Kritik zu Touched

© Real Fiction Filmverleih

Claudia Rorarius erzählt mit sensiblem Realismus und radikaler Intimität von der Beziehung einer Pflegerin zu ihrem querschnittgelähmten Patienten

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Der Titel »Touched« impliziert, was Claudia Rorarius in ihrem zweiten Langfilm vollzieht. Das Wechselspiel zwischen Maria (Isold Halldórudóttir) und Alex (Stavros Zafeiris) ist eine sensibel inszenierte Choreographie multipler Berührungen, die sich vom körperlichen Außen ins seelische Innere der beiden vorarbeitet.

Sie, eine sehr korpulente Frau, begegnet dem Mann, der nach einem Unfall querschnittgelähmt ist, in dem Heim, in dem sie arbeitet. Maria hilft ihm an der Seite ihrer Vorgesetzten (Angeliki Papoulia) aus dem Bett und hält ihn im Schwimmbecken an Kopf und Hüfte fest, damit er nicht untergeht. Als sie merkt, dass er sich zu ertränken versucht, zieht ihn die Pflegerin panisch aus dem Wasser.

So groß die Gegensätze zwischen Maria und Alex auch sein mögen, deren Körper auf ihre je eigene Weise von dem abweichen, was wir Norm nennen: Die beiden kommen sich näher. Sie singt ihn in den Schlaf, wenig später streichelt sie während einer Berührungstherapie seinen Penis. »Er ist nur ein totes Teil«, sagt er, um kurz darauf festzustellen, dass er unrecht hat. Dass Marias Ausdruck ihres Begehrens in den ersten Minuten auch etwas Übergriffiges hat, ist eine der vielen Ambivalenzen des Films. 

»Touched« normalisiert mit empowerndem Gestus kaum je Gesehenes, wenn er einige sehr explizite, dabei niemals pornografische Sexszenen zwischen den beiden zeigt. Mit statischen Einstellungen im 4:3-Format eröffnet die Regisseurin einen filmischen Safe Space, in dem komplexe Fragen verhandelt werden. Der Film wirft die Zuschauenden auf Vorstellungen von Körpernormen zurück, er thematisiert Sexualität und unterschiedliche Machtgefälle, etwa wenn Maria ihre Bewegungsfreiheit nutzt, um Alex auch mal gegen seinen Willen zu berühren oder wenn er sie später sexuell ausnutzt und sich toxisch verhält. 

Dass der Film niemals seinen angemessenen, empathischen Ton verliert, ist der große Verdienst vor allem auch der isländischen Body-Positivity-Aktivistin Isold Halldórudóttir und des querschnittgelähmten griechischen Tänzers Stavros Zafeiris. Man möchte bei dem selbstbewussten, körperintensiven Tanz, den die beiden hinlegen, nicht glauben, dass sie erstmals vor der Kamera standen. In Locarno wurde das Duo für seine schauspielerische Leistung mit einem »Goldenen Leoparden« ausgezeichnet. 

»Touched« ist ein bewusst radikaler Film, der Grenzen auslotet, allerdings nicht um der dumpfen Provokation willen. Sicher lässt sich diskutieren, ob das Setzen eines Urinkatheters derart detailliert gezeigt werden muss, zugleich lässt sich konstatieren, dass der Film unverstellt den Alltag in der Pflege zeigt. Rorarius inszeniert mit künstlerischem Realismus, zeigt zwischen den Aufnahmen aus der sterilen Klinik Bilder aus der Natur: Baumwipfel in leichtem Nebel, eine Höhle. Zwischendurch tanzt Maria oder singt, einmal, in einer Karaokebar, Cyndi Laupers »Time After Time«. Auf eine – natürlich – ambivalente Erlösung folgt ein alles überwindender letzter Tanz.

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