Kritik zu Stiller Sommer

© Zorro Filmverleih

Dagmar Manzel und Ernst Stötzner spielen ein Paar, das im südfranzösischen Ferienhaus seine Beziehung neu definieren muss. Regisseurin Nana Neul setzt dabei auf die Leichtigkeit des Sommers und die Tiefe ihrer Darsteller

Bewertung: 3
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 2)

Obwohl er in Frankreich spielt, haftet dem neuen Film von Nana Neul (Mein Freund aus Faro) von Beginn an etwas typisch Deutsches an. Die Ferienhauskultur von offenbar gut situierten Mittfünfzigern, die einerseits in vollen Stücken französische Lebensart genießen und andererseits doch auch gerne unter sich bleiben – man hat sie gefühlt schon in Dutzenden von Filmen gesehen. Und man meint zu wissen, worauf es auch dieses Mal hinausläuft: Das südliche Flair bringt die zur Strenge neigenden deutschen Seelen in Schwung und Ordnungen durcheinander.

Kristine (Dagmar Manzel) kommt bereits in Unordnung in ihrem Ferienhaus im Süden Frankreichs an. Sie hat ihre Stimme verloren, ob wegen Überarbeitung oder Unzufriedenheit im Leben – da sie darüber nicht sprechen kann, thematisiert der Film es auch nicht. Stattdessen nutzt er die Situationen, die sich so ergeben: Kristine muss handeln statt sprechen; sie muss zuhören – oder weglaufen. Es hat etwas, wenn eine Figur so eingeführt wird: Die Annäherung an die alte Freundin Barbara (Victoria Trauttmansdorff), die als Nachbarin die Schlüssel zum Ferienhaus verwahrt, verläuft harmonischer, als wenn Kristine Widerworte geben könnte. Auch der Tochter (Marie Rosa Tietjen) bleibt eine Standpauke erspart, als Kristine sie im Bett mit dem Franzosen Franck (Arthur Igual) findet. Und als Ehemann Herbert (Ernst Stötzner) auch noch angefahren kommt, braucht Kristine sich nur umzudrehen, um sich dessen Wunsch nach Aussprache zu verweigern.

Überraschenderweise ist es ausgrechnet Franck, der Liebhaber der Tochter, der Kristines Stummheit gewissermaßen am besten für sich auszunutzen weiß. Sie kann nur mit einem Blick antworten, als er ihr gesteht, schon im Alter von elf Jahren in sie verliebt gewesen zu sein. Später verführt er sie zum Pilzeessen und dann zu mehr. Dass sie nichts sagen kann, nichts sagen muss, scheint es wiederum Kristine zu erleichtern, sich auf Francks Verführung einzulassen. Gerade als sich der Zuschauer darin einrichtet, dass es in diesem Film um das sinnliche Erwachen einer Frau mittleren Alters gehen wird, vollzieht Stiller Sommer eine eigenartige Wendung.

In dem Moment, als Kristine sich klarmacht, dass sie doch nicht so leicht von Herbert lassen will, setzt der Film zeitlich zurück und wechselt zu dessen Perspektive über. Einige Szenen sehen wir ein weiteres Mal – aber aus anderem Blickwinkel. In anderen werden Informationen aus der Vergangenheit nachgeholt, und während Herbert ganz ähnlich wie seine Frau diverse Konfrontationen mit der Tochter, den Freunden und den Nachbarn erlebt, setzt sich auf einmal ein ganz neues Bild der Ehe zwischen ihm und Kristine zusammen.

Vieles ist uneben in diesem Film – von der Dramaturgie bis zur Zeichnung der Figuren –, aber er besticht durch die ungewöhnliche Struktur und den Mut zu Nuancen und zum Unausgesprochenen.

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