Kritik zu Nico

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In ihrem Spielfilmdebüt erzählt Eline Gehring so sensibel wie spannend von einer jungen Altenpflegerin in Berlin, die Opfer eines rassistischen Angriffs wird und anschließend ihr Trauma bewältigen muss

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Vom ersten Moment an werden wir in Nicos (Sara Fazilat) Welt hineingezogen: Eine fröhliche, selbstbewusste Altenpflegerin in Berlin, die ihren Job mit Hingabe und Herzlichkeit ausübt, nach Feierabend am Kiosk mit der besten Freundin vorglüht und auf einer spontanen Party im Park in den lauen Sommerabend tanzt. »Nico« ist der erste Langspielfilm von Regisseurin Eline Gehring und gleichzeitig die Abschlussarbeit von Sara Fazilat im Studium Produktion an der DFFB. Für das Drehbuch zeichnet neben ihnen noch Bildgestalterin Francy Fabritz verantwortlich. Die vertrauensvolle Kollaboration des Trios  dürfte einer der Gründe sein, warum »Nico« die aufgegriffenen Themen so sensibel und multiperspektivisch umsetzt. 

Die unbeschwerte Zustandsbeschreibung von jungem Leben in Berlin erfährt jäh einen Cut, als Nico auf dem Rückweg aus dem Park zusammengeschlagen wird. Ein Überfall, wie er gern als »rassistisch motivierter Übergriff« euphemisiert wird, ist hier ebenso realistisch wie unerträglich inszeniert. Eine Gruppe junger Männer, angeführt von einer aggressiven Frau, schikaniert Nico erst mit Worten, dann mit Tritten. Nico hat nichts getan, um den Angriff zu provozieren, der schnell und heftig eskaliert, bis sie schwer verletzt im Krankenhaus aufwacht. Zurück bleibt eine in sich gekehrte und wütende Frau, die nie wieder Opfer sein will.

Sara Fazilat gelingt die Darstellung dieser 180-Grad-Drehung ihres Charakters scheinbar mühelos. Die einst lebenslustige Nico ist nach dem Angriff nicht wiederzuerkennen: Ihr Blick, die hochgezogenen Schultern und die in ihr lodernde Wut und Angst zeigen, wie sich Traumata in den Körper einer Betroffenen einschreiben. Beim Filmfestival Max Ophüls Preis 2021 wurde sie für diese Leistung als »Bester Schauspielnachwuchs« ausgezeichnet. 

Um Gefühle, die Nico von innen auffressen, zu kanalisieren, beginnt sie in einem Dojo, Karate zu trainieren. Glücklicherweise mündet das nicht in einer geradlinigen Emanzipationsgeschichte à la »Karate Kid«, denn die psychischen Folgen der Tat lassen sich nicht einfach physisch wegtrainieren.

Drehbuch und Regie gelingt es hier, über Rassismuserfahrungen hinaus sehr subtil verschiedene Thematiken aufzugreifen: Rosa und Nico – die zwar bewusst neutrale Vornamen tragen, aber flüssig zwischen Farsi und Deutsch wechseln – diskutieren beiläufig über das Tragen eines Kopftuchs, Rosa (Javeh Asefdjah) wird durch wenige Äußerungen als lesbisch charakterisiert. Auch die ambulante Altenpflege, bei der Laien die Patient*innen verkörpern, wurde selten so ehrlich und einfühlsam gezeigt. Kurz: »Nico« macht alles richtig, was heute oft abwertend als politisch korrekt bezeichnet wird, und beweist, dass dies nicht auf Kosten von Ästhetik, Narration, Spannung oder Humor gehen muss. Im Gegenteil erzählt dieses feine, packende Debüt eine mitreißende Geschichte von Freundschaft, Selbstermächtigung und Traumabewältigung, ohne Hollywood-Katharsis und jenseits von Klischees, aber doch mit einem Funken Hoffnung.

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