Kritik zu One of These Days

© Weltkino

2020
Original-Titel: 
One of These Days
Filmstart in Deutschland: 
19.05.2022
L: 
120 Min
FSK: 
16

Der deutsche Regisseur Bastian Günther reflektiert noch einmal über den amerikanischen Traum: Beim »Hands On«-Wettbwerb in einer amerikanischen Kleinstadt geht es darum, wer am längsten durchhält mit der Hand am Wagen

Bewertung: 4
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Bastian Günther pendelt zwischen der texanischen Hauptstadt Austin und Berlin und macht sich sein kulturelles Dazwischensein zunutze. Mit der Neugier eines Außenstehenden, die zugleich durchzogen ist von großem Humanismus, erzählt der Regisseur in »One of These Days« eine uramerikanische und doch universelle Geschichte.

Was mit einem Fernsehwerbespot und Straßeneinstellungen im Google-Maps-Suchmodus beginnt, entpuppt sich als bitterböse Reflexion über Einsamkeit, Wettbewerb und Materialismus. Oder, anders: über die Auswüchse des Kapitalismus generell. Einen Großteil von »One of These Days« verbringen wir an der frischen Luft, ein Kammerspiel auf einem Parkplatz. Dort stehen sie, die »glücklichen« Ausgelosten, und streicheln den Pick-up-Truck, das Objekt der Begierde. Beim »Hands On«-Wettbewerb, den das örtliche Autohaus alljährlich ausrichtet, gilt: Wer am längsten durchhält mit seiner Hand auf dem monströsen Ungetüm, darf ihn sein Eigen nennen. Es gilt, aufrecht zu stehen, die kurzen Pausen sind streng reglementiert.

Günther lehnt seinen Film an reale Begebenheiten an. Der 1992 in Texas gestartete Wettbewerb »Hands On A Hardbody«, dessen Rekord bei unfassbaren 125 Stunden liegt, wurde 2004 eingestellt, nachdem sich ein Teilnehmer nach rund 48 Stunden am Pick-up eine Kugel in den Kopf gejagt hat. Dass es Wettbewerbe dieser Art gibt, erzählt viel über kapitalistische Mechanismen und erfüllt überdies auch Klischees über das texanische Cowboytum: Last man standing. 

Überhaupt spielt der Regisseur selbstbewusst mit den Klischees, unterminiert sie aber zugleich, indem er seine Figuren ernst nimmt. Am Truck steht eine bibeltreue Christin neben zwei Beavis-und-Butt-Head-Typen, auch die Hauptfiguren passen, oberflächlich betrachtet, ins Muster. Joan (Carrie Preston), PR-Frau des Autohauses, motiviert die Teilnehmer und überspielt die eigene Einsamkeit mit breitem Lächeln. Wettbewerbsteilnehmer Kyle (Joe Cole) braucht den Wagen dringend für die kleine Familie. Sie beide sind auf ihre Art Getriebene, wie der Film mit großer Konzentration und einem alles andere als oberflächlichen Blick zeigt. Und sie sind tragische Figuren.

Nach und nach entwickelt sich das Happening unter der gleißenden texanischen Sonne zum Horror. Unnachgiebig läuft auf der großen Uhr die Zeit weiter, 50 Stunden, 60 Stunden. Jede Minute kratzt an der menschlichen Fassade der Teilnehmer. Die Hände am Truck kriegen Schwielen, Muskel- und Geisteskraft lassen nach. Günther zeigt den Psychoterror des Wettbewerbs, ohne seinen Figuren die Würde zu nehmen: der Mensch als Opfer eines perversen Systems.

»One of These Days« war einer der stärksten Beiträge im Panorama der Berlinale 2020. Mit einem fantastischen Ensemble, sommerlich flirrenden Bildern von Michael Kotschi und einem Soundtrack der oberbayrischen Independent-Rocker von The Notwist kondensiert der Parkplatz zu einem düsteren Gesellschaftsporträt. Lediglich die lange, unverständlicherweise noch ins Surreale kippende Coda scheint völlig unnötig.

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