Kritik zu Gegen den Strom – Abgetaucht in Venezuela

© Partisan Filmverleih

Sobo Swobodnik besucht seinen Schwager, der einst nach Venezuela geflohen war. Das Wiedersehen gibt Anlass zur Reflexion von hier und da, damals und heute

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Venezuela im Frühling 2019. Der Straßenrand gesäumt mit liegen gebliebenen Autos und ihren wartend herumstehenden Besitzern. Anderswo lange Schlangen für dem Zuschauer unbekannte Güter. Zeitlupe verstärkt den Eindruck des Stillstands. Und irgendwo in einem mit wildem Grün zugewachsenen Abhang steht zwischen verlassenen Gewächshäusern fast idyllisch ein Häuschen mit ziegelgedecktem Dach, Veranda, Hund und terrassierten Gemüsebeeten. Dieses ist das Reiseziel des Filmemachers Sobo Swobodnik, der sich aus Berlin allein mit einer Kamera auf den Weg in die venezolanischen Anden gemacht hat. Der Bewohner des Hauses ist sein Verwandter. Aber er ist auch ein politischer Aktivist, der von der deutschen Polizei gesucht wird.

Im Herbst 1995 wurde Thomas Walter beschuldigt, mit zwei Mittätern einen Brandanschlag auf ein leer stehendes Abschiebegefängnis in Berlin-Grünau versucht zu haben. Der Angriff wurde vereitelt, die drei Verdächtigen mit Haftbefehl bis heute als vermeintliche Mitglieder einer links-terroristischen Vereinigung gesucht. Sie tauchten ab. Erst 2017 meldet Walter sich wieder bei seiner Familie in Deutschland – aus Venezuela, wo er einen Antrag auf Asyl gestellt hatte und nun auf die Entscheidung wartet. Sobo Swobodnik ist der Erste, der anreist, als Schwager und als Filmemacher.

Er sei »ein bisschen beweglich veranlagt«, sagt Walter augenzwinkernd in dessen Kamera zu seiner damaligen Fluchtentscheidung – Knast sei für ihn keine Option. Das Schlimmste am Schritt in die Illegalität sei der Abbruch fast aller Kontakte. Wenn er von der »globalen Geborgenheit« durch die selbstlose Solidarität der vielen Unterstützer spricht, leuchten seine Augen. Doch meist spricht Walter in den ausführlichen Gesprächen reflektiert (und oft auch ein wenig selbstgerecht) über Ereignisse und Einstellungen von damals bis heute, von der Basisdemokratie bis zur unvermeidbaren Gewaltfrage. Und über die prekäre Lage in Venezuela: Einstiger Enthusiasmus für das chavistische Projekt ist bei ihm längst scharfer Kritik gewichen.

Swobodniks Film gewährt Blicke in dieses Land über den Menschen, der vom Berliner Polit-Autonomen zum halbautonomen Kleinbauern wurde. Der ist allerdings gut in Nachbarschaft und Szene vernetzt – und auch virtuell unterwegs. Über Skype arbeitet Walter aus dem örtlichen Internet-Café an einem Projekt mit dem Berliner Rapper Pablo Charlemoine. Dann reist der sogar persönlich in Mérida an, um – unterbrochen von Stromausfällen – gemeinsam in einem improvisierten Studio in Walters Küche ein Album aufzunehmen: Polit-aktivistische Ohrwürmer, die als lange Musikstrecken ausführlich den Soundtrack bespielen. Walter erzählt, dass das Musizieren bei den Autonomen als unpolitisch verpönt war. Um so ausgiebiger und entspannter scheint er es jetzt zu genießen. Außerhalb des Films bleibt es spannend: Im Dezember 2019 wurde Walters Mitbeschuldigter Peter Krauth trotz des laufenden Asylverfahrens am Flughafen von Mérida verhaftet. Ende also offen.

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