Interview mit Marjane Satrapi (»The Voices«)

Die Farben sind Teil der Geschichte
Marjane Satrapi

Marjane Satrapi

Marjane Satrapi über »The Voices«, die Arbeit mit Ryan Reynolds, Humor und das Drehen mit Katzen

In Ihren Comics und deren Verfilmungen erzählen sie Geschichten über politische Verfolgung, religiösen Fanatismus, Tod und Selbstmord mit viel Humor. Worüber können Sie lachen?

Über beinahe alles. Wenn wir den Schrecken in der Welt zu nah an uns heranlassen, wird er unerträglich. Schließlich können wir nicht den ganzen Tag ernst sein, genauso wenig können wir den ganzen Tag leiden. Ich habe das selbst erlebt. Wenn man den Menschen das Lachen nimmt, nimmt man ihnen ihre Menschlichkeit. Humor ist für mich der Schlüssel zum menschlichen Verständnis. Wir weinen aus denselben Gründen, aber wir lachen nicht über dieselben Dinge. Wenn ich gemeinsam mit jemandem lache, habe ich das Gefühl, mein Gegenüber zu verstehen. Wenn ich hingegen mit jemandem nicht lachen kann, weiß ich auch nicht, wer diese Person ist.

Haben Sie gelacht, als Sie das Drehbuch zu »The Voices« gelesen haben? Immerhin geht es darin um einen Serienmörder namens Jerry.

Und wie! Obwohl »The Voices« eine so grausame Geschichte erzählt, ist sie unglaublich witzig. Das hat mich an dem Stoff gereizt. Ich konnte gar nicht anders, als den Film zu machen.

Ihre erfolgreichsten Comics sind alle in Schwarzweiß. Auch Ihre zwei Filme, die Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen, dem Comiczeichner Vincent Parronaud alias Winshluss, realisierten, sind nicht gerade bonbonbunt. Es scheint, als hätten Sie in »The Voices« nun die Farbe für sich entdeckt.

Es kommt immer auf die Geschichte an. Wenn ich Comics zeichne, sind die Zeichnungen bereits Bestandteil der Erzählung. Comics wie etwa "Persepolis" sind sehr komplex, haben jede Menge Handlung. Wenn ich hier zu sehr mit der Perspektive gespielt oder die Panels mit Details und Farben vollgestopft hätte, hätte das den Lesefluss erschwert. Durch die Reduktion auf Schwarzweiß konnte der Leser leichter in die Geschichte eintauchen. Beim Film »Huhn mit Pflaumen« haben Vincent und ich die Farben Teherans nachempfunden. Teheran ist eine sehr gelbe und graue Stadt – zumal in den 1950ern, in der die Geschichte spielt. Damals waren die beliebtesten Kleiderfarben eben braun, schwarz und dunkelgrau. Zudem geht es um einen Mann, der seinen Selbstmord plant. Die Farben passten zum Thema.»The Voices« spielt hingegen im Mittleren Westen der USA. Und es geht um eine fantastische Welt, die sich die Hauptfigur Jerry einbildet. Ich habe mir diese Welt sehr bunt ausgemalt. Die Farben darin sind nicht nur ein wichtiger Teil des Films, sondern selbst Teil der Geschichte.

Ryan Reynolds spielt diesen Jerry. Er ist das blendend aussehende Zentrum Ihres Films. Mühelos wechselt er vom schüchternen Angestellten zum eiskalten Killer. So hat das Publikum den "Sexiest Man Alive 2010" selten auf der Leinwand gesehen. Woher wussten Sie, dass dieses Talent in ihm schlummert?

Es genügt, sich Ryan Reynolds Filme anzusehen. Nehmen wir beispielsweise »Buried – Lebend begraben«. Es gibt nur wenige Schauspieler, die sich eineinhalb Stunden in einen Sarg legen können, ohne dabei zu langweilen. Zugegeben, bei der Besetzung eines Psychopathen habe auch ich nicht als erstes an Ryan Reynolds gedacht. Ryan wusste jedoch, dass ich »The Voices« machen würde, und kam auf mich zu. Wir hatten dieselbe Vorstellung vom Film. Das war entscheidend. Denn selbst der beste Regisseur der Welt wird mit dem besten Schauspieler der Welt keinen guten Film machen, wenn sie sich uneins sind. Ryan hat begriffen, dass Jerry im Grunde ein unschuldiger Junge ist, den seine Psyche überwältigt. Außerdem hat Ryan diese tiefen, dunklen Augen und einen gruseligen, furchteinflößenden Blick – aber gleichzeitig dieses jugendliche, spitzbübische Lächeln. Egal was Ryan anstellt, sobald er sein Lächeln aufsetzt, ist alles vergessen. Er ist ein wirklich großartiger Schauspieler. Das erkennt leider nicht jeder. Ryan ist ein verdammter Ferrari, den manche wie ein Fahrrad benutzen. Einen verdammten Ferrari sollte man aber auch wie einen Ferrari fahren!

Gemma Arterton und Anna Kendrick sind Reynolds weibliche Gegenparts. Zwei sehr unterschiedliche Frauen in einem schrägen Liebesdreieck.

Bei der Besetzung versetzte ich mich in Jerrys Rolle. Auf welche Frau würde er auf den ersten Blick fliegen? Definitiv Gemma Arterton. Da gehe ich jede Wette ein. Sie ist wie eine moderne Sophia Loren. Sie hat diesen sehr weiblichen Körper, der pure Sinnlichkeit verströmt. Die zweit Frau in Jerrys Leben, die er zunächst nicht wahrnimmt, musste also anders sein. Kleiner, unscheinbarer, aber dennoch attraktiv. In meiner Vorstellung passten Gemma Arterton und Anna Kendrick wunderbar zu Jerry.

Die heimlichen Hauptrollen in »The Voices« spielen jedoch Jerrys Haustiere, die Katze Mr. Whiskers und der Hund Bosco. Ein ungeschriebenes Gesetz des Filmemachens lautet: Drehe niemals auf Wasser, mit Kindern oder mit Tieren. Warum sind Sie dieses Wagnis dennoch eingegangen?

Weil ich doof bin. In »Huhn mit Pflaumen« haben wir mit Kindern gedreht. Das war schon schwer genug. Mit dem Hund hat es ganz gut geklappt. Wenn man zu ihm "Sitz!" gesagt hat, hat er sich auch hingesetzt. Die Katze wollte einfach nicht hören. Aber ohne Jerrys Hund und Katze hätte die Geschichte nicht funktioniert.

Sie hätten die Tiere auch am Computer programmieren können.

Spezialeffekte kommen für mich nur infrage, wenn es keine andere Lösung gibt. Und Tiere aus dem Rechner sehen so verdammt hässlich aus. Natürlich konnten die Tiere nicht sprechen, der Rest ist aber echt. Es war zwar schwieriger, aber das Ergebnis war den Aufwand wert. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass ich nicht mehr so schnell mit Tieren arbeiten werde. Aber wer weiß, wenn ich das jetzt so sage, drehe ich meinen nächsten Film vermutlich mit Kindern und Tieren auf dem Wasser.

Apropos nächster Film. Sie haben einen weiten Weg hinter sich. Aus Teheran nach Paris, vom Comic zum Film, erst mit französischen Darstellern dann mit Stars des US-Kinos. Wohin führt Ihr Weg als nächstes?

Antwort: Für mich gibt es zwei Arten Filme: gute und schlechte. Das Genre ist dabei nicht entscheidend. Und ich würde liebend gern weitere Genres ausprobieren. Verschiedene Dinge, die ich noch nicht gemacht habe. Ich würde gern einen Kinderfilm drehen oder ein Musical. Über mein nächstes Projekt werde ich allerdings nicht sprechen. Nicht, weil ich eine Geheimniskrämerin bin, sondern weil ich unglaublich abergläubisch bin. Und wenn ich etwas über mein nächstes Projekt verrate, wird es misslingen.
 

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt