Kritik zu Stein der Geduld

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Schon zum zweiten Mal hat der afghanische, seit 1984 in Paris lebende Autor Atiq Rahimi ein eigenes Werk selbst verfilmt. Anders als der autobiografisch gefärbte Erstlingsroman erzählt Stein der Geduld vom Leben einer Frau im heutigen Afghanistan

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Ein Mann und eine Frau. Allein in einem Zimmer. Er schweigt, sie spricht. »Stein der Geduld« ist der Monolog einer noch jungen afghanischen Ehefrau am Lager ihres im Koma liegenden viel älteren Mannes. Er ist eingefeierter Held, ein Dschihad-Krieger; die Kugel im Hinterkopf hat er sich jedoch nicht im Krieg, sondern bei einem persönlichen Streit eingefangen. Er schweigt schon sechzehn Tage lang, erzählt sie, unterbrochen von zwei Explosionen. Die Front verläuft inzwischen mitten durch die Stadt, am Fenster fahren Militärfahrzeuge vorbei, später dringen Soldaten ins Haus ein, lassen die Wertsachen mitgehen, während sie mit den Kindern und Nachbarn im Keller Schutz gesucht hat. Aber wenn diese Frau zur senffarbenen Burka greift und sich das lästige Kleidungsstück über den Kopf wirft, um auszugehen, verwandelt sie sich unversehens in ein malerisches Element in einer zerstörten Welt.

Ein zwiespältiger Eindruck. Da ist die zielstrebig vorgetragene, mutige Lebensbeichte einer muslimischen Frau, zunächst eher zaghaft, dann selbstsicher, mit dem Dolch in der Hand, als die Soldaten wiederkommen. Aber sie bleibt vor der üblichen Vergewaltigung verschont, weil sie behauptet als Prostituierte zu arbeiten. Die Helden bevorzugen Jungfrauenblut! Sarkasmus schleicht sich in die Beichte, die alle furchtbaren Geheimnisse dieser Ehe offenlegt, die nichts anderes als das übliche Schicksal einer Frau in Afghanistan offenbaren. Der reglose, meist mit offenen Augen daliegende Mann wird auf diese Weise zu einem »Stein der Geduld«, zu einer Gestalt aus der Mythologie, die alle Geheimnisse in sich aufnimmt, bis sie eines Tages explodiert.

Als Rahimis gleichnamiges Buch herauskam, das 2008 mit dem angesehenen Prix Goncourt ausgezeichnet und zu einem Bestseller wurde, sprach die Kritik bereits von einem »hochliterarischen Filmskript«. Die detailreichen Beobachtungen, die bereits im Text als lautlose Spannungsträger eingesetzt sind, bereichern auch den Film, der sich – anders als der Roman – nach draußen öffnet, auf leere zerbombte Straßen, auf denen nur noch der Mullah oder der Wasserträger unterwegs sind. Auch die spätere Begegnung mit der Tante, die in einem Bordell am Stadtrand arbeitet, gibt dem Film eine unerwartete neue Wende. Prostitution stellt für eine alleinstehende Frau dort die einzige Form des Überlebens dar. Wahrscheinlich bleibt Regisseur Rahimi mit seinen Schilderungen sehr nah an der Realität, wenn es um die traurigen Lebensumstände von Frauen im heutigen Afghanistan oder in anderen streng muslimischen Ländern geht.

Aber da ist eben auch Schönheit im Elend, die wunderbare Golshifteh Farahani, die Eleganz ihrer Bewegungen, die ungewohnte eloquente und offene Rede ihrer Protagonistin, die an Selbstentblößung grenzt, die Entdeckung des eigenen Körpers – das sind Erfahrungen, die sich eher an westlichen Emanzipationsmustern zu orientieren scheinen. Man wird das Staunen nicht los, dass eine einfache afghanische Frau zu einer solch selbstbewussten Selbstdarstellung fähig sein soll. Diesen Widerspruch kann der kunstvoll gemachte Film leider nicht auflösen.

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