Kritik zu Tschick

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Fatih Akin setzte Wolfgang Herrndorfs Jugendromanbestseller von 2010 für die Leinwand um und hat daraus einen zugleich wahrhaftig und fast altmodisch anmutenden Coming-of-Age-Film gemacht, der die große Freiheit eines Abenteuersommers im geklauten Lada durch ostdeutsche Szenerien feiert

Bewertung: 5
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5 (Stimmen: 1)

Traditionell sind Coming-of-Age-Geschichten das Terrain von Erstlingsregisseuren, bei denen sich die filmischen Selbstfindungsprozesse ganz natürlich mit den Turbulenzen des Erwachsenwerdens verbinden. Mit Fatih Akin hat nun ein arrivierter Regisseur mit neun langen Filmen in den Regie-Credits den Zuschlag bekommen, für die Verfilmung von Wolfgang Herrndorfs Buch- und Bühnen-Bestseller »Tschick«. Trotzdem gelingt es ihm überzeugend, das flüchtige Jugendgefühl einzufangen, die Unmittelbarkeit und Unsicherheit der Wahrnehmung, den Leichtsinn und die Waghalsigkeit, den Trotz und den Sturm und Drang, mal himmelhochjauchzend, mal zu Tode betrübt. Schon das Filmplakat kondensiert dieses Lebensgefühl auf wunderbare Weise, mit dem warmen Licht des Sommers über einem leuchtend gelben Feld, mit vielen weißen Wölkchen im blauen Himmel und mit einem blauen Lada, der schon fast wieder aus dem Bild verschwunden ist. Alles drin, Sommerfrische und jugendlicher Drive, eingehüllt in ein ganz und gar deutsches Lebensgefühl.

Als sich Herrndorf 2004 anschickte, den Jugendroman »Tschick« zu schreiben, vertiefte er sich zunächst in die Bücher seiner eigenen Kindheit und stellte dabei fest, dass deren Helden die Welt der Erwachsenen auf großen Abenteuerreisen, meistens zu Wasser, schnell hinter sich ließen: Nur raus aus der Enge der eigenen Existenz, weg von den Enttäuschungen des Schulalltags und den Ernüchterungen im Clinch mit den Eltern, davon wollte er erzählen, und weil ihm eine Floßfahrt über die Elbe im 21. Jahrhundert nicht plausibel erschien, entschied er sich fürs Ausreißen auf der deutschen Autobahn, in einem geklauten Lada.

Wie Herrndorf gelingt es auch Akin, völlig ungekünstelt und wahrhaftig, zugleich leicht und tiefgründig an die jugendlichen Verwirrungen des Gefühls anzudocken. Der Regieroutine entkommt er dabei schon deshalb, weil er in seinem zehnten langen Film vieles zum ersten Mal macht: Erstmals hat er eine Auftragsarbeit mit einem bereits weitgehend zusammengestellten Team übernommen  – von David Wnendt, der sich mit »Kriegerin« und »Feuchtgebiete« als Spezialist für jugendliche Aufmüpfigkeit empfohlen hatte, aber durch ausgedehnte Recherchereisen für die Hitler-Satire »Er ist wieder da« aufgehalten wurde. Zum ersten Mal erzählt Akin eine ganze Geschichte aus der Perspektive von Teenagern, und um die begrenzte Zeit der jugendlichen Darsteller effizient nutzen zu können, drehte er erstmals mit mehreren kleinen digitalen Kameras gleichzeitig. Darüber hinaus hat er auf dem Weg ein paar ziemlich gute Entscheidungen getroffen, zum Beispiel die, als Drehbuchsozius Hark Bohm an seine Seite zu holen, der in »Nordsee ist Mordsee« und »Moritz, lieber Moritz« ein feines Gespür für die Vibrationen der Jugend bewiesen hat. Es gibt wahrhaftige Locations wie Autobahnen, Maisfelder, Wiesen und Wälder, eine Müllhalde, einen Stausee und eine klapprige Holzbrücke über einem Sumpfgebiet, die eine natürliche Sinnlichkeit verströmen, ohne pittoresk zu wirken. Die Musikauswahl reicht von Seeed über Fraktus, Beginner und K.I.Z. bis hin zu den Beatsteaks und sogar zu einem Song von Richard Clayderman, was diesen Abenteuersommer zwischen schwungvollem Drive, rockigem Beat und unterschwelliger Melancholie schwingen lässt.

Eine hervorragende Wahl sind vor allem die wunderbar eigenwilligen jungen Darsteller Anand Batbileg als Tschick und Tristan Göbel (der in Christian Schwochows »Westen« schon den Sohn von Jördis Triebel gespielt hat und eine kleine Rolle in den »Rico und Oskar«-Filmen) als Maik. So ist ein Film entstanden, der den literarischen Jugendtraditionen von J. D. Salinger und Mark Twain näher ist als den umtriebigen Fantasy-Franchises von heute, ein Film, der auf wunderbare Weise an schmerzlich schöne amerikanische Coming-of-Age-Filme wie »Stand by Me« erinnert – ohne den Vergleich scheuen zu müssen.

Meinung zum Thema

Kommentare

Fans des Romans werden auch die Verfilmung mögen. Wer aber das Buch und/oder eine der Theateraufführungen schon kennt und kein eingeschworener Fan des Buchs ist, könnte sich auf die Dauer etwas langweilen, da der hinlänglich bekannte Plot eben doch nur sehr solide nacherzählt wird.

Ausführlichere Kritik: https://daskulturblog.com/2016/09/21/tschick-fatih-akins-verfilmt-wolfgang-herrndorfs-pubertaets-bestseller-tschick/

Könnten sie das nächste mal kompetente Schauspieler auswählen? Vor allem Tristan Göbel ist schlimm. Er sieht eher aus wie ein Haderlump aus als einer der etwas kann. Bitte bannen Sie ihn aus dem Filmset. Grüsse, der Schweinereiter

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