Kritik zu Wenn Ärzte töten – Über Wahn und Ethik in der Medizin

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2009
Original-Titel: 
Wenn Ärzte töten – Über Wahn und Ethik in der Medizin
Filmstart in Deutschland: 
03.12.2009
V: 
L: 
90 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Hannes Karnick und Wolfgang Richter porträtieren den amerikanischen Historiker und Psychiater Robert Jay Lifton, der von seinen Begegnungen mit Naziärzten berichtet

Bewertung: 4
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Dieser Film ist anders als viele Dokumentationen über den Holocaust und das »System KZ«. Meist wurden Opfer und Täter befragt, unvergessen Hotel »Terminus« von Marcel Ophuls oder »Shoah« von Claude Lanzmann. Hannes Karnick und Wolfgang Richter aber sprechen mit einem Historiker, der auch Arzt und Psychiater ist, über seine Begegnungen mit Ärzten, die in Vernichtungslagern Häftlinge getötet haben. Der jetzt 83-jährige Robert Jay Lifton hat sich immer wieder mit Menschen in Grenzsituationen beschäftigt, mit Überlebenden von Hiroshima oder Vietnamveteranen. Sein Buch »The Nazi Doctors« erschien 1986. Aber auch so viele Jahre später ist seine Erzählung vor der Kamera packend, als hätte er das alles gerade erst erlebt. Da Lifton schwierige Sachverhalte in einer einfachen, verständlichen Sprache darstellen kann, hört man gebannt zu.

Aber man hört nicht nur zu. Obwohl die Regisseure Lifton nur in Groß- oder Halbnah- Aufnahmen zeigen, wird das, was die Dokumentarfilme der »redenden Köpfe« oft so unerträglich macht, hier zum Ereignis. Man sieht in ruhigen, genauen, meist langen Einstellungen, wie Gedanken entstehen. Es gibt aber Zwischenschnitte: Lifton lebt an der Atlantikküste von Cape Cod, ein paar Mal sieht man das Meer, die Wellen, ein paar Seeadler, unterlegt von einer zwischen Ruhe und Unruhe changierenden Musik (Jan Tilman Schade) – Szenen zum Ausatmen, Durchatmen.

Sie verweisen auch auf eine Sequenz im Garten, nicht im Arbeitszimmer, in der das Thema gewechselt wird. Lifton bekennt sich trotz all der furchtbaren Dinge, die er erforscht hat, zur Lebensfreude, zum Humor. Und in der letzten Szene antwortet er auf die Frage nach dem grundsätzlich Bösen im Menschen: Er sei kein Pessimist, der nur mit dem Allerschlimmsten rechne, und kein Optimist, der das Gute erwarte, aber er habe Hoffnung. Der Film endet mit einem Comic von Lifton (er hat Comics sogar veröffentlicht): Zwei Vögel zwitschern miteinander: »After thirty years of psychoanalysis, how do you feel?« – »A little better.«

Die Gespräche mit den Naziärzten beschreibt Lifton zunächst, dann interpretiert er sie und leitet daraus eine Analyse der Medizin im »Dritten Reich« ab. Er hat den Ärzten Anonymität zugesichert, hat die Interviews vorsichtig begonnen, über Themen wie Sterilisation und Euthanasie näherte er sich der Tötung in den Lagern. Die Mediziner fühlten sich der Naziideologie verpflichtet: Die deutsche Volksgesundheit sollte geschützt werden. Die damals moderne Technologie der Gaskammer erleichterte ihnen die Morde. Direkte Mordgeständnisse aber bekam Lifton nicht. Er sieht im Arztberuf, den er aus der vormodernen Welt der Schamanen herleitet, die Gefahr, sich als Herr über Leben und Tod zu fühlen. Er belegt seine Thesen mit einer Fülle beeindruckender Beispiele, bekannten, aber auch überraschenden.

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