Kritik zu Tödliche Versprechen

© Tobis

2007
Original-Titel: 
Eastern Promises
Filmstart in Deutschland: 
27.12.2007
L: 
100 Min
FSK: 
16

Nach einem bemerkenswerten Buch von Steve Knight geht Cronenberg in seinem Mafiafilm ein Stück weit mehr auf den Mainstream zu. Dennoch ist »Eastern Promises« kein »erbaulicher« Film im üblichen Sinn. Noch immer wähnt man sich bei Cronenberg weniger im Kino als bei einem Arztbesuch, in banger Erwartung einer schlechten Nachricht

Bewertung: 4
Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 1)

Auf den ersten Blick hat »Tödliche Versprechen – Eastern Promises« nicht viel gemein mit den früheren Filmen David Cronenbergs. Weder gibt es unnatürliche Körperöffnungen noch verrückte Gynäkologen. In seinem 15. Kinofilm interessiert der Kanadier sich nicht mehr für Drogenexperimente und hybride Wissenschaftler, sondern, wie zuletzt schon in »A History Of Violence«, für Familiengeheimnisse und morbide Vaterfiguren.

Der Exilpatriarch Semyon, der im regnerischen Londoner East End ein russisches Restaurant führt, erscheint zunächst so untadelig wie der freundliche Coffeeshop-Besitzer Tom Stall im vorangegangenen Film. Wir lernen Semyon kennen, als die Hebamme Anna ihn aufsucht. Die familiäre Verbindlichkeit, mit der Semyon die Fremde gleich in die Küche bittet, und die liebenswürdige Geduld, mit der er den Enkelkindern erklärt, dass sie beim Violinenspiel »das Holz zum Weinen bringen« sollen, erinnert die russischstämmige Anna spontan an ihren eigenen Vater.

Die liebenswürdige Sanftheit des Patriarchen ist nicht aufgesetzt, sondern ein Instrument seiner Herrschaft. Seine eigentliche Grausamkeit deutet der Film nur dadurch an, dass Semyon nie aus der Rolle fällt. Wir sehen ihn aber zunächst nur so wie Anna oder ein Besucher seines Restaurants, wo alte Damen friedlich ihren 100. Geburtstag feiern inmitten schwülstiger Folklore.

Allmählich erst zeichnet sich ab, dass dieser liebe Onkel, der von Armin Mueller-Stahl mit einer somnambulen Souveränität verkörpert wird, der Kopf eines Frauenhändlerrings ist. Das Schicksal einer dieser Frauen deutet der Film an mittels der Geschichte der schwangeren Ukrainerin Tatjana, die in einem Londoner Krankenhaus an den Folgen ihrer Misshandlung durch Semyons »Russenmafia« stirbt. Ihre Leidensgeschichte bleibt jedoch filmisch unsichtbar. Wir erfahren von Tatjana nur aus ihrem Tagebuch, das die Hebamme Anna bei ihr findet.

Das klingt nach TV-Movie, ist aber beabsichtigt. Denn erst durch die Widerstände, die Anna bei der Übersetzung dieser russischen Notizen überwinden muss, wird dem Zuschauer indirekt klar, dass man an die Mafia nicht so einfach herankommt, auch nicht mit der Filmkamera. In formaler Entsprechung zu diesem Problem verzichtet Cronenberg auch auf eine konventionelle Rückblende, die Tatjanas Misshandlungen voyeuristisch bebildern würde. Nur über die Worte der Toten – die in diesem Fall mehr sagen als tausend Bilder – erfahren wir, was geschah: Semyon hat die junge Frau vergewaltigt, und zwar im Beisein seines Sohnes Kirill. Der Pariarch wollte seinem Spross demonstrieren, was ein »Mann« ist.

Rituelle »Initiationen« dieser Art haben aus Kirill nicht gerade den taffen Sohn gemacht, den der Patriarch sich wünschte. Besonders auf das Thema Homosexualität reagiert er sehr reizbar. Als ein Mitglied des Clans über Kirill tuschelt, lässt dieser ihn von seinem Frisör umbringen.

Mit dieser Mordszene, die das Genre des Mafiathrillers bedient und zugleich unterläuft, setzt die eigentliche Filmhandlung ein. Kirills Chauffeur und Leibwächter Nikolai (Viggo Mortensen) muss den Toten beseitigen. Wenn er dabei die tiefgefrorene Leiche mit dem Fön antaut, um an die Brieftasche zu kommen, dann zitiert der Film zunächst jenen »coolen« Humor, den wir aus dem Mafiafilm kennen. Doch wenn Nikolai dann zur Zange greift und, knack, die Fingerkuppen der Leiche abknipst – dann ist es wieder da: das »Cronenberg-Gefühl«.

Obwohl der medizinische Realismus des Kanadiers direkt auf das Kleinhirn wirkt, erscheint die eruptive Gewaltdarstellung diesmal pittoresk überzogen. Cronenberg, der sich hier mehr für seine nuanciert gezeichneten Charaktere interessiert, bleibt sich dabei aber treu: keine schwafelnde Psychologie. Viggo Mortensen, einst strahlender Held aus Mittelerde, verkörpert diesen Nikolai mit kantigem Narbengesicht und zurückgegeltem Kurzhaar als typische Cronenberg-Figur. Bei seiner rituellen Beförderung wird Nikolai mit einer altmodischen Tätowiermaschine bearbeitet. Dabei werden nicht nur die Symbole des Clans in seine Haut geritzt. Wie in den früheren Cronenberg-Filmen erzeugt diese lustvoll quälende Symbiose aus Fleisch und Technik eine neue Art von transhumanem Organismus, der auf seine Weise perfekt funktioniert. Wie perfekt, sehen wir später, wenn in einer surreal choreographierten Sauna-Schlägerei nackte Männerleiber sich lüstern übereinander schieben und Nikolai dem stöhnenden Widersacher die abgebrochene Klinge ins Auge rammt.

Die mehr als nur angedeutete Homoerotik spiegelt sich in Nikolais Beziehung zu Kirill, der von Vincent Cassel als grausames Kind verkörpert wird. Die vage Annäherung zwischen Nikolai und der Hebamme Anna, von Naomi Watts völlig unglamourös gespielt, bleibt dagegen nur angedeutet. Die beiden kommen aus verschiedenen Welten. Am Ende retten die beiden den Säugling der toten Tatjana. Das dabei entstehende, an Spielberg erinnernde Familienbild bleibt jedoch ein Antagonismus. Nikolai gehört in die Welt der Männer mit den schwarzen Ledermänteln, und Anna bekommt ein Kind ohne Mann.

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