Kritik zu Whiplash

© Sony Pictures

Damien Chazelle macht in seinem zweiten Spielfilm aus einem Lehrer-Schüler-Drama einen mitreißenden, ja wahrlich schweißtreibenden Actionfilm über den schmalen Grat zwischen Ansporn und Missbrauch, Motivation und Schinderei auf der Suche nach dem perfekten Takt

Bewertung: 5
Leserbewertung
3.2
3.2 (Stimmen: 5)

Am Anfang ist die Leinwand schwarz, auf der Tonspur ist der aggressive Beat eines Trommelsolos zu hören. Dann öffnet sich der Blick in einen dunklen Korridor, an dessen Ende eine Tür geöffnet ist. Es ist, als würde der Sound, der von dort hervordringt, die Kamera anlocken, sie magnetisch in ihren Bann ziehen. Mit der Kamera wird auch der berüchtigte Lehrer der fiktiven Elitemusikschule angelockt. Man spürt die Hochachtung, die er bei dem Schüler auslöst, der hier für sich allein probt. »Wissen Sie wer ich bin?«, fragt er, Andrew nickt stumm. »Dann wissen Sie auch, dass ich Musiker suche. Habe ich gesagt, dass Sie aufhören sollen?« Als der Junge wieder anfängt: »Habe ich gesagt, dass Sie spielen sollen?« Mit kleinsten Bewegungen seiner dirigierenden Finger und minutiösen Angaben fordert er Präzision ein. »Schneller. Ist das alles, was Sie können? Schneller, schneller . . .«  Als Andrew das nächste Mal in der Hoffnung auf Anerkennung hochschaut, hört er nur noch das Schlagen der Tür . . .

Schon die erste Begegnung zwischen Lehrer und Schüler setzt den Tonfall für ein grausames Katz-und-Maus-Spiel. Die Geschichte basiert auf den eigenen Erfahrungen des Regisseurs als Drummer, der sich einst wie Andrew Neiman (Miles Teller) die Finger blutig spielte und unter dem Druck eines Lehrers Angstattacken und Depressionen erlitt. Dabei ist Whiplash, benannt nach dem gleichnamigen Jazzstück von Hank Levy, so präzise gefilmt, dass er immer wieder die Intensität eines Peitschenhiebs entwickelt, bei dem man auch als Zuschauer den Atem anhält, wie die Schüler, denen die Angst aus allen Poren dringt.

Whiplash ist ein Musikthriller, der wie die Schleiferfilme aus Militär und Leistungssport funktioniert. Und es ist schon ein genialer Coup, dass ausgerechnet J. K Simmons, der in Filmen wie Juno jede Menge gutmütig väterlicher Grantler gespielt hat, hier so einen unnachgiebigen Drill-Sergeant gibt. Als Fletcher zelebriert er die hohe Kunst der Einschüchterung. Seine Physis, mit dem kahlen Schädel, mit hervortretenden Adern, tiefen Furchen, stechendem Blick und den angespannten Muskeln unter dem engen schwarzen T-Shirt verströmt eine faszinierende Bedrohlichkeit. Doch aller seelischen Grausamkeit zum Trotz bleibt im Hintergrund immer noch dieser Rest von Wärme erhalten, die Hoffnung, dass sich doch noch alles zum Guten wenden möge.

In seinen Stunden regiert die Angst, jederzeit kann jeder das Opfer werden. Ein paar Takte genügen ihm, um einen Schüler unerbittlich zu beurteilen. Zeit zum Einspielen wird nicht gewährt, das Einzige, was zählt, ist augenblickliche Perfektion. Rückhaltlos nutzt Fletcher jede ihm bekannte Schwäche, die er gerade zuvor bei einer scheinbar harmlosen Plauderei auf dem Gang herausgekitzelt hat. Der sadistische Psychoterror hat Methode, die sich aus einer Geschichte erschließt, die Fletcher immer wieder gerne erzählt: So sei aus Charlie Parker nur deshalb der begnadete Bird geworden, weil ihm der Drummer Jo Jones einst missbilligend ein Becken an den Kopf geworfen habe, denn erst diese Demütigung habe ihn dazu angespornt, wirklich unerbittlich zu üben. Seitdem ist Fletcher auf der Suche nach dem nächsten großen Talent so getrieben wie Captain Ahab auf der Jagd nach dem weißen Wal. Doch wo verläuft die Grenze zwischen Ansporn und Terror? Zwischen beflügelter Kreativität und sturer Perfektion?

Später wird Andrew seinen Lehrer einmal fragen, ob es nicht einen Punkt gäbe, an dem der Drill ein Talent entmutige. Doch Fletcher ist sicher, dass sich echte Talente niemals von ihrem Pfad abbringen ließen. Auch wenn der Film diese Theorie in seinem furiosen Finale durchaus befürwortet, bleibt die Frage im Raum, welchen Preis die Kunst rechtfertigt. Doch die ökonomische Wucht des Erzählens, die Chapelle in Whiplash zelebriert, verrät das Gespür für die absolute Präzision, die er in den endlosen Stunden erlernt hat, als er sich am Schlagzeug seine Finger blutig trommelte.

Meinung zum Thema

Kommentare

habe den Film gestern angesehen und muss sagen: lohnt sich nicht: eine permanente Aneinenaderreihung pubertärer Schimpfworte, mit denen die Akzeure gedemütigt werden, richtige amerikanische sch...; es ist mir ein Rätsel, wie so viele leute diesen Film als toll bezeichnen, obwohl es um einen schlicht pädagogische gewalt verherrlichenden Film geht.

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