Filmfestival von Venedig: Mit Tanz, Gesang und Tränen

Filmfestival Venedig: »La La Land« (2016). © Studiocanal

»La La Land« (2016). © Studiocanal

Amerikanische Independent-Regisseure eröffnen das 73. Filmfestival von Venedig: Damien Chazelle steigt mit dem Retro-Muscical »La La Land« zum sofortigen Löwen- und Oscar-Favoriten auf, Derek Cianfrance polarisiert mit dem Melodrama »The Light Between Oceans«

Singend und tanzend durch die Welt zu schreiten scheint ganz und gar nicht in die heutige Zeit zu passen. Aber genau darin liegt vielleicht einer der Gründe, weshalb das zur Eröffnung gezeigte Retro-Musical mit dem arglosen Titel »La La Land« des amerikanischen Regisseurs Damien Chazelle die 73. Filmfestspiele von Venedig im Sturm eroberte. Der Film, der hemmungslos nostalgisch an die Zeiten von Ginger Rogers und Fred Astaire,  an den »Amerikaner in Paris« Gene Kelly und an Stanley Donans »Funny Face« erinnert, begeisterte Kritik und Publikum am Lido gleichermaßen und stieg augenblicklich zum heißen Favoriten auf den Goldenen Löwen auf. Und weil seit einigen Jahren Venedig als Auftakt der »Oscar-Saison« gilt, wurden ihm gleich schon Nominierungen im doppelstelligen Bereich vorausgesagt.

»La La Land« (2016). © Studiocanal

Ob sich die Begeisterung aus dem abgeschlossenen Kosmos des Filmfestivals hinaus auch auf die normale Kinolandschaft überträgt, muss sich erst noch erweisen. Doch da Damien Chazelles vorheriger Film, das intensive Musikerdrama »Whiplash«, trotz geringem Budget und wenig prominenter Besetzung es bereits auf fünf Oscar-Nominierungen brachte, (und drei davon auch gewann), besteht berechtigter Anlass zur Hoffnung, dass aus »La La Land« einer der Kinohits werden könnte, die dem grassierenden Blockbustersyndrom mit seinen immer gleichen Superhelden etwas entgegenhalten.

»Ein Film, wie man sie heute nicht mehr macht« – so könnte man den kollektiven Stoßseufzer zusammenfassen, den »La La Land« in Venedig auslöste. Das Urteil gilt schon für eine Eröffnungsszene, die einen Los Angeles-Highway im Stau zeigt, bei dem auf einmal die Fahrer aus ihren Autos steigen, um singend einen Tanz über Karosserien und Autobahneinzäunung hinweg beginnen, gedreht in einer einzigen fulminanten Einstellung. Hier treffen sich die beiden Helden des Films, die angehende Schauspielerin Mia (Emma Stone) und der verkrachte Jazz-Pianist Sebastian (Ryan Gosling) zum ersten Mal: als der Stau sich auflöst, textet Mia noch, während Sebastian hinter ihr wütend per Hupe zum Weiterfahren mahnt. Sie zeigt ihm den Finger, aber als Kinozuschauer weiß man natürlich, dass dieses Treffen ein magisches war. Romantisch wird es zwischen den beiden erst zwei Zufallsbegegnungen weiter, doch über den Verlauf eines Jahres stellt sich heraus, wie gut sie sich gegenseitig tun – so gut sogar, dass ihre inzwischen aufsteigenden Karrieren sie wieder auseinander treiben. Aufgeteilt in fünf nach Jahreszeiten sortierte Episoden und unterbrochen von Tanz- und Gesangsnummern, die dicht am wehmütigen Ton der sich auf und abwärtsbegenden Romanze bleiben, gelingt Chazelle mit »La La Land« ein nostalgisches Musical, das in seinem Retro-Look und seinen aktuellen Figuren zugleich außerhalb der Zeit steht und doch ein heutiges melancholisches Zeitgefühl perfekt trifft.

»The Light between Oceans« (2016). © Constantin Film

Gegenüber soviel modernem Lebensgefühl hatte es der zweite Film des diesjährigen Wettbewerbs, Derek Cianfrances »The Light between Oceans« naturgemäß schwerer. Auch der Amerikaner Cianfrance hat seinen Ruf mit kleineren Independent-Produktionen aufgebaut, im Übrigen mit zwei Filmen, in denen er Ryan Gosling Schauspielkarriere entschieden beförderte. In seinem neuen Film spielen nun Michael Fassbender und Alicia Vikander ein Ehepaar auf einer einsamen Leuchtturminsel vor der Küste Australiens. Der Mann ist gezeichnet von dem Trauma der Westfront des Ersten Weltkriegs; seine junge Frau kommt nicht darüber hinweg, dass ihre ersten beiden Schwangerschaften in Fehlgeburten enden. Als eines Tages ein Ruderboot an ihre Insel schwemmt, in dem ein toter Mann und ein noch lebendes Baby liegen, beschließen sie wider besseres Wissen, das Kind als ihres auszugeben. Als sich Jahre später herausstellt, dass die wahre Mutter des Kindes überlebt hat, kommt es zu tragischen Verwicklungen.

Cianfrance will mit der Verfilmung des gleichnamigen Romans von M.L. Stedman auf großes Gefühlskino hinaus und inszeniert die einsame Insellandschaft in lebendiger, wilder Rauheit, doch leider lässt er seinen Schauspielern nicht genug Raum, um ihre Figuren über stereotype Verhaltensweisen – die Mutter will Mutter sein, der Mann will das Richtige tun – hinaus Tiefe zu verleihen.

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