Kritik zu Factory Girl

© Kinostar Filmverleih

»Old money goes Pop«: Edie Sedgwick stammte aus altamerikanischem Geld- und Bildungsadel. Als Andy Warhols »Factory Girl« wurde sie nach ihrem frühen Tod zur Ikone

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Die Augen dramatisch geschwärzt, die Haare zur Jungsfrisur gekürzt, die langen Beine unter superkurzen Röckchen ins Blickfeld gerückt, trug Edie Sedgwick Streifennickis wie Jean Seberg bei Godard, riesige Ohrgehänge und teure Pelzjacken. Dünn wie Twiggy prägte sie den exzentrisch-coolen Garçonne-Typ der Sechziger. Als Mädchen aus gutem Hause war sie kultiviert, sprachgewandt und kunstbegabt. Das Malen hatte sie bei der Ankunft in New York pünktlich zur Volljährigkeit aufgegeben, Fotoshootings, Disconächte, Galeriebesuche und Shopping wurden ihre Welt. Andy Warhol, der autistische Party-MC, verklemmte Schwule, Emporkömmling aus ukrainischem Matriarchat und hemmungslos in den Celebrity-Ruhm Verliebte, erhob sie zur platonischen Geliebten. Die Blitzlichtauftritte mit ihr öffneten ihm die Türen. Sedgwicks narzisstischer Glamour passte in die Filme, die Warhol in der legendären Factory mit seinem Hofstaat drehte. Einer davon heißt »Poor Little Rich Girl«.

Die Schattenseite: Edie war magersüchtig, Kettenraucherin, vollgepumpt mit Heroin, LSD und mehr. Vier Jahre Starruhm fraßen den Glanz und das Erbteil auf, dann kamen Klinikaufenthalte, die Rückkehr in die fatale Familie und der Drogenstrich. Mit 28 starb sie an einer Überdosis Schlafmittel. Der Schmetterling war ein Freak. Trotz Entziehung und Heirat mied man sie, weil sie verkörperte, was aus dem Hippieaufbruch geworden war. Heute geistert die Ikone in unzähligen Hommagen durchs Internet.

George Hickenlooper, Regisseur von Künstlerfilmen, drehte nun ein Biopic über Edies verrückte Jahre in New York. Bei all der Präsenz, die der Popzeitgeist in unseren Retrozeiten besitzt, ist Factory Girl mit der Oberflächenmacht der bekannten Warhol-Bilder konfrontiert. Set, Requisite, Kamera, Schnitt und Musik schwelgen im rasant rhythmisierten Nachstellen der Atmosphäre, Split-Screens spielen auf Warhols Filme an. Unschärfen, Handkamera, Farbentsättigung docken den Erzählstil an den hektischen Modus des heutigen Pop-Recyclings an. Sienna Miller (mit schwarzen Kontaktlinsen) trifft beeindruckend präzise die anziehende Ausstrahlung des Mädchens und dessen innere Not. Wie gerät das »Verschwende deine Jugend « ins Kippen? Der Film macht es sich mit konsensfähiger Psychologie leicht: Guy Pearce gibt Andy Warhol als zynischen Narziss; ein namenloser Rocker, von Hayden Christensen als nuschelnde Bob-Dylan-Karikatur gespielt, verlässt sie kalt.

Der Mythos »Nur die Guten sterben jung« wird zur puren weiblichen Opfergeschichte: Vom Vater missbraucht, sucht Edie Zuneigung beim Falschen. Die Familie der authentischen Sedgwicks war psychisch labil, drei ihrer acht Kinder schickte sie in die Elektroschocktherapie. Factory Girl kapituliert vor der Komplexität und erklärt das emotionale Desaster mit dem heute allgegenwärtigen Diskurs über den Missbrauch. Bob Dylan übrigens unterlag mit seinem Einspruch gegen den Film, aber auch das verhalf ihm nicht zum Erfolg in den USA.

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