Interview mit Tom Hooper

Tom Hooper mit Eddie Redmayne am Set von »The Danish Girl«

Tom Hooper mit Eddie Redmayne am Set von »The Danish Girl«

Ein Gespräch mit dem britischen Regisseur Tom Hooper über das Thema Transgender und seinen neuen Film »The Danish Girl«

epd Film: Mr. Hooper, »The Danish Girl« ist ohne Frage zweierlei: die Geschichte einer ungewöhnlichen, großen Liebe, aber auch ein Film über Transsexualität. Welcher dieser beiden Aspekte war für Sie der wichtigere?

Tom Hooper: Es war auf jeden Fall die Liebesgeschichte, die mich zu Tränen rührte, als ich zum ersten Mal das Drehbuch las. Und in seinem Kern handelt der Film in meinen Augen von einer Ehe, die eine grundlegende Veränderung erlebt. Die Tatsache, dass Gerda Wegener ihren Mann so sehr liebt, dass sie bereit ist, ihn durch seine »Transition«, wie man es heute nennt, zur Frau zu begleiten, selbst wenn sie weiß, dass ihr dabei ihr eigentlicher Ehepartner abhandenkommen wird – das ist für mich in dieser Bedingungslosigkeit etwas ganz Außergewöhnliches und Wunderschönes.

Nun muss man allerdings dazusagen, dass die wahre Geschichte weniger bedingungslos war: Gerda soll lange offen lesbisch gelebt haben, und anders als im Film blieben sie und Lili nicht bis zum Ende zusammen. War Ihnen das nicht romantisch genug?

Sie dürfen nicht vergessen: Mein Film basiert in erster Linie auf dem gleichnamigen Roman von David Ebershoff, nicht auf der Realität. Dies ist kein Biopic, schon weil es keine Biografien über Lili Elbe oder Gerda Wegener gibt, auf die man sich zweifelsfrei berufen könnte. Auch die medizinischen Unterlagen existieren nicht mehr, weil die Klinik in Dresden im Krieg zerbombt wurde. Es führte also gar kein Weg daran vorbei, dass wir ihre Geschichte fiktionalisieren. Wobei man dazusagen muss, dass sich ­Lucinda ­Coxons Adaption sogar näher an der Realität bewegt als der Roman. Im Roman heißt Gerda Greta und kommt aus Kalifornien statt aus Dänemark. Auch die Kunst, von der die Rede ist, war bei David nicht die echte Kunst von Gerda und Einar Wegener. All das wollten wir unbedingt ändern, denn mir war es sehr wichtig, dass jeder Zuschauer auf der Leinwand die gleichen Gemälde sieht, die er von den beiden auch bei Google findet. Trotzdem bin ich überzeugt davon, dass die Herangehensweise des Romans, diese komplexe Geschichte für ein breites Publikum zu erzählen, stimmig ist.

Sie klingen ein wenig aufgebracht...

Das war nicht meine Absicht. Aber tatsächlich bin ich ein wenig genervt von diesem Mythos, der in letzter Zeit im Bezug auf Filme so viel Raum einnimmt: dass es nämlich so etwas gibt wie die »wahre Version« einer Geschichte. Natürlich könnte ich einen Film drehen über die wahren Ereignisse meines gestrigen Tages. Dann würden Sie meine tolle Begegnung mit Wim Wenders sehen, der begeistert war von »The Danish Girl«. Doch erinnere ich mich wirklich an jedes einzelne Wort, das gesprochen wurde? Natürlich nicht. Und würde er das Treffen auf die ­exakt gleiche Weise verfilmen? Auf keinen Fall.

In jedem Fall kommt »The Danish Girl« nun zu einem Zeitpunkt ins Kino, in dem das Thema Transsexualität medial so präsent ist wie nie zuvor, etwa dank Laverne Cox in »Orange Is the New Black« oder der Amazon-Serie »Transparent«. Spürten Sie, dass da etwas in der Luft liegt, als Sie sich erstmals der Geschichte widmeten?

Ich wünschte, ich wäre so hellsichtig. Und manches hatte ich auch zunächst gar nicht mitbekommen. Von Caitlyn Jenner etwa hörte ich zum ersten Mal, als Annie Leibovitz direkt im Anschluss an unsere Dreharbeiten Fotos von Eddie Redmayne und Alicia Vikander machte und mir ganz im Vertrauen erzählte, dass sie gerade beauftragt worden war, das inzwischen legendäre »Vanity Fair«-Cover von Caitlyn zu schießen. Ich bin wirklich begeistert vom Wind der Veränderung, der in Sachen Transsexualität plötzlich spürbar ist. Als ich vor sieben Jahren anfing, mich mit »The Danish Girl« auseinanderzusetzen, galt das Projekt in Hollywood noch als kaum erwägbares Risiko.

Sehen Sie die Gefahr, dass das Thema zum Hype verkommt, der wieder verschwindet?

Die Thematik ist in der Popkultur aktuell ohne Frage eine populäre. Doch ich habe die Hoffnung, dass sie auf ihrem Höhepunkt nicht einfach wieder in der Versenkung verschwindet, sondern im Gegenteil echte Veränderungen nach sich zieht. In der Gesetzgebung etwa, denn es muss immer noch darum gehen, Transsexuelle vor Diskriminierung  zu schützen, sei es am Arbeitsplatz oder in Fragen der Gesundheitsfürsorge. Aber auch ganz allgemein in der Gesellschaft, wo in der Alltagserfahrung transsexueller Menschen auch heute noch viel zu oft Offenheit und Toleranz Mangelware sind.

Nicht zuletzt aus den Reihen der LBGT-Community weht »The Danish Girl« nun allerdings Kritik entgegen. Unter anderem wird der große Raum kritisiert, den mit Gerda eben eine Cisgender-Figur in der Erzählung einnimmt. Darauf waren Sie vorbereitet, oder nicht?

Offen gestanden nicht in dem Ausmaß. Denn wir haben viel Wert darauf gelegt, zahlreiche Mitglieder der Trans-Community in die Arbeit am Film mit einzubeziehen. Sei es in kleinen Nebenrollen oder als Berater nicht zuletzt für Eddie, so wie etwa Lana Wachowski. Ich persönlich habe viel Wert gelegt auf das Feedback meiner Freundin Jennifer White, die bei »Les Misérables« mein Musical Director war und selbst eine transsexuelle Frau ist. Nicht zuletzt dank deren gegenteiliger Meinung kann ich auch mit der Kritik gut leben. Zumal ich im Zweifelsfall immer lieber einen Film drehe über ein Thema, das solche leidenschaftlichen Reaktionen hervorruft, als über eines, für das sich niemand interessiert. Nur so kann man doch als Künstler in einen aktiven Austausch mit der Kultur seiner Zeit treten.

Auch dass mit Redmayne ein Cisgender-Mann die Rolle dieser Transgender-Ikone spielt, als die Lili Elbe letztlich gesehen werden muss, stieß vielen auf...

Und ich kann das verstehen. Ich weiß, dass man sich als transsexueller Mensch oft unsichtbar und von der Gesellschaft nicht wahrgenommen fühlt. Dieses Gefühl verstärkt sich natürlich, wenn dann selbst in den wenigen eigenen Geschichten, derer sich der Mainstream annimmt, die eigene Community nicht die Repräsentation übernimmt. Für mich war in diesem speziellen Fall trotzdem Eddie die ideale Wahl, aufgrund seines Talents und seiner Prominenz. Und weil er auf dem Spektrum, das Gender ja letztlich ist, in meinen Augen einen interessanten Platz einnimmt. Aber ich stimme absolut zu: Das darf nicht so bleiben.

Weil...?

...von gleichen Rechten für Trans-Filmemacher und -Schauspieler natürlich nicht die Rede sein kann. Ich bezweifle stark, dass derzeit ein transsexueller Teenager, der davon träumt, als Schauspieler Karriere zu machen, das gleiche Selbstbewusstsein hat, das auch schaffen zu können, wie ein Cis-Altersgenosse.

Was waren im Fall von »The Danish Girl« Ihre visuellen Inspirationen?

In erster Linie auf jeden Fall die Kunst von Einar und Gerda selbst. In seinen Bildern ist eine gewisse Trostlosigkeit spürbar, ein Gefühl von Beschränkung. Darin vermittelte sich für mich ein gewisses Verständnis davon, was es wohl für Lili bedeutet haben muss, als Einar zu leben. Obwohl es letztlich wirklich sehr wenig ist, was seine Gemälde über sein Seelenleben verrieten. Das Inte­ressanteste im Blick auf seine Person ist ausgerechnet das, was seine Bilder eben gerade nicht zeigen. Für die Szenen in Dänemark waren sie mein Leitfaden, und eigentlich mehr noch die Bilder des dänischen Malers Vilhelm Hammershøi. Später, für die Szenen in Paris, waren dann eher die Art déco und Art nouveau mit ihrem Streben nach Schönheit wichtig, die auch Gerda in ihrer Kunst beeinflusst haben.

Diese Schönheit der Bilder, das Historische der Geschichten – solche Elemente Ihrer Filme sind längst zu Ihren Markenzeichen geworden. Reizt es Sie nicht manchmal, sich solchen Erwartungen komplett zu widersetzen?

Interessanterweise habe ich selbst schon den Sprung von »The King’s Speech« zu »Les Misérables« als radikalen Richtungswechsel empfunden. Und nicht zuletzt im Vergleich mit »The Danish Girl« ist »Les Mis« für mich ein recht hässlicher, dreckiger Film über die Ärmsten der Armen. Zumindest war das meine Absicht. Sicher, man könnte in allen drei genannten Filmen das Historische als gemeinsamen Nenner ausmachen. Aber thematisch stellten sie für mich jedes Mal eine komplett neue Herausforderung dar, und genau das ist es, wonach ich in meiner Arbeit suche.

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