Kritik zu Luzifer

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Inspiriert von einer wahren Begebenheit, erzählt Peter Brunners bildgewaltiger Heimatfilm von einer hermetischen Mutter-Sohn-Beziehung, die in einer Katastrophe endet

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In einer abgeschiedenen Berghütte lebt Johannes mit seiner Mutter Maria. Ein schwerhöriger Nachbar beliefert beide gelegentlich mit Sprit für das Stromaggregat. Manchmal hilft Johannes einer hexenhaft anmutenden Tierärztin. Ansonsten stört kaum jemand die enge, allzu enge Beziehung zwischen dieser labilen Frau und ihrem fügsamen Sohn, der nur wenig mehr als die Worte Mama über die Lippen bekommt.

Das Reden übernimmt die Mutter. In ihrem religiösen Eifer, der sie von ihrer Trunksucht rettete, spricht sie vor allem vom Teufel. Und davon, dass der Sohn sich hüten möge vor einer bedrohlich anmutenden Felsenhöhle, einem imposanten Loch im Berg, das der Film zu Beginn leitmotivisch zeigt und das mehrfach mit dem mütterlichen Ohr überblendet wird. Assoziationen zu diesem Loch wird der Film, der von einer Teufelsaustreibung inspiriert wurde, erst allmählich erschließen.

Produziert wurde »Luzifer« von Ulrich Seidl, eine Kooperation, die stimmig erscheint. Mit seinem Landsmann, dem Regisseur von »Hundstage«, teilt auch der Haneke-Schüler Peter Brunner den Gestus quälender Konfrontation. Gewiss, Peter Flinckenberg fotografierte die abseitige Sinnsuche auf dieser isolierten Almhütte mit majestätischen, nebelverhangenen Bergpanoramen. Es entsteht aber nicht eine Sekunde lang das Gefühl einer Postkartenidylle. Auch jene atemberaubenden Szenen, in denen Johannes sich mit seinem gezähmten Steinadler befasst, beschwören nicht die Stärke dieses mythischen Tieres. Um eine Rückkehr zum archaischen Naturleben geht es nicht.

Zu beunruhigend ist diese seltsame Innigkeit zwischen der Mutter und ihrem erwachsenen Sohn mit dem kindlichen Gemüt. Wie nicht anders zu erwarten, erwischt sie den Filius eines Tages bei der verbotenen Masturbation. Der Teufel, redet sie ihm ein, steckt nun in seiner Hand. Nein, nicht mit Feuer soll gesühnt werden, sondern mit einer improvisierten Taufe im Regenbottich.

Diese parodistische Überhöhung religiöser Rituale kulminiert in einem Filmbild von beklemmend morbider Faszination. Auf einem Bergrücken, der wie Golgatha anmutet, beten Mutter und Sohn einen toten Baum an, in dessen Höhlung sich eine schwarz ­verkohlte Madonnenstatue befindet. Die Heilige Maria wird zum Spiegelbild des Teufels. Ein kraftvolles, poetisches Filmbild. Der Heimatfilm wird unheimlich.

Entsprechend ambivalent bleibt der angedeutete Ausweg aus dieser hermetischen mütterlichen Welt. Die idyllische Alp soll touristisch erschlossen werden, doch Maria will nicht verkaufen. Um Druck aufzubauen, flattert ein schriftliches Angebot heran – und zwar mittels einer riesigen Drohne. Doch mit diesem anonymen, technifizierten Einbruch in die Mutter-Sohn-Welt übertreibt es der Regisseur vielleicht auch. Subtil will Peter Brunner in seiner spirituellen Meditation über eine inzestuös anmutende Verschmelzung zwischen Mutter und Sohn jedenfalls nicht wirklich sein.

Zwar verkörpert Franz Rogowski die Sprachlosigkeit dieses zurückgebliebenen jungen Mannes mit eindringlicher darstellerischer Präsenz. Geprägt wird der Film jedoch von Susanne Jensen. Die als Autorin und Pastorin tätige Laiendarstellerin stülpt ihr persönliches Schicksal als Überlebende eines Missbrauchs mit einer künstlerisch überhöhten Körperlichkeit nach außen. Ihre Darstellung der tätowierten Heiligen Maria ähnelt mehr einer Performance als einer schauspielerischen Darbietung. Nicht zufällig kann man Rogowski und Jensen aufgrund ihrer kahlgeschorenen Köpfe auch physisch kaum auseinanderhalten.

»Luzifer« ist ein Grenzgang zwischen Trash und Arthouse. Auf atemberaubende Bilder folgt mitunter Leerlauf. Manchmal hat man den Eindruck, als hätten sich Andrej Tarkowski und Christoph Schlingensief die Regie geteilt. Auf jeden Fall aber lässt einen dieses monströse cineastische Stillleben nicht gleichgültig. Ein provokatives Meisterwerk.

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