03/2023

»The Way We Were« – Viele amerikanische Regisseure schauen derzeit mit einer gewissen Nostalgie zurück auf Zeiten, in denen wir uns noch analog organisierten. So auch Steven Spielberg in seinem neuen Film »Die Fabelmans« +++ 

»Sprechen Bilder für sich?« – Der Collagefilm, ausschließlich montiert aus Archivmaterial, ist eine Spezialität von Sergey Loznitsa – und hat eine ganz eigene Tradition +++ 

»Auf den Spuren von Tyrion Lannister« – Der Aktivist Raul Krauthausen über die Präsenz und Darstellung von Menschen mit Behinderung. +++ 

Filme des Monats: Return to Dust | Das Blau des Kaftans | Broker | Sonne und Beton | Creed III | Saint Omer +++

In diesem Heft

Tipp

Graz, 21.-26.3. – Das Programm der Diagonale versammelt alljährlich im Frühjahr einen repräsentativen Querschnitt des aktuellen österreichischen Filmschaffens. Den Auftakt macht in diesem Jahr »Das Tier im Dschungel« von Patric Chiha, mit Anwesenheit vieler Beteiligter.
Landshut, 22.-27.3. – Rund 1500 Filme aus 75 Nationen wurden zum 23. Landshuter Kurzfilmfestival angemeldet. Der Schwerpunkt liegt traditionell auf Filmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber auch das internationale Programm wurde in den letzten Jahren verstärkt, mit besonderem Fokus auf Genrefilmen
Regensburg, 16.-26.3. – Mit internationalem und nationalem Wettbewerb sowie dem spezifischen Bayern- und Regionalfenster präsentiert das Festival in Regensburg wieder den Kurzfilm in all seinen Facetten. Ein Themenschwerpunkt ist in diesem Jahr das Anthropozän. Der Länderschwerpunkt liegt auf Mexiko.
Tampere, 8.-12.3. – Das finnische Tampere Festival zählt zu den bedeutendsten europäischen Kurzfilmfestivals. Im Zentrum stehen ein internationaler und ein nationaler Wettbewerb sowie eine Reihe für kurze Genrefilme und thematische Programme. Ebenfalls wichtig ist das vielseitige Rahmenprogramm mit Workshops, Diskussionen und Konzerten.
Recklinghausen, 15.-19.3. – Nach einigen pandemiebedingten Verschiebungen kehrt das Kirchliche Filmfestival zu seinem Frühjahrsturnus zurück und versucht so auch wieder mehr Filme vor dem offiziellen Kinostart zu zeigen. Wie jedes Jahr gehört das Kurzfilmprogramm mit anschließendem Gespräch zum Festival dazu. Neben dem ökumenischen Filmpreis vergibt eine spezielle Jury zum 3. Mal den Jugendfilmpreis sowie den Kinderfilmpreis »Der grüne Zwerg«.
Benjamin Caron versucht mit »Sharper« einmal mehr, die Renaissance des Noir-Thrillers einzuläuten – mit ausgefeiltem Drehbuch und toller Besetzung.
Rocker und Religion: In der dritten Staffel der Serie »Trapped – Gefangen in Island« wechselt das Autorenteam um Baltasar Kormákur und Sigurjón Kjartansson die Tonart.
In der neuen Serien-Interpretation des »Django«-Stoffs gibt Matthias Schoenaerts den Rächer als in vielerlei Hinsicht sensiblen Mann.
Ein verstörender Schulaufsatz setzt in der dänischen Serie »Cry Wolf« dramatische Ereignisse in Gang.
Einst war die Rede von einer Hollywoodadaption mit prominenten Stars – nun lässt das ZDF die Bestsellerverfilmung »Der Schwarm« nach Frank Schätzing vom Stapel.
Helden der anderen Art. Frieden schaffen – auch mit Waffen: die DC-Serie »Peacemaker« auf DVD und Blu-ray.
Sehr japanisch: In »Makanai: Cooking for the Maiko House«, der Verfilmung eines populären Mangas über Geiko-Azubis, feiert Hirokazu Kore-eda in wohltemperierter Atmosphäre die Geisha-Tradition in der alten Kaiserstadt Kyoto.
Die kanadische Produktion »Sort Of« ist ein zu oft übersehenes kleines Juwel in der Serienlandschaft: dezidiert queer, aber ohne Klischees, stattdessen voll warmherziger Komplexität.
In der Serienadaption »The Consultant« nach einem Roman von Bentley Little spielt Christoph Waltz einmal mehr den sardonischen Bösewicht, der seine Worte geschickt als Waffe einzusetzen versteht.
Liebe und Cyberkram: Die Apple-Serie »Liasion« will an Vorbilder wie »Homeland« und »Büro der Legenden« anknüpfen.
Am 05.03. sprechen Marina Prados und Paula Knüpling im Kino des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums mit epd-Film-Autorin Maxi Braun über ihren Film »Ladybitch«.
Zwei Frauen und jede Menge Konflikte: Auch in der zweiten Staffel lebt »Hacks« von der Gegensätzlichkeit seiner Heldinnen, die doch nichts weiter wollen, als im Comedy-Business zu bestehen.
Gothic Horror trifft Film noir: »Die Wendeltreppe« von Robert Siodmak.
»Luden« lässt den Paradiesvogel-Mythos der alten Bundesrepublik über Hamburgs »Große Freiheit« und die Individualisten in St. Pauli aufleben.
Jesse Eisenberg und Claire Danes spielen in »Fleishman Is in Trouble« eines jener (Ex-)Paare, deren Sorgen man für eitle First-World-Problems halten kann – bis einen die Darsteller doch von ihrer tiefen Menschlichkeit überzeugen.
Der Mensch im Angesicht des Endes: Michael Hanekes Endzeitdrama »Wolfzeit« im Mediabook.
»Katzenmenschen«, »Der Leichendieb« und »Ich folgte einem Zombie«: Mit opulenten Editionen lässt Pidax drei Horrorklassiker in neuem Glanz erstrahlen.
Perfektionistisch wie der Regisseur: Liebhaber-Edition zu Kubricks »The Shining«.
Lesen und neu sehen. Über Roegs »Wenn die Gondeln Trauer tragen«.
Die Geschichte um den Prozess gegen eine aus dem Senegal nach Frankreich gekommene Frau, die ihr Baby ertränkt hat, basiert auf wahren Begebenheiten. Aber es sind die fiktiven Elemente des Films, die einen Blick auf das Leben schwarzer Frauen in Europa ermöglichen, der weit über den Kriminalfall hinausgeht.
In »This Is Going to Hurt« verarbeitet Adam Kay schonungslos seine Erfahrungen als Assistenzarzt.

Thema

Regisseurin Catherine Corsini spricht im Interview über traumatische Familiengeschichten, ihre korsischen Wurzeln und den langen Weg zu der teils autobiografischen Geschichte, die sie in ihrem neuen Film »Rückkehr nach Korsika« erzählt.
Viele amerikanische Regisseure schauen derzeit mit einer gewissen Nostalgie zurück auf Zeiten, in denen wir uns noch analog organisierten. So auch Steven Spielberg in seinem neuen Film »Die Fabelmans«.
Der Collagefilm, ausschließlich montiert aus Archivmaterial, ist eine Spezialität von Sergey Loznitsa – und hat eine ganz eigene Tradition.
Die Kostümbildnerin Bina Daigeler hat Cate Blanchetts maskulinen Look für den oscarnominierten Film »Tár« und die opulenten Roben in »Mulan« entworfen.
Song Kang-ho, in Südkorea nicht erst seit dem ­Oscar-Gewinner »Parasite« ein Star, spielt ganz normale Männer mit ganz und gar nicht normaler Virtuosität. Jetzt ist er in Kore-eda Hirokazus neuem Film »Broker« zu sehen, für den er im letzten Jahr in Cannes den ­Darstellerpreis bekam.
Warum sieht man in deutschen Filmen und Serien kaum Menschen mit Behinderung? Falls doch: Warum werden sie von Nichtbehinderten gespielt? Und was ist das überhaupt, eine Behinderung?

Meldung

Das Saarbrücker Nachwuchsfilmfestival Max Ophüls Preis in seinem 44. Jahr: vielfältig und professionell
Das Sundance Film Festival im Januar ist das Jahresauftatkttreffen des amerikanischen und internationalen Independentfilms. Mit einer in diesem Jahr hervorragenden Qualität.
Lavinia Wilson, 42, Schauspielerin, mehrfach ausgezeichnet, hat eine atemberaubende Filmografie, u. a. »Leise Schatten«, »Allein«, »Schussangst«, »Frau Böhm sagt nein«, »Quellen des Lebens«, »Schoßgebete«, »Deutschland 86 ... « Jetzt ist sie in »Der Pfau« zu sehen.

Filmkritik

Rocky-Nachfolger Creed muss wieder in den Ring, als ein Geist aus der Vergangenheit seine Gegenwart aufstört. Ein Boxerfilm, der das Herz am rechten Fleck behält, auch wenn der etwas überambitionierte Regieneuling Jordan mitunter in den Seilen hängt. Sehenswert vor allem wegen der Schauspielerei von Jonathan Majors in der Rolle des Antagonisten.
Maryam Touzani gelingt ein formvollendeter Film, der seine Figuren behutsam inszeniert und sie auch in Momenten größter Verletzlichkeit strahlen lässt. Nebenbei greift sie furchtlos und doch respektvoll Tabuthemen wie Homosexualität und Tod auf und zeigt eine andere Seite der marokkanischen Gesellschaft.
Was als lockere Bettgeschichte beginnt, verwandelt sich in dieser redestarken Tragikomödie in eine Liebesaffäre, in der sich keiner traut, zu seinen Gefühlen zu stehen – was trotz nicht ganz stimmiger Charaktere ein herzzerreißendes Schauspiel ist.
Hirozaku Kore-edas neuer Film beginnt, wie sein Cannes-Sieger »Shoplifters«, mit der Aussetzung eines Kindes. Auch diesmal ist die kriminelle Energie einer Familienbande immens, aber nicht unerschöpflich. Eine verzweifelte Mutter und zwei Babyhändler machen gemeinsame Sache in einem tragikomischen Roadmovie, dessen das Ziel, moralisch wie sentimental, eigentlich feststeht. Aber was auf dem Weg dorthin geschieht, wirkt selten vorhersehbar.
Der Schauspieler Lars Eidinger hat dem Dokumentarfilmer Reiner Holzemer die Möglichkeit gegeben, ihn bei den Proben zu seinem Debüt als »Jedermann« in Salzburg zu begleiten. Dabei ist eine Dokumentation entstanden, die natürlich von Eidingers Geschick zeugt, sich selbst in Szene zu setzen. Zugleich liefert sie aber auch unschätzbare Einblicke ins Handwerk und die Kunst des Schauspielens.
Ein Tag im Leben von Psychotherapeutin Ina, die versucht, es allen recht zu machen: der pubertierenden Tochter, dem Lebenspartner und der egozentrischen Mutter, die ihren 70. feiert. Katharina Wolls Kinodebüt lebt vom Ensemble, zündet aber insgesamt nicht recht und fühlt sich mehr wie ein boulevardesk-verspielter TV-Abend denn wie Kino an.
Das unaufgeregte Porträt einer aufgeregt wahrgenommenen Autorin, die in der unorthodoxen Definition von Feminismus manchen ihrer Zeit voraus war.
Die deutsche Filmemacherin spürt in ihrer konventionell erzählten Doku der Bedeutung von Musikerinnen in der Geschichte des Rocks nach und lässt dafür viele Protagonistinnen, allen voran Suzie Quatro, zu Wort kommen. Ehrenwert aber langweilig inszeniert.
Die letzten 24 Stunden im Leben des römischen Philosophen Seneca inszeniert der Film in grotesker Überhöhung und zeichnet seinen Protagonisten als höchst zwiespältige, opportunistische Figur, dabei auf die Gegenwart zielend.
Dass Deutschland seine Kolonialgeschichte auf dem afrikanischen Kontinent politisch, aber eben durchaus auch filmisch aufarbeitet, ist überfällig, und allein deswegen ist Lars Kraumes neuer Film wichtig. Auch dass die erschütternde Geschichte über den Genozid an den Herero und Nama aus Täterperspektive und mittels eines nicht zum Helden taugenden Protagonisten erzählt wird, ist die einzig richtige Herangehensweise.
In das Leben einer Star-Dirigentin auf dem Gipfel ihres Ruhms schleichen sich immer mehr Irritationen ein, bis es zu massiven Anschuldigungen gegen sie kommt. Eine vielschichtige, doppelbödige Reflexion über Kunst, Macht und Missbrauch, die zum Streiten einlädt – zugleich aber schauspielerisch, visuell und nicht zuletzt musikalisch ein großer Genuss.
Weil die Eismaschine der Eismacherfamilie kaputt geht, beschließt die 10-jährige, eigentlich vorbildliche Lucy, eine Bank auszurauben. Der Film ist eine sympathisch-überdrehte Freundschafts- und Familiengeschichte inklusive »Oceans Eleven«-Kinderheist, auf Augenhöhe umgesetzt für die junge Zielgruppe.
Ein Problemfall für die chinesische Zensur, aber ein Glücksfall für Kinogänger. Li Ruijun erzählt, wie aus einer arrangierten Ehe eine bäuerliche Liebesgemeinschaft und eine sachte Utopie von Selbstbestimmung wird. Sein zutiefst lyrischer Film findet Schönheit in der kargen Landschaft und Magie in nebensächlichsten Alltagsdetails. Sechs Saatkörner, auf einen Handrücken gelegt, können sich in eine Blume verwandeln, wenn man die Welt mit den Augen dieses Regisseurs betrachtet.
Im Stil eines Dokumentarspiels hat Bernd Michael Lade die Aussage eines langjährigen KZ-Insassen vor einem Militärgericht gegen SS-Mörder in Szene gesetzt. Der konzentrierte Film basiert auf Gerichtsprotokollen.
Mit einer Fülle von Material und Interviews zeichnet der Film den Werdegang des Musikers Irmin Schmidt nach, letztes lebendes Stammmitglied der legendären Band Can. Ein faszinierendes Künstlerporträt und zugleich Zeitreise in eine Ära kühner musikalischer Experimente.
In seinem Regiedebüt verlegt Vasilis Katsoupis das Subgenre »Ein Mann allein gegen widrige Umstände« von der Wildnis in ein hypermodernes New Yorker Luxus-Penthouse, das für einen smarten Kunstdieb zum gläsernen Käfig wird und Willem Dafoe eine schauspielerische Tour de Force abverlangt.
Die Mittzwanzigerin Signe findet drastische Methoden, um aus dem Schatten ihres als Künstler erfolgreichen Freundes herauszutreten. Bitterböse Satire aus Norwegen, die ihre Kritik an dem gesellschaftlichen Druck, den die Maxime der ständigen Selbstverwirklichung auf junge Frauen ausübt, in blutige Bilder verpackt.
Das Porträt des Künstlers als junger Mann? Steven Spielbergs semi-autobiographischer Film ist nicht nur das, sondern auch eine Liebeserklärung an seine Eltern und sein eigenes Medium. Die sentimentale Reise in die Vergangenheit ist vieldeutig inszeniert und einnehmend gespielt (Michelle Williams verkörpert die Mutter hinreißend). Zum guten Schluss erteilt David Lynch als knurriger Altmeister John Ford dem angehenden Hollywoodregisseur eine Lektion, die unvergesslich ist.
Im Stil einer Mockumentary entwickeln Marina Prados und Paula Knüpling einen Fall von Machtmissbrauch bei Proben zu einer »Lulu«-Neuadaption. Und sie erzählen vom Zusammenhalt des Ensembles.
In dem einfühlsamen Dokumentarfilm über ihre Mutter Lore und das Verhältnis zu ihr macht sich Kim Seligsohn verletzlich und zeigt eindrucksvoll auf, wie sehr sich Traumata von Flucht, Vertreibung und Verlust über mehrere Generationen hinweg in die Körper und Psychen derjenigen einschreiben, die überlebt haben.
In der Verfilmung von Isabel Bogdans gleichnamigem Romandebüt wird das Rätsel des toten Pfaus zur Krimiposse und die Teambildungsmaßnahme im schottischen Herrenhaus mit einem illustren Schauspielerensemble zum heiteren Gesellschaftsspiel um Political Correctness im Zeitalter der Wokeness.
Sergey Loznitsa legt einen weiteren filmischen Essay vor: Mit restaurierten Aufnahmen und ausgefeiltem Sounddesign erzählt er vom alliierten Luftkrieg gegen Deutschland. Ein faszinierender, auch erschütternder Film, dessen konsequenter Verzicht auf Kontextualisierung diskussionswürdig ist.
Überaus brutaler koreanischer Genrefilm, der neue Maßstäbe setzt, was den Einsatz von Kunstblut betrifft.
Die Geschichte um den Prozess gegen eine aus dem Senegal nach Frankreich gekommene Frau, die ihr Baby ertränkt hat, basiert auf wahren Begebenheiten. Aber es sind die fiktiven Elemente des Films, die einen Blick auf das Leben schwarzer Frauen in Europa ermöglichen, der weit über den Kriminalfall hinausgeht.
David Wendt verfilmt Felix Lobrechts Roman mit enormem Drive, street credibility und einem starken Herzen für Underdogs.
Adaption des gleichnamigen Bestsellers von Joachim Meyerhoff, in dem dieser seine Kindheit und Jugend auf dem Gelände einer von seinem Vater geleiteten Kinder- und Jugendpsychiatrie erinnert. Ein interessanter Stoff, allzu unaufgeregt in Szene gesetzt.
Zwar hat Channing Tatum als Tänzer Magic Mike, der nun in London eine neue Männerstrip-Show choreographieren soll, seinen Charme bewahrt, der alte Schwung der Tanz-Saga wird aber leider durch eine bizarre Rahmenhandlung ausgebremst.
In den ersten zwei »Ant-Man«-Filmen entschädigte Paul Rudds Charme für öde Green-Screen-Keilereien. In »Quantumania« aber erstickt die Künstlichkeit des computergenerierten Quantum-Universums jedes noch verbliebene Interesse an Figuren und Handlung.
M. Night Shyamalan verbindet Home-Invasion-Thriller mit schwerwiegenden Gewissensfragen vor dem Weltuntergang. Das Wunder ist, dass es als Film vor allem wegen der hervorragender Besetzung gut funktioniert.

Film

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