Kritik zu La Flor

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Reines Kinoglück: Mariano Llinás Langfilm lässt in seiner 837-minütigen Dauer die Geschichten ausufern und überlappen und wird dabei doch nie langweilig

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Ein fast vierzehnstündiger Film, das klingt nach Festivalfutter für hartgesottene Cineasten. »La flor« ist anders. Genrekino, wie der Regisseur selber zu Beginn verspricht. So erleben wir: einen B-Film um die Macht einer Mumie, ein musikalisches Melo (mit kriminalistischem Subplot), eine Spionagegeschichte an internationalen Schauplätzen (bereichert um die Lebensgeschichten der Protagonistinnen), im letzten Drittel schließlich werden wir (nach sechs Jahren Arbeit am Film) Zeugen eines Zerwürfnisses zwischen dem Regisseur und seinen vier Hauptdarstellerinnen, aber auch von Geschehnissen der geheimnisvoll-fantastischen Art, bekommen ein Remake von Jean Renoirs »Une partie de campagne« (als Stummfilm) zu sehen und schließlich das (ebenfalls dialogfreie) Ende eines Films mit vier Heimkehrerinnen, bevor der wohl längste Abspann der Filmgeschichte beginnt.

Ein Film, der seine Zuschauer fesselt, übernimmt gleichzeitig Verfügungsgewalt über die Zeit: Er kann sie beschleunigen und anhalten, vor- und zurückdrehen wie kaum eine andere Kunstform. Diesen Vertrag des Kinos mit dem Zuschauer erfüllt »La flor« über seine gesamten 837 Minuten hinweg. Es gelingt ihm deshalb so gut, weil er mit Elementen des Genrekinos arbeitet, also auf Vertrautes setzt, gleichzeitig aber die Fantasie des Zuschauers herausfordert und anregt – womit er auch eine Reflexion über das Erzählen selber ist: auf knallig-aufwendige Action-Momente kann verzichtet werden, das Geschehene findet im Off statt oder bleibt in Ellipsen verborgen, so wie wiederholte Unschärfen und die Verpixelung der letzten Episode die filmische Illusion brechen. Manche Lücken allerdings bleiben, es gibt Geschichten ohne Ende (und eine ohne Anfang). So wird das Geschehen um vier Frauen, deren Darstellerinnen in immer wieder neue Rollen schlüpfen, zu einer echten Entdeckungsreise, auf die man sich gerne begibt, weil sie mit großer Leichtigkeit und ansteckender Verspieltheit erzählt wird. Hinterher kommt man beschwingt aus dem Kino und kann die Geschichten individuell weiterspinnen, ausreichend Material dafür hat man ja.

Zwischen dem Ausufern der Geschichten und den sich überlappenden Elementen gibt es immer wieder Momente klassischen Erzählkinos mit der Verdichtung der Emotionen: Programmatisch zeigt die Kamera jedes Mal eine Frau, die einen Mann mit etwas konfrontiert, ihn – in einem ununterbrochenen, mehrminütigen Monolog (bei dem ihr Zorn deutlich spürbar ist) – zur Rede stellt. Das gibt es zweimal als verbale Attacke in den ersten beiden Episoden, einmal auch als körperliche Gegenwehr, und (meine Lieblingsszene) als furioses Ende der zweiten Episode in Form eines Songs: ein Gesangsduett, in dem, vorgetragen mit unglaublicher Wucht, die Sängerin das Ende einer Beziehung formuliert, während die knappen Einwürfe des Mannes sich noch Illusionen hingeben. Da bleibt einem wirklich der Mund offen stehen.

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