Kritik zu Schwestern

© Farbfilm

Familie Kerkhoff, ein disparates Ensemble unterschiedlicher Zeitgeisttypen, findet sich zu einem Ereignis von erhabener Konsequenz an einem abgeschiedenen Ort ein – und wartet

Bewertung: 4
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2 (Stimmen: 2)

Anne Wilds Film Schwestern schlüpft nonchalant aus dem Korsett der handlungsfixierten Drehbuchmuster und öffnet eine Seelenlandschaft, in der Aufschub und Nichtstun unterm sommerlichen Pflaumenbaum ein gewittriges emotionales Fluidum erzeugen. Kati (Marie Leuenberger), die jüngste der Kerkhoff-Kinder, wird an diesem Tag Novizin in einem katholischen Kloster – eine stillschweigende Entscheidung, die den Rest der weltlich eingestellten Familie schockiert. Entsprechend unangemessen trifft man mit Sekt und Picknickkorb vor dem Klos­tertor ein. Das Verhältnis zwischen Mutter Usch (Ursula Werner), einer zwischen Kaltschnäuzigkeit und mütterlicher Sentimentalität schwankenden Erfolgsfrau, und ihrer älteren Tochter Saskia (Maria Schrader) ist gespannt, da die Mutter der Tochter Ziellosigkeit, umgekehrt die Tochter der Mutter die lang zurückliegende Trennung vom Vater vorwirft. Zwischen den explosiven Damen der sanftere Bruder Dirk (Felix Knopp) samt reizbarer Gattin Doreen (Anna Blomeier), einem selig schlafenden Baby und der nörgelnden Marie, die um nichts in der Welt aus ihrem Biene-Maja-Kostüm heraus will. Auch Katis verlassener Freund (Thomas Fränzel) kreuzt auf und verbrennt wütend Klamotten, die die Frommgewordene bei ihm zurückließ. Fehlt noch der zwangsjugendliche Onkel Rolle (Jes­per Christensen), der seine junge Geliebte und ein dickes Auto präsentiert.

Katis Entscheidung scheint festzustehen. Da aber eine andere Novizin mit Zweifeln ringt, wird der Ritus aufgeschoben. Die Kerkhoffs bleiben auf sich gestellt draußen, sollen den radikal anderen Lebensentwurf ungefragt akzeptieren. Man schwärmt ins Gelände aus und verfällt inmitten der Idylle in Zwistigkeiten.

Anne Wild bringt eine moderne Halbfamilienkonstellation auf den Punkt, in der die Mutter die Rolle einer scharfzüngigen alleinerziehenden Journalistin spielt, zugleich jedoch um die Zuneigung ihrer Kinder bettelt und deren Versagensängste provoziert. Dennoch ist nicht das Mutter-Tochter-Chaos, sondern die Liebe der Schwestern das Herzstück des Films. Kati, die mystische Katalysatorfigur, scheint ihre zornige ältere Schwester unmittelbar anzuziehen. Vor der Zumutung ihrer Frustration flieht Saskia über die Mauer hinweg aufs Klostergelände und sucht, beeindruckt von der transzendentalen Aura des Ortes, die Schwester. Es kommt zu einem wunderlichen Zwiegespräch, einer so im Kino noch nie gesehenen Liebesszene. Die Jüngere schweigt wegen eines Gelübdes, das sie abgelegt hat, aber vermag ihren Entschluss zu bekräftigen, während die ältere Schwester ihr Gespür für die sprachlosen Ges­ten inniger Nähe zwischen ihnen in einen intensiven, dialogisch wirkenden Abschiedsmonolog übersetzt.

Die Kerkhoffs, erzählt Anne Wild fern von penetranter Missionierung, nehmen ein Erweckungserlebnis aus dem verqueren kulturellen Clash dieses Nachmittags mit. Das aufziehende Gewitter reinigt ihre Stimmung, es kommt zu einer Kette kurioser kleiner Happy Ends. Womöglich haben sie jetzt eine persönliche Schutzheilige.

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