Plastische Kino-Poesie: Kurzfilmtage Oberhausen

Mouse on Mars & Eric D. Clark - "Lost And Found"

Mouse on Mars & Eric D. Clark - "Lost And Found"

Zu den Standards der Oberhausener Kurzfilmtage gehören der internationale und der deutsche Wettbewerb. Besonders begeistert hat in diesem Jahr allerdings die Themenreihe zum – kurzen – 3D-Kino

Solche Kino-Erlebnisse gibt es nur in Oberhausen. Auf der riesigen Leinwand der Lichtburg wurde ein 3D-Movie aus dem Jahre 1975 gezeigt, ein äußerst rarer achtminütiger Film der US-Underground-Legende Paul Sharits. Gedreht im anaglyphen 3D-Verfahren auf 16 mm, glich der 3D-Movie einem irrwitzigen Trip, einer fantastischen Reise hinein ins Filmmaterial. Man erlebte die Bewegungen der Filmkörnung und das Wechselspiel der Farben wie das Innere eines Körpers. »Es reicht«, rief jemand aus dem Publikum, so stark war die explosive Wirkung dieser Fortsetzung des Action-Painting mit filmischen Mitteln.

Sharits' 3D-Movie lief in der großen Themenreihe der diesjährigen Kurzfilmtage, die den Möglichkeiten des 3D-Kinos gewidmet war. Als verspieltes, durchaus lustvolles Programm erwies sich diese Reihe, die von dem Filmemacher Björn Speidel, einem wahren Hipster der stereoskopischen Bilder, mit zurückhaltender Passion kuratiert wurde. Es reichte von der Hardcore-Kunst eines Sharits' bis zu einem kleinen Spielfilm wie Lapse of Time von Céline Tricart, der auch in einem Multiplex Erfolg haben würde. Es gab schmutzige, experimentelle B-Pictures wie Red Capriccio, aufwendig gestaltete Tanzfilme wie Ora oder erotische Sci-Fi-Opern wie Cochemare zu sehen. Dabei fiel auf, dass gerade auch im experimentellen 3D-Kino noch immer der Kintopp zu spüren ist und, damit verknüpft, ein Hang zum Fantastischen, zum Spektakulären. Das 3D-Kino erinnert sich gleichsam an die Anfänge der Kinematographie sowie an seine spezielle Vergangenheit in den 50ern. Und bei dieser Erinnerung träumt es von der Zukunft der Wahrnehmung. Es scheint, als wolle es nicht nur die Grenzen der Leinwand sprengen (und aller Computer-, Tablet- und Smartphone-Screens), sondern auch gestern und morgen miteinander kombinieren. Die Gestaltung des Raums, aber mehr noch die Erkundung der Zeit war das Thema der meisten 3D-Filme in Oberhausen. Der vielleicht schönste Film der Reihe, All Slides of the Road der OpenEndedGroup, ließ eine plastische Kino-Poesie erahnen. Man sieht den verwitterten Belag eines alten Highways irgendwo in Amerika, man glaubt, die Risse, die die Zeit in den Asphalt gegraben hat, förmlich zu spüren. Eine Straße und ihre Geschichte bekommen ein Gesicht in diesem Film, der die Attraktion des Dokumentarischen zelebriert.

Die Mysterien von Räumen stehen im Mittelpunkt der Filme von Takashi Ito, dem ein Festival-Special gewidmet war: die zumeist morbiden Geheimnisse der Innenwelt und Außenansichten japanischer Alltagsgebäude. Dabei erreicht Ito durch eine ausgeklügelte Einzelbildmontage oft dreidimensionale Effekte. In Devil’s Circuit umkreist er mit der Kamera ein Hochhaus in einer japanischen Großstadt. Der Wolkenkratzer beginnt durch Itos komplexe Aufnahmetechnik förmlich zu zittern.

Einen Ort scheinbar ohne Eigenschaften zeigt Eva Könnemann in Das offenbare Geheimnis, einem der sicherlich besseren Filme in der deutschen Reihe des Festivals. Könnemann, die Elemente der Fiktion mit dem Essayfilm kombiniert, nähert sich der Ortschaft Emmersum, die zu Voerde gehört und weder Stadt noch Dorf ist, mit leiser Ironie an. Allmählich aber macht sie in dem Ort ohne Sehenswürdigkeiten kleine Entdeckungen, sie zeigt mit geradezu zärtlichem Blick die Historie und die Möglichkeiten der Ortschaft auf. Eine innere Dimension des Kinos offenbart Könnemanns Film: die Entdeckung des Wunderlichen und Wunderbaren gegen alle Vorurteile im Stadtteil von Jedermann.

Den dieses Jahr recht starken Wettbewerb der deutschen Musikvideos gewann zurecht ein alter Wilder: Klaus Lemke, Oberhausen mit einer gewissen Hassliebe verbunden. Sein Video mit dem schönen, programmatischen Titel "Lost and Found" zeigt, wie der Sänger und DJ Eric D. Clark auf den Straßen Berlins einen Song einstudiert. Lemke gibt dem Musikvideo eine kraftvolle Simplizität zurück. Gerade auf der großen Leinwand der Lichtburg wurde aus dem Video ein kleiner Film, der wie die natürliche Fortsetzung der Nouvelle Vague in der heutigen Zeit erschien. Ein Kino-Erlebnis, wie es das nur in Oberhausen geben kann.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt