Kritik zu Nawalny

© DCM

2022
Original-Titel: 
Nawalny
Filmstart in Deutschland: 
05.05.2022
V: 
L: 
98 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Von seiner Vergiftung im Sommer 2020 bis zu seiner Rückkehr nach Russland und der Verhaftung im Januar 2021: Der kanadische Filmemacher Daniel Roher porträtiert den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny

Bewertung: 3
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Im März wurde Alexej Nawalny ein weiteres Mal verurteilt: Wegen angeblicher Veruntreuung soll er neun Jahre Lagerhaft unter verschärften Bedingungen absitzen. Andere, dramatischere Nachrichten haben seitdem das Schicksal des Oppositionellen und wichtigsten Gegenspielers von Wladimir Putin aus der allgemeinen Wahrnehmung gedrängt. Daniel Rohers Dokumentarfilm kommt nun genau zur richtigen Zeit, bietet er doch sowohl ein faszinierendes Porträt Nawalnys als auch Einblicke in die Mechanismen von Putins Machtapparat.

Der junge Kanadier Roher wurde bereits für »Once Were Brothers« (2019) über Robbie Robertson und The Band mehrfach ausgezeichnet, mit »Nawalny« hat er in diesem Jahr den Publikumspreis von Sundance gewonnen und wird das DOKfest in München eröffnen. Über mehrere Monate hat er seinen Protagonisten hautnah begleitet, zeigt ihn nach dem Mordversuch mit dem Nervengift Nowitschok in Berlin, bei der langsamen Erholung gemeinsam mit seiner Familie im Schwarzwald und bei seinem mutigen Entschluss, zurück in die Heimat Russland zu reisen – mit dem Ergebnis der Festnahme noch am Flughafen. Diese oft persönlich gefärbten Aufnahmen kombiniert der Film mit Archivbildern und Nachrichtenkommentaren, Interviews mit Nawalny, seiner Frau Julia und weiteren Weggefährten sowie mit Christo Grosew vom investigativen Recherchenetzwerk Bellingcat. Die Passagen mit Grosev sind besonders packend, machen sie doch mit einer Fülle forensischer Details nachvollziehbar, wie Nawalnys Vergiftung rekonstruiert und die Attentäter, allesamt Mitarbeiter des Geheimdiensts FSB, zweifelsfrei identifiziert werden konnten. 

Diese Ermittlungen führen denn auch zum frappierenden Höhepunkt des mitreißend erzählten Films: Nawalny ruft unter falschem Namen seine Beinahe-Mörder an und schafft es, einen von ihnen in ein ausgiebiges Gespräch über die Tat zu verwickeln. Es ist eine Szene von besonders abgründiger Komik, doch nicht die einzige absurd wirkende Sequenz. Einen Drall ins Abseitige entwickelt auch eine Montage aus lauter Originalaufnahmen, in denen Putin krampfhaft den Namen Nawalny vermeidet und nur von »dieser Person, die Sie gerade erwähnt haben« spricht. Der Wille, die Bedeutung von Nawalny zu negieren, lässt ihn nur noch bedeutsamer werden.

Doch wer ist dieser Nawalny eigentlich? So nah ihm Daniel Roher in manchen Momenten zu kommen scheint, so ungreifbar bleibt er letztlich. Ohne Zweifel ist er ein charmanter, mit allen Wassern gewaschener Medienprofi, und als ausführende Produzentin von »Nawalny« ist Maria Pevchikh genannt, eine seiner engsten Mitarbeiterinnen beim Antikorruptionsnetzwerk. Immerhin fragt Roher trotzdem nach, warum Nawalny früher so wenig Berührungsängste mit Rechtsextremisten gezeigt hat. Abgesehen davon konzentriert sich der Film aber ganz auf das aktuelle Leben – und Überleben – des nicht immer unumstrittenen Aktivisten. So bleibt das Porträt dieses fraglos charismatischen, überaus mutigen Mannes etwas vordergründig, ist aber abgesehen davon ein hoch spannender Beitrag zur Kartographie unserer unruhigen Zeit.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt