Kritik zu Nur für einen Tag

© Wild Bunch

Amélie Bonnin verpackt die Geschichte einer Gourmetköchin, die in die ­heimatliche Provinz zurückkehrt, als Mischung aus Romanze, Komödie, Familiendrama und Musical

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Die gastronomische Gegenwart für Cécile Béguin (Juliette Armanet) bedeutet kreativen Stress. In 14 Tagen wird die erfolgreiche Absolventin von »Top Chef«, einem TV-Wettbewerb für Profiköche, mit ihrem Partner Sofiane (Tewfik Jallab) ein eigenes Restaurant in Paris eröffnen. Was fehlt, ist »le truc«, ein unverwechselbares Gericht, das ihre Handschrift trägt. In Amélie Bonnins »Nur für einen Tag«, dem Eröffnungsfilm in Cannes 2025, steht Cécile anfangs in der Küche und bastelt an ihrer Gastrozukunft. Aber Bonnin, die »Nur für einen Tag« aus ihrem gleichnamigen Kurzfilm von 2021 entwickelt hat, gönnt ihrer Hauptfigur kein frühes Happy End. 

Der Vater (François Rollin) hat erneut einen Herzinfarkt erlitten. Cécile macht sich auf den Weg in die französische Provinz, wo die Familie Béguin an einer Route nationale ein Lokal betreibt. Es ist eine Reise in die Vergangenheit: persönlich und kulinarisch. Cécile trifft Familienhund Bocuse wieder sowie ihre Jugendliebe Raphaël (Bastien Bouillon). Spannungen mit der Mutter (Dominique Blanc) sind programmiert, erst recht mit dem Vater, der sich selbst aus dem Krankenhaus entlassen hat. Cécile moniert wortreich, aber machtlos, dass sich das Menü ihrer Eltern für die Gäste nicht verändert hat. Nach wie vor im Angebot ist die Macé­doine, ein »signature dish« einfach-rustikaler Küche auf der Basis von Gemüse.

Vor David Cailleys Kamera entwickeln sich Handlungsstränge ohne Anspruch auf Originalität. Scheinbar erloschene Emotionen im Verhältnis von Cécile und Raphaël bemächtigen sich mit großer Intensität des ehemaligen Paars. Spannungen innerhalb der Familie Béguin verlieren peu à peu an Konfliktpotenzial, ein versöhnliches Ende kommt in Sicht. Was Bonnins Werk sehenswert macht, ist nicht das Was, sondern das Wie. Die Filmsprache besitzt einen improvisiert anmutenden Duktus, erscheint auf kunstvolle Weise kunstlos. Manchmal scheint es, als wäre die Kamera zufälliger Zeuge, wenn die Figuren miteinander streiten, sich sinnlich begegnen oder ausgelassen feiern. Oder immer wieder anfangen zu singen. Auch das wirkt hier vollkommen natürlich. Die Musik spielt eine Hauptrolle, sie spiegelt und kommentiert die Handlung. »Pour que tu m'aimes encore« von Céline Dion erklingt als Liebesmotiv, »Mourir sur scène« von Dalida als Memento mori. Francis Cabrels Chanson »Je l'aime à mourir« hat keine Chance, sich zu entfalten; es bricht abrupt ab. Das passt, denn die Beziehung von Cécile und Raphaël besitzt eine komplexe Dynamik. Ein anrührender Moment entsteht, wenn Rollin und Armanet Claude Nougaros »Cécile ma fille« singen. Die erste Zeile »Elle voulait un enfant« spielt auf ein zentrales Thema des Films an.

Das Ensemble fühlt sich in dem originellen Rahmen zwischen Romanze, Komödie, Familiendrama und Musical sichtlich wohl. Armanet vereint Charme und Nervensägentum. Blanc als Fanfan beschließt den Film mit einer überraschenden Pointe. Das Mitglied der Comédie Française hat für so etwas ein besonderes Händchen.

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