist. Die liest in einem Buch über einen ertrinkenden Mann. Langsam geht ihre Stimme in seine über und er denkt an den Tod seiner Mutter, wir sehen seine Version davon. Im Drehbuch war das ein Wagnis, unsere Finanziers mochten die Szene, fragten sich aber, ob sie funktionieren würde. Wenn man Kunst macht, weiß man nicht unbedingt, was am Ende dabei herauskommen wird.

Sie sprachen anfangs von Besessenheit. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass Sie besessen sind von dem Konzept des Gedächtnisses, der Vergangenheit und der Erinnerung, aber das ist ein zentrales Thema in Ihren Filmen.

Ich habe selber ein phänomenales Gedächtnis, etwa in Bezug auf meine Kindheit. Das ist für mich sowohl eine Quelle großen Vergnügens, aber auch großer Trauer. Sachen, an die man sich erinnert, verbergen oft andere, die man nicht erinnert.

Haben Sie Befürchtungen, dass Ihr Gedächtnis eines Tages nachlassen könnte? Schreiben Sie deshalb Ihre Erinnerungen nieder?

Das ist eine gute Frage… Nein, noch nicht.

zur Filmkritik von »Louder Than Bombs«

 

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